Phantasiestücke

[760] Phantasiestücke, im weitern Sinn alle Werke der Poesie und der bildenden Kunst, bei denen der Phantasie ein mehr als gewöhnlicher Spielraum gegönnt, die Nachbildung der Natur oder eines in der Natur gegebenen Gegenstandes oder Zustandes weniger beabsichtigt wird; im engern Sinn Landschaften, die nicht Abbilder der Natur, sondern frei erfundene Kompositionen sind, besonders aber die Arabesken oder Grotesken (s. d.), weil sie als reine Spiele der Phantasie menschliche Gestalten aus Blumenkelchen hervor-, andre in Tiere ausgehen lassen, zarte Ranken zum Fußgestell für menschliche und andre Figuren machen etc.; endlich Dichtungen, in denen auf Kosten der Wahrscheinlichkeit der Phantasie die Zügel überlassen sind, wie E. T. A. Hoffmanns »P. in Callots Manier«.

In der Musik bezeichnet Phantasiestück als Name für Instrumentalstücke nicht eine bestimmte Form, sondern im Gegenteil freie Gestaltung ohne Anschluß an feststehende Formen. Die ältesten, den Namen Fantasia führenden Stücke (um 1600) sind fugiert und könnten auch Ricercar heißen. Als die Fuge sich zu festen Formen entwickelt hatte, bedeutete der Name Phantasie etwas der Fuge Entgegengesetztes (vgl. J. S. Bachs. »P. und Fuge« in A moll); auch von der Sonate unterschied sie sich durch die Abweichung von strenger zyklischer Gestaltung. Vielfach werden heute auch potpourriartige Zusammenstellungen von Opernmelodien u. dgl. für Pianoforte oder Orchester mit dem Namen Phantasie belegt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 760.
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