Schiefner

[756] Schiefner, Franz Anton von, hervorragender Sprachforscher und Orientalist, geb. 18. (6.) Juli 1817 in Reval, gest. 16. Nov. 1879 in Petersburg, studierte zuerst 1836–40 in Petersburg Rechtswissenschaft, dann in Berlin und seit 1846 wieder in Petersburg Philologie, besonders orientalische Sprachen, wirkte längere Zeit als Professor der alten Sprachen an einem Gymnasium in Petersburg, wurde 1852 Mitglied, 1863 auch Bibliothekar der dortigen Akademie und 1866 Wirklicher Staatsrat. Seine erste Spezialität bildete die Erforschung der tibetischen Sprache, für deren wissenschaftliche Erkenntnis seine in den »Bulletins« der Petersburger Akademie (Bd. 8 etc.) veröffentlichten Abhandlungen bahnbrechend waren. Seine kritischen Ausgaben tibetischer Texte (so namentlich Târanâthas »Geschichte des Buddhismus in Indien«, Petersb. 1868; deutsch, das. 1869) und seine deutschen Übersetzungen solcher (Übersetzung einer tibetischen Biographie des Buddha, das. 1849) waren außer für das Studium der Sprache auch für deren Literatur und dadurch für die Geschichte des Buddhismus von großer und dauernder Bedeutung. Einen zweiten Mittelpunkt seiner Studien bildeten die uralaltaischen und sibirischen Sprachen, namentlich das Finnische. Er übersetzte das finnische Epos »Kalewala« (s. d.) und veröffentlichte eine rhythmische Bearbeitung der »Heldensagen der Minussinischen Tataren« (Petersb. 1859); namentlich aber gab er im Auftrag der Akademie aus dem Nachlaß Castréns (s. d.) dessen »Nordische Reisen und Forschungen« (1853–62) heraus, für die er die von Castrén gesammelten sprachlichen Materialien selbst bearbeitete und mit wertvollen Zusätzen bereicherte. Ebenso wichtig sind seine Arbeiten auf einem dritten ganz isolierten Sprachgebiet, dem kaukasischen. Auch hier begnügte sich S. zumeist mit der Rolle eines Interpreten fremder Forschungen, indem er die von dem Generalmajor v. Uslar an Ort und Stelle gesammelten Materialien für die »Abhandlungen der Petersburger Akademie« verarbeitete. Über andre kaukasische Sprachen gab er ganz selbständige Arbeiten heraus, so über die Thuschsprache (Petersb. 1856), über das Awarische (1862, 1872 und 1873), über das Udische (1863); auch mit der zum indogermanischen Stamm gehörigen Sprache der Osseten beschäftigte er sich (»Ossetische Sprichwörter«, in den »Mélanges russes«, Petersb. 1862).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 756.
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