Sensibilität

[346] Sensibilität (neulat., »Empfindlichkeit«), die Fähigkeit, zu empfinden, im Gegensatz zur Irritabilität oder Reizbarkeit, der direkten Bewegungsreaktion auf äußere Einwirkungen, die auch bei ausgeschnittenen Muskeln sich findet, während die S. an das Vorhandensein von Sinnesorganen und sensibeln Nerven und nervösen Zentralorganen geknüpft ist. Wenn man die Einwirkung äußerer Reize nicht beim Menschen untersucht, der darüber Auskunft zu geben vermag, ob er eine Empfindung hat oder nicht, sondern bei Tieren, so kann man auf das Vorhandensein von [346] Empfindungen nur schließen aus Reaktionen, die beim Menschen als Ausdruck von Empfindung gelten, also aus heftigen Bewegungen, Schreien, Flucht etc. Bei niedern Tieren sind die Bewegungsreaktionen auf Reize meist sehr einfacher Natur. In vielen Fällen wird man hier im Zweifel sein können, ob man es wirklich mit S. zu tun hat, oder ob die hervorgerufenen Bewegungen lediglich als Folge der direkten Irritabilität eintreten. Bei den niedersten Organismen, bei denen von Nerven, geschweige denn von einem differenzierten, Empfindungs- und Bewegungsnerven enthaltenden Nervensystem nicht die Rede sein kann, ist die Bewegungsreaktion nur durch die direkte Reizbarkeit des formveränderlichen Protoplasmas bedingt. Die bei Pflanzen zu beobachtenden Bewegungen, soweit sie auf Grund äußerer Reizungen eintreten, z. B. die Bewegungen der Sinnpflanzen (Mimosen) bei Berührung ihrer Blätter, werden neuerdings von manchen auf S. bezogen. Diese Forscher schreiben daher den Pflanzen wirkliche Sinnesorgane und reizleitende Nerven zu. Nach andern beruhen diese Erscheinungen ebensowenig auf S., wie die Bewegungsreaktionen der niedersten Organismen, sondern sind durch direkt durch den Reiz hervorgerufene Veränderungen der Turgeszenz in den sogen. Gelenkwülsten bedingt. – Die S. des Menschen ist verschieden, je nach Alter, Geschlecht, Rasse etc. Kinder pflegen eine hohe, Greise oft eine stark herabgesetzte S. zu haben. Bei Männern soll sie größer sein als bei Frauen; bei wilden Völkerstämmen ist sie in der Regel geringer als bei zivilisierten. Sehr bemerkenswert ist die groste Empfindungsstumpfheit, die sich bei hysterischen Personen sowie im Zustande der Hypnose finden kann. Zum Messen der S. dienen das Algesimeter und das Barästhesiometer. Vgl. Richet, Recherches expérimentales et cliniques sur la sensibilité (Par. 1877).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 346-347.
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