Prosodīe

[388] Prosodīe (Prosodik, griech.), ursprünglich soviel wie die Lehre von denjenigen Schriftzeichen, durch welche die in Buchstaben ausgedrückte Beschaffenheit der Sprachlaute genauer charakterisiert wird, nämlich: Akzente, Längezeichen, Hauchzeichen (spiritus asper und spiritus lenis), Apostroph, traits d'union etc.; sodann die Lehre von den Quantitäts- und Akzentverhältnissen der Sprache mit Rücksicht auf den Versbau. Für die griechische und römische Poesie war die Zeitdauer, die Quantität der Silben, das Wichtigste, die Prosodik war daher hier »Quantitätslehre«. Dabei setzten die Alten theoretisch den Zeitwert langer und kurzer Silben im Verhältnis von 2:1 an, obwohl dies der wirklichen Beschaffenheit der Silben nicht immer genau entsprach. Der Wortakzent trat dagegen im Griechischen, weniger im Lateinischen, in seiner Bedeutung für den Versbau zurück. Sobald sich die Längen und Kürzen der ältern Sprache aufzulösen begannen, geriet auch das Quantitätsprinzip ins Wanken, und daher drang im Mittelalter in der griechischen und romanischen Poesie das Prinzip der Silbenzählung durch, das in der letztern noch heute herrscht und das vorübergehend (zur Zeit der Meistersinger) auch in Deutschland in Geltung gestanden hat. Im Deutschen (Germanischen) hat von alten Zeiten an der Wortakzent die Hauptrolle gespielt, und er tut es noch heute; die Quantität (Zeitdauer, Länge) der Silben kommt nur nebenbei in Betracht und ist in der Regel von dem Wort- und Satzakzent abhängig. Eine Silbe, die für gewöhnlich als lang zu betrachten wäre, kann durch den Wort- und Satzakzent verkürzt, und umgekehrt eine kurze verlängert werden; z. B. kann in dem Satze »Paul kommt« das an sich lange Wort »Paul« ganz kurz gesprochen werden, wenn man betont »Paul kommt« (es war nämlich zweifelhaft [so ergänzt man], ob er kommen würde). Bei solchem Einfluß des Akzents auf die Quantität ist die Ausstellung allgemein gültiger Quantitätsregeln für die deutsche Poesie eine sehr mißliche Sache; indessen vgl. Minor, Neuhochdeutsche Metrik, S. 43 (Straßb. 1893). Die wichtigsten Arten des Wortakzentes und des Satzakzentes im Deutschen sind Hauptton, Nebenton und Unbetontheit, doch sind hiermit nur einige Hauptstufen bezeichnet; insbes. kann man verschiedene Arten des Nebentones unterscheiden.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 388.
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