Akzent

[246] Akzent (lat. accentus, bei den Griechen prosodía, »Beigesang«), in der Grammatik die Betonung und die zur Bezeichnung derselben üblichen Zeichen (Akzente). Die griechischen Akzente wurden von dem alexandrinischen Grammatiker Aristophanes von Byzanz (3. Jahrh. v. Chr.) erfunden. Für den A. gibt es im Griechischen drei Zeichen: die oxeia prosodia (´), »der scharfe oder Hochton« (accentus acutus); die bareia prosodia (`), »der gesenkte oder Tieston« (accentus gravis), und die perispomene prosodia (ˉ), »der gewundene A.«, nach der Gestalt des Zeichens (accentus circumflexus), womit ein gedehnter, sich erst hebender und dann senkender Ton bezeichnet wurde. Auch die alten indischen Grammatiker sind die Erfinder eines Systems von Akzentzeichen, die sie[246] jedoch nur in den vedischen Schriften zur Anwendung brachten. Sie unterschieden einen »gehobenen Ton« (udâtta), einen »ungehobenen Ton« (anudâtta) und einen »tönenden A.« (svarita), der als eine Kombination eines höhern mit einem tiefern Ton beschrieben wird. Der griechische wie der indische A. drückten die musikalische Höhe oder Tiefe des Tones aus. Dagegen veruht in den neuern europäischen Sprachen der A. meist auf mehr oder weniger lauter Aussprache der Silbe, also auf der Intensität des Tones. Den musikalischen A. haben wir Deutschen vornehmlich als Satzton, der von dem Wortakzent wohl zu unterscheiden ist; so hat z. B. in dem fragenden »wirklich?« die zweite Silbe einen höhern Ton als die erste, die ihrerseits stärker betont ist und den Wortakzent trägt. Nach der Stellung des Hoch- und Haupttons im Worte hat man zu unterscheiden zwischen Sprachen mit freier Betonung, in denen der A. an keine bestimmte Stelle im Worte gefesselt ist, und solchen, in denen er eine feste Stellung im Wortkörper einnimmt. Zu den erstern gehört z. B. das Russische, zu den letztern z. B. das Lateinische, wo der A. regelmäßig auf der zweit- oder drittletzten Silbe steht, das Deutsche und das Tschechische, wo ihn die Stammsilbe, gewöhnlich die Anfangssilbe, und das Polnische, wo ihn die vorletzte Silbe tragt. In Sprachen, in denen die Tonstärke vorwaltet und der A. auf den Anfangssilben ruht, haben die nachfolgenden schwachtonigen Silben im Laufe der Zeit stets stärkere lautliche Verluste erlitten, z. B. neuhochdeutsch der vórderste aus althochdeutsch fórdarōsto. Vgl. Brugmann, Grundriß der vergleichenden Grammatik, Bd. 1 (2. Aufl., Straßb. 1897); Sievers, Grundzüge der Phonetik (5. Aufl., Leipz. 1901).

Über das in »Meyers Konversations-Lexikon« auf manchen Stichwörtern verwendete Betonungszeichen s. die Bemerkung beim Art. »Aussprache«.

In der Musik versteht man unter A. die Hervorhebung einzelner Töne durch größere Tonstärke und (geringfügige) Dehnung. Regelmäßige Akzentträger sind die Schwerpunkte der Motive, die unsre Notenschrift durch den Taktstrich sowie (in zusammengesetzten Taktarten) durch Unterbrechung der Querbalken der Achtel, Sechzehntel etc. anzeigt. Doch erfolgt deren Akzentuierung nicht plötzlich, ruckweise, sondern ist die Gipfelung des dem Auftakt zukommenden crescendo; reicht das Motiv mit einer sogen. weiblichen Endung über den Taktstrich hinüber, so ist für diese das diminuendo die selbstverständliche Vortragsweise. Dieser aus der Taktordnung sich ergebenden grundlegenden Akzentuierung steht gegenüber die Akzentuierung einzelner Töne aus melodischen Gründen (Gipfelnoten der Melodie) oder aus harmonischen Gründen (Dissonanzen, modulierende Töne) sowie die stärkere Betonung der Anfangsnoten der Motive, die einzelne hellere Lichter aufsetzen. Vgl. die Artikel »Takt, Rhythmus, Phrasierung«. Als Name einer Verzierung ist A. soviel wie Vorschlag (s. d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 246-247.
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