Usucapĭo

[315] Usucapĭo (lat.), 1) (Usus auctoritas), im älteren Römischen Recht diejenige Art der Adquisitivverjährung, nach welcher das quiritarische Eigenthum durch rechtmäßigen u. in gutem Glauben erlangten Besitz von einem Jahr bei beweglichen u. von zwei Jahren bei unbeweglichen Sachen erlangt werden konnte. Die U. bildete eine rein römischcivilrechtliche Erwerbung, daher sie weder für Peregrinen möglich war, noch bei Provinzialgrundstücken stattfinden konnte. Sie diente bes. zur Ergänzung eines im Allgemeinen rechtmäßigen od. als solchen vorauszusetzenden, aber doch irgendwie unvollkommenen Eigenthumserwerbes. Der Besitz muß die Usucapionszeit hindurch ununterbrochen fortgesetzt sein. Durch den Verlust des Besitzes (Usurpatio) wird die U. unterbrochen. Auch muß der Besitz einen rechtmäßigen Anfang gehabt haben, d.h. der Besitzer muß für seinen Besitz einen Grund anführen können, welchem zufolge er Eigenthümer werden konnte (Titulus usucapionis). So kann usucapiren, wer die Sache mittelst Kaufes (pro emtore), Schenkung (pro donato), als Zahlung (pro soluto) etc. empfangen hat; pro herede usucapirt, wer die Sache in Folge dessen besitzt, daß er sich als Erbe gerirt, was von jedem des Erbrechtes Fähigen geschehen konnte; diese U. hieß auch U. lucrativa, weil sie einen Gewinn auf Kosten des wahren Berechtigten in Aussicht stellt. Neben ihr kam später eine Art indirecter Ersitzung auf, indem bei rechtmäßig u. in gutem Glauben erworbenem Besitz von 10 Jahren unter Anwesenden u. 20 Jahren unter Abwesenden (Possessio longi temporis) der Besitzer zunächst durch eine Exceptio od. Praescriptio longi temporis gegen die ihm drohende Eigenthumsklage geschützt, dann aber auch, wenn er nachher den Besitz verlor, als Kläger auf jenen Besitz sich berufen durfte u. so den Erfolg des Eigenthumserwerbes gewinnen konnte. Diese Art der Ersitzung fand namentlich auch bei Provinzialgrundstücken Anwendung. Dazu kam als ein drittes verwandtes Institut noch die Verjährung der Eigenthumsklage durch dreißig- od. vierzigjährigen Besitz, Praescriptio longissimi temporis, welche den Besitzer einer an sich fremden Sache gegen die Eigenthumsklage auch ohne guten Glauben schützte, wenn der zur Klage Berechtigte über die gedachte Zeit mit Anstellung der Klage gezögert hatte. Justinian änderte später hieran so viel, daß er mit beiden Arten der Präscription, mit der letztern unter Voraussetzung der Bona fides, die Wirkung eines vollständigen directen Eigenthumserwerbes verband, nachdem er zuvor schon den Unterschied zwischen quiritarischem u. nicht quiritarischem Eigenthum beseitigt hatte. Sodann hob er auch die zweijährige U. italischer Grundstücke auf u. gestattete eine Ersitzung unbeweglicher Grundstücke überall nur noch durch zehn- od. zwanzigjährigen, resp. durch dreißig- od. vierzigjährigen [315] Besitz, die Ersitzungszeit für bewegliche Sachen erweiterte er aber bis zu drei Jahren. Hierdurch wurde die Praescriptio longi temporis in eine wahre U. verwandelt u. auf sie die meisten Regeln der früheren U. angewendet. Die Ersitzung durch dreißig- od. vierzigjährigen Besitz, welche nicht einmal das Vorhandensein eines Justus titulus voraussetzt, wird den anderen Ersitzungsarten mit kürzerer Besitzeszeit (dann U. ordinaria genannt), gewöhnlich als U. extraordinaria entgegengesetzt. Vgl. Verjährung u. Usureceptio. 2) U. libertatis, in Betreff städtischer Grunddienstbarkeiten die Ersitzung der Freiheit eines Grundstückes von einer solchen Servitut während des Verjährungszeitraumes durch den Eigenthümer des Praedium serviens. Dieselbe setzt bei negativen Servituten voraus, daß der Eigenthümer des dienenden Grundstückes eine mit der Servitut direct in Widerspruch stehende Handlung vorgenommen haben u. der Servitutberechtigte sich die Verjährungszeit hindurch dabei beruhigt haben muß; bei affirmativen ist erforderlich, daß der Eigenthümer des dienenden Grundstückes die zur Ausübung der Servitut erforderlichen Einrichtungen geändert hat u. es bei diesen Änderungen dann die Verjährungszeit über geblieben ist. Nur eine solche U. libertatis bringt die städtischen Grunddienstbarkeiten zur Erlöschung; dagegen genügt zur Erlöschung der Servitutes praediorum rusticorum auch schon die bloße Nichtausübung der Servitut während des Verjährungszeitraumes durch den Servitutberechtigten (Non usus).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 315-316.
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