Überhang

[108] Überhang, 1) die Früchte, welche an den über des Nachbars Grund u. Boden hinüberragenden Ästen hängen. Nach altdeutschem, sonst über ganz Deutschland verbreitetem Gewohnheitsrecht hatte der Inhaber eines Grundstückes die Befugniß diesen Ü. sich anzueignen; der Ü. wurde als eine Res nullius behandelt, welche zu erwerben der Besitzer des Grund u. Bodens vermöge der ihm zukommenden Gewere als vor allen Andern berechtigt galt. Zum Theil ist dies Gewohnheitsrecht noch jetzt praktisch geblieben. Doch gab es schon in älterer Zeit locale Modifikationen der Regel, bes. wurde oft zwischen dem Ü. im engeren Sinne als den noch am Baum hängenden, u. dem Überfall, als den bereits abgefallenen Früchten unterschieden u. blos die Wegnahme der letzteren dem Grundstücksbesitzer erlaubt. Dem Römischen Recht war dies Recht unbekannt; es gibt im Gegentheil dem Eigenthümer eines solchen Baumes ein besonderes Interdictum de glande legenda, mit welchem der Nachbar angehalten werden kann, übergefallene Früchte einen Tag um den andern, da nöthig gegen Bestellung einer Cautio damni infecti (s.d.), auflesen zu lassen, wogegen derjenige, in dessen Grundstück ein solcher Baum hereinhängt, seinerseits ein Interdictum de arboribus caedendis hat, womit er die Behauung u. Wegnahme des Baumes vom Nachbar fordern u. wenn der Nachbar dies nicht thut, Schutz zur eigenen Vornahme dieser Handlungen zu verlangen berechtigt ist. Hierdurch ist die frühere Rechtsgewohnheit gemeinrechtlich ganz verdrängt worden, u. es bedarf der Nachweisung eines besonderen Gesetzes od. besonderer Gewohnheit, um sich dennoch auf sie berufen zu können. Vgl. I. Grimm, Über den Überfall der Früchte, in der Zeitschrift für geschichtl. Rechtsw. Bd. III. S. 349 ff.; Hillebrand. Das Überhangs u. Überfallsrecht, in der Zeitschrift für deutsches Recht Bd. IX. S. 318. 2) Der Theil eines Gebäudes, welcher über die senkrechte Linie der Hauptwand hervorragt. Bei einer Grenzmauer hat der Nachbar gemeinrechtlich die Ausbauchung zu dulden, wenn sie unter einem halben Fuß beträgt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 108.
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