Fuge [2]

[779] Fuge (lat. Fuga, Mus.), ein aus wenigstens zwei Stimmen bestehendes Tonstück, worin jede der Stimmen ihre eigene Melodie führt u. nicht blos eine der anderen zu Begleitung dient, sondern ihren eigenen Charakter behauptet; Contrafuge genannt, wenn ihr Gang dem Gange einer in demselben Tonstück vorhergegangenen F. entgegengesetzt ist; steigt z.B. die erste F. vom Grundton zur Dominante hinauf, so steigt die Contrafuge von der Dominante zum Grundton herab. Die anfangende Stimme trägt zuerst den Hauptsatz vor. Wird dieser von den anderen Stimmen genau u. ununterbrochen nachgeahmt, so nennt man dies eine Canonische F. (s. Canon 2); im anderen Falle aber nennt man den Satz eine Periodische F. od. schlechthin F. u. bezeichnet den Theil einer F., wo das Thema eher eintritt, als er die vorhergehende Stimme vollendet hat, mit Stretto. Bei der inneren Einrichtung der F. kommen in Betracht: a) der Hauptsatz (Thema, Subject), welchen die[779] übrigen Stimmen nachahmen u. der im Fortgang, d.h. weiter ausgeführt wird, u. in so fern er den anderen Stimmen gleichsam zum Wegweiser dient, gewöhnlich Führer (Dux) genannt wird. Von der guten Wahl u. geschickten Einrichtung des Führers hängt gewöhnlich die Güte u. Schönheit der ganzen F. ab. Engführung des Thema findet statt, wenn bei Durchführung einer F. dasselbe vor seinem Schlusse, wo die verschiedenen Stimmen näher auf einander folgen, beantwortet; Erweiterung, wenn ein Intervall des Thema in ein größeres verwandelt wird, so eine Quinte in eine Sexte etc.; b) der Gefährte (Comes, Antwort), welcher, nachdem der Führer sein Thema vollendet hat, auf einer anderen Stufe der Tonleiter, gewöhnlich der Quinte, eintritt u. das Thema entweder ganz genau od. doch ähnlich wiederholt; c) der Wiederschlag (Repercussio), d.i. die Ordnung, in welcher sich Führer u. Gefährte wechselsweise in den verschiedenen Stimmen hören lassen, u. die dadurch bedingt ist, daß der Gefährte das Thema auf einer anderen Stufe der Tonleiter ausführt, als der Führer, u. beide sich nicht zusammen hören lassen können; d) die Gegenharmonie (Contrasubject), die Melodie, welche im Fortgang der F. die Stimme, welche den Hauptsatz vollendet hat, gegen den nur eingetretenen Führer od. Gefährten hören läßt; oft wird aber auch gleich beim Anfang des Hauptsatzes der Führer mit einer Gegenharmonie begleitet; enthielten Themata mehrere der zum Grunde liegenden diatonischen Tonleiter fremde Töne, so nannte man erstere chromatische Fugensätze; e) die Zwischenharmonie (Zwischensatz), die kurzen Sätze, welche, so lange der Hauptsatz schweigt, sich zur weiteren Fortführung der F. hören lassen u. auf den Hauptsatz wieder anspielen, od. doch mit demselben in einigem Zusammenhang stehen. Die F. ist A) Eigentliche (reguläre) F., wenn diese fünf Haupterfordernisse recht angewendet u. wo sie nicht so streng angewendet sind; B) Uneigentliche (irreguläre) F., wo dies nicht so streng der Fall ist; C) Contrapunktischer Satz (Fugato), ein in Fugenform gearbeiteter, meist als Theil eines größeren Ganzen ausgeführter Satz; D) Strenge F., wo nur das Thema mit seinem Contrasubject durchgearbeitet wird; E) Freie F., wo zwischen den Repercussionen des Hauptsatzes auch andere zum Ganzen passende Sätze gehört werden; F) Kunstfuge (Ricercata), ist die strenge F., bei welcher man künstliche Nachahmungen u. andere contrapunktistische Künsteleien noch mehr ausführt; G) Doppelfuge, wenn in einer F. zwei od. mehrere Hauptsätze verbunden u. durchgeführt sind; H) Fughetta, wo der Hauptsatz weniger durchgearbeitet ist, als gewöhnlich. Jede dieser F-n kann zwei-, drei- u. vierstimmig sein; mehrstimmige F-n findet man jetzt selten. Hinsichtlich des Intervalls, worin der Gefährte dem Führer antwortet, kann es Secund-, Terz- Sextfugen geben; doch ist die Quintenfuge bei Weitem die gewöhnlichste. Über den ästhetischen Werth der F-n ist vjel gestritten worden, jedoch haben die großen Leistungen Bachs, Händels, Haydn's u. Mozarts dieser Gattung musikalischer Composition eine unzweifelhafte Berechtigung zugesprochen. Vgl. Marpurg, Abhandlung von der F., Berl. 1753, 2 Thle.; Cherubini, Traité de contrepoint et de fugue.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 779-780.
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