Vierte Familie: Fasanvögel (Phasianidae)

[122] In der vierten Familie vereinigen wir die Fasan vögel (Phasianidae). Auch bei ihnen ist der Leib noch gedrungen, aber doch gestreckter gebaut als bei den Waldhühnern, der Schnabel mittellang, stark gewölbt, sein Oberkiefer über den unteren herabgebogen, zuweilen auch an der Spitze verlängert und nagelförmig verbreitert, der Fuß mäßig oder ziemlich hoch, langzehig und beim Männchen fast immer bespornt, der Flügel mittellang oder kurz, stark gerundet, der Schwanz gewöhnlich lang und breit, zwölf-bis achtzehnfederig, der Kopf theilweise nackt, oft mit Kämmen und Hautlappen, zuweilen auch mit Hörnern und ebenso mit Federbüschen geziert, das Gefieder farbenprächtig und glänzend, nach Geschlecht und Alter regelmäßig verschieden.

Nitzsch fand nach Untersuchung des gemeinen, des Gold- und des Silberfasanes, daß die den echten Hühnern überhaupt eigenthümlichen Bildungsverhältnisse des Knochengerüstes, der Muskeln, Eingeweide und Sinneswerkzeuge auch dieser Abtheilung zukommen. Die Wirbelsäule besteht aus dreizehn bis vierzehn Halswirbeln, sieben Rücken- und fünf bis sechs Schwanzwirbeln, deren letzter dem starken Schwanze durch seine Form entspricht, indem der sehr lange, spitze Dornfortsatz mehr nach hinten als nach oben sich richtet und oben eine platte, wagerechte Fläche zeigt. Der Oberarmknochen ist so lang wie das Schulterblatt, der Vorderarm etwa halb so lang. Die Seiten fortsätze des Brustbeines sind lang und gerade, die hinteren gabelförmig getheilt; der Körper hat vorn jederseits eine sehr dünne, oft unverknöcherte Stelle. Das Becken ist verhältnismäßig hoch und schmal; der Oberschenkelknochen luftführend. Die Luftröhre besteht aus häutigen Knorpelringen. Der Mastdarm ist lang, die Länge der Blinddärme verschieden.

[122] Man pflegt zu den Fasanvögeln auch einige Hühner Afrikas und die in Amerika heimischen Truthühner zu rechnen und vereinigt dann eine Anzahl von ungefähr fünfundsiebzig Arten innerhalb der so umgrenzten Familie. Von jenen Arten leben nur elf in Afrika, nicht mehr als drei in Amerika, alle übrigen in Süd- und Mittelasien. Alle Arten bewohnen bewaldete, mindestens bebuschte Gelände, in denen sie Deckung finden, die einen aber hohe Gebirge, die anderen das Tiefland. Sie sind Standvögel, welche das einmal gewählte Gebiet nicht verlassen, bei der Wahl aber bedachtsam zu Werke gehen. Alle haben das Bestreben, nach der Brutzeit einigermaßen im Lande umherzuschweifen und dabei Oertlichkeiten zu besuchen, auf welchen man sie sonst nicht findet. Wirkliches Reisen verbietet ihnen die Mangelhaftigkeit ihrer Bewegungswerkzeuge. Sie gehen gut und können, wenn sie wollen, im schnellen Laufe fast mit jedem anderen Huhne wetteifern, fliegen aber schlecht und erheben sich deshalb auch nur im äußersten Nothfalle. Leibliche Anstrengung scheint sie nicht zu vergnügen; selbst während der Paarungszeit benehmen sie sich ruhiger als andere Hühner. Gewöhnlich gehen sie gemächlich und bedachtsam einher, den Hals eingezogen oder geneigt, den schönen Schwanz, ihre hauptsächlichste Zierde, soweit erhoben, daß die Mittelfedern eben nicht auf die Erde schleifen; bei rascherem Laufe beugen sie den Kopf zum Boden herab und heben den Schwanz ein wenig mehr empor, nehmen auch im Nothfalle die Flügel mit zu Hülfe. Der Flug erfordert schwere Flügelschläge und bringt deshalb, namentlich beim Aufstehen, polterndes Rauschen hervor; hat jedoch der Fasanvogel erst eine gewisse Höhe erreicht, so flattert er wenig, sondern schießt mit ausgebreiteten Flügeln und Schwanz in einer schiefen Ebene abwärts rasch dahin. Im Gezweige höherer Bäume pflegt er sich aufrecht zu stellen oder mit gänzlich eingeknickten Beinen förmlich auf den Ast zu legen und das lange Spiel fast senkrecht herabhängen zu lassen. Die Sinne sind wohl entwickelt, die übrigen Geistesfähigkeiten durchschnittlich gering. Unter sich leben die Fasanen, so lange die Liebe nicht ins Spiel kommt, in Frieden, Paarungslust aber erregt den männlichen Theil der Gesellschaften ebenso wie andere Hähne auch und verursacht Kämpfe der allerernstesten Art.

Bis gegen die Paarungszeit hin verbergen sich unsere Vögel soviel wie möglich. Sie bäumen, ungestört, nur kurz vor dem Schlafengehen und halten sich während des ganzen übrigen Tages am Boden auf, zwischen Gebüsch und Gras ihre Nahrung suchend, offene Stellen fast ängstlich meidend, von einem Verstecke zum anderen schleichend. Ein Hahn pflegt eine Anzahl von Hennen zu führen; ebenso trifft man aber auch sehr gemischte Völker, d.h. solche, welche aus mehreren Hähnen und vielen Hennen bestehen. Größere Gesellschaften bilden sich nicht, und wenn wirklich einmal solche zusammenkommen, so bleiben sie in der Regel nur kurze Zeit bei einander. Außer der Brutzeit ist das Aufsuchen der Nahrung ihre größte Sorge. Sie fressen vom Morgen bis zum Abende und ruhen höchstens während der Mittagsstunden, wenn irgend möglich in einer staubigen Mulde und unter dem reinigenden Staube halb vergraben, von ihrem Tagewerke aus. Am frühen Morgen und gegen Abend sind sie besonders rege und zum Umherschweifen geneigt; mit Sonnenuntergang begeben sie sich zur Ruhe. Ihre Aesung besteht in Pflanzenstoffen der verschiedensten Art, vom Kern bis zur Beere und von der Knospe bis zum entfalteten Blatte; nebenbei verzehren sie Kerbthiere in allen Lebenszuständen, Schnecken, Weichthiere, auch wohl kleine Wirbelthiere und dergleichen, stellen insbesondere jungen Fröschen, Echsen und Schlangen nach.

Die meisten, jedoch keineswegs alle Fasanvögel, leben in Vielehigkeit. Ein Hahn sammelt, wenn andere es ihm gestatten, fünf bis zehn Hennen um sich. An Eifersucht steht er hinter anderen Hähnen durchaus nicht zurück, kämpft auch mit Nebenbuhlern äußerst muthig und wacker, gibt sich aber keineswegs besondere Mühe, um die Gunst der Henne sich zu erwerben. Wohl tritt auch er auf die Balze und bewegt sich während derselben weit lebhafter als gewöhnlich; niemals aber geräth er in jene verliebte Raserei, welche die männlichen Waldhühner so anziehend erscheinen läßt. Er umgeht die Hennen in verschiedenen Stellungen, breitet die Flügel, erhebt Federholle, Federohren und Kragen auf, ebenso den Schwanz etwas mehr als gewöhnlich, bläht dehnbare Hautlappen auf, [123] läßt sich auch wohl herbei, einige tanzartige Bewegungen auszuführen, und kräht oder pfeift unter wiederholtem Zusammenschlagen seiner Flügel. Sofort nach geschehener Begattung bekümmert er sich nicht mehr um die Hennen, welche er überhaupt weniger sucht als sie ihn, sondern streift nach Belieben im Walde umher, gesellt sich vielleicht auch zu anderen Hähnen, kämpft anfänglich noch ein wenig mit dem einen oder dem anderen, lebt jedoch, wenn die männliche Gesellschaft anwächst, mit den Theilnehmern derselben in Frieden. Die Henne sucht ein stilles Plätzchen, scharrt hier eine Vertiefung aus, belegt sie nachlässig mit Geniste und Blätterwerk und beginnt zu brüten, sowie sie ihre sechs bis zehn, vielleicht auch zwölf Eier gelegt hat. Die Küchlein sind hübsch gezeichnet, behend und gewandt, wachsen rasch heran, lernen in der zweiten Woche ihres Lebens flattern, bäumen in der dritten und mausern nach Ablauf von zwei bis drei Monaten, bleiben jedoch bis gegen den Herbst hin unter der Obhut der Alten.

Die Feinde der Fasanenvögel sind dieselben, welche auch andere Wildhühner bedrohen. Der Mensch verfolgt, des trefflichen Wildprets halber, alle Arten der Familie, Raubthiere der drei oberen Klassen stellen ihnen nicht minder eifrig nach, und Naturereignisse werden wenigstens vielen von ihnen verderblich. Doch gleicht ihre starke Vermehrung unter günstigen Verhältnissen alle Verluste, welche ihr Bestand erleidet, bald wieder aus.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 122-124.
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