Abnutzung der Bahnanlage

[26] Abnutzung der Bahnanlage (wear and tear of the railway; usure du chemin de fer; logoro, deterioramento), die teils durch den Gebrauch, teils ohne besondere Benützung durch die Einwirkung natürlicher Verhältnisse (Temperatur, Wasser u. dgl.) eintretende Verschlechterung und Entwertung der Bahnanlage.

1. Die A. ist von der Beschaffenheit der Gegenstände und von der Art des Gebrauchs abhängig, bei Bahnverwaltungen also vor allem von der Güte und Dauerhaftigkeit der verwendeten Stoffe und von der Stärke des Verkehrs.

Daraus ergibt sich für gewisse Teile der Bahnanlage der Schluß: Je größer der Aufwand für die Herstellung, um so geringer die A. und mit ihr der Unterhaltungsaufwand. Dies gilt besonders für Kunst- und Hochbauten sowie für den Oberbau, d.i. für etwa 1/3 der gesamten Anlagekosten. Da das Verhältnis zwischen A. und Anlagekosten für die Wirtschaftlichkeit von Bahnverwaltungen sehr wichtig ist, muß es kurz betrachtet werden.

Was Brücken und ähnliche Kunstbauten (4–10% der Baukosten) anlangt, so verhalten sich die Unterhaltungskosten der Steinbrücken zu denen eiserner Brücken (Hdbch. d. Ing.-Wissensch. 1904. Brückenbau. 1. Bd., S. 400) durchschnittlich wie 1 : 24, während ihre Anlagekosten im allgemeinen nur 30–40% höher sind.

Bei den Hochbauten entspricht überwiegend der gediegeneren, teureren Herstellung eine geringere A. und daher auch ein geringerer Unterhaltungsaufwand. Nach dem technischen Auskunftsbuch von Joly (1909, S. 153) erfordert Unterhaltung und Erneuerung z.B. bei gewöhnlichen Ziegeldächern 10%, bei Biberschwanzdächern 4∙1% der Herstellungskosten. Nach Angaben des Reinhardschen Ingenieurkalenders stellen sich gleich große Gebäude, einmal als Fachwerkbau mit steinernem Erdgeschoß, das andere Mal als Massivbau mit guter Bedachung und gutem innerem Ausbau hergestellt, auf 28.000 und 40.000 M., während die Unterhaltungskosten jährlich 1∙65 bzw. 1∙15% der Baukosten betragen. Dabei ist die Lebensdauer im zweiten Falle natürlich viel größer, so daß hier die erforderliche Amortisationsquote erheblich kleiner wird.

Vergleicht man sowohl auf Grund von Beobachtungen als auch nach Angaben der Literatur (Eisenbahntechnik der Gegenwart, Bd. III, I. Unterhaltung der Eisenbahnen, S. 73 und 103) Herstellungs- und Unterhaltungskosten moderner schwerer Oberbauformen, einerseits auf Holzschwellen und Kiesbettung, anderseits auf Eisenschwellen und Hartsteingeschläge, so ergibt sich der durchschnittliche Bedarf für Unterhaltung und Erneuerung je nach den Verkehrsverhältnissen im ersten Falle mit 10–11∙5%, im zweiten Falle mit 7–9∙5% der Herstellungskosten.

Bei den Fahrzeugen ist die A. nur zum Teil maßgebend für die Unterhaltung und Erneuerung. Bei den Lokomotiven wird der Aufwand für Unterhaltung und Erneuerung sehr wesentlich dadurch mitbestimmt, ob eine Verwaltung mehr jenem System zuneigt, durch sorgfältige Unterhaltung und öftere Auswechslung einzelner Teile, die auch mit Verbesserungen und Verstärkungen verbunden werden kann, die Dienstdauer möglichst, bis zu 30 Jahren und mehr zu verlängern, oder mehr jenem anderen System, welches besonders in Amerika bevorzugt wird und darauf beruht, die Ausbesserungsarbeiten möglichst einzuschränken, die Maschinen während kürzerer Zeit stark auszunützen und sie schon verhältnismäßig bald, oft schon nach 10–12 Jahren durch neue zu ersetzen, um immer moderne Typen zu haben. Es bildet noch eine, nicht ganz geklärte Streitfrage, welches System den Vorzug verdient. Für jedes der beiden Verfahren treten hervorragende Fachleute ein.

Auch bei den Personenwagen wird die Entwertung nicht ausschließlich durch die A. bestimmt. Hier ist der Umstand von Bedeutung, ob die Betriebsverhältnisse eines Netzes es gestatten, die älteren, aber noch betriebsicheren Wagen mitzuverwenden oder ob die Ansprüche des Publikums an Bequemlichkeit und Komfort zu einer rascheren Erneuerung des Wagenparkes drängen. Von Einfluß auf die durchschnittliche A. ist auch der Unterschied zwischen Sommer- und Winterverkehr sowie zwischen gewöhnlichem und Ausflugsverkehr und die damit zusammenhängende Notwendigkeit, einen Bestand wenig ausgenützter Fahrzeuge bereit zu halten.[26]

Ähnliche Verhältnisse liegen bei den Güterwagen vor. Hier kann insbesondere die Notwendigkeit, die Tragfähigkeit zu vergrößern, dazu führen, ältere Fahrzeuge rascher auszuscheiden, als es die A. allein erfordern würde.

2. Soll der Einfluß der A. für den gesamten Besitz einer Bahnverwaltung ermittelt werden, so empfiehlt es sich, die Anlagen in einige große Gruppen einzuteilen, etwa in folgende:

Grund und Boden,

Erd- und Felsarbeiten, Kunstbauten,

Oberbau,

Stationen,

Signale und Sicherungsanlagen,

Fahrzeuge.

Über die durchschnittliche A. bei diesen Gruppen läßt sich im allgemeinen – näheres s. Ztg. d. VDEV. Nr. 28, 1910, S. 466 – folgendes sagen:

Bei Grund und Boden (durchschnittlich rund 9% des Anlagekapitals) tritt keine Entwertung durch A. ein. – Bei Erd- und Felsarbeiten, Kunstbauten u. dgl. (durchschnittlich 31% des Anlagekapitals) darf mit einer sehr langen Lebensdauer gerechnet werden. Nimmt man im Durchschnitt 150 Jahre an, so ergibt sich für diese Gruppe eine durchschnittliche jährliche Entwertung von 0∙67% des Anlagekapitals. – Der Oberbau, der früher eine längere Dauerzeit aufwies, läßt nach den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts im Durchschnitt keine längere Lebensdauer als 15 Jahre erwarten. Die Verkürzung der Lebensdauer wird zum Teil der stärkeren Inanspruchnahme durch den wachsenden und beschleunigten Verkehr, zum Teil vielleicht auch veränderten Fabrikationsmethoden zuzuschreiben sein; sie wird bei weiterem Anwachsen des Verkehrs sich voraussichtlich noch mehr verkürzen. Bei 15 Jahren Dauerzeit (Durchschnitt für Schienen, Schwellen, Kleineisen und Bettung) beträgt die durchschnittliche jährliche A. 6∙7% des Anlagekapitals. – Bei den Stationen wird häufig angenommen, daß die großen Bahnhöfe alle 30 Jahre, die kleinen Verkehrstellen etwa alle 50 Jahre umgebaut werden müssen. Nimmt man im Durchschnitt 40 Jahre an, so ergibt sich eine jährliche Entwertung von 2∙5%. Da jedoch bei den Stationsumbauten in der Regel ein Teil der vorhandenen Anlagen, der etwa zu 1/4 geschätzt werden darf, beibehalten werden kann, so wird die durchschnittliche jährliche Entwertung hier zu 2∙5% aus 3/4 des Anlagekapitals anzunehmen sein. – Bei den Signalen und Sicherungsanlagen beträgt die Dauerzeit etwa 20 Jahre, die jährliche A. also im Mittel 5% des Kapitals.

Für die Fahrzeuge rechnete bisher die Mehrzahl der Verwaltungen mit einer Lebensdauer von 30 Jahren, als Durchschnitt für Lokomotiven, Personen- und Güterwagen. Dies ergab eine jährliche durchschnittliche A. und Entwertung von 3∙3% des Kapitalwertes.

Obwohl die dieser Rechnung zu gründe gelegten Dauerzeiten der Fahrzeuge richtig sind, hat doch die Erfahrung gezeigt, daß die auf diese Weise berechnete durchschnittliche jährliche Erneuerungsquote von etwa 3% des vorhandenen Fahrparks zu hoch war.

Untersuchungen des Königl. Bayer. Ministerialrates v. Völcker haben vor kurzem diese Frage geklärt:

Würde der Fahrpark in seinem Bestände gleich bleiben und ist die durchschnittliche Dauerzeit m Jahre (z.B. 30), so ist der Bestand des ersten Jahres a nach m Jahren zu erneuern; es wäre also jährlich im Durchschnitt a/m für Erneuerung zurückzulegen d.h. in Prozenten ausgedrückt, bei 30jähriger Dauerzeit, jährlich 100/30 = 3∙3% des gleichbleibenden Fahrparkwertes.

Der Bestand und damit der unversehrt zu erhaltende Wert des Fahrparks wächst aber im allgemeinen von Jahr zu Jahr. Daraus folgt, daß der Bestand des Jahres a, der im Jahre a + m zu erneuern ist, kleiner ist als der Bestand der folgenden Jahre. Daraus folgt weiter, daß die Erneuerungsquote, wenn sie in Prozenten des jeweiligen Bestandes ausgedrückt werden soll, nicht 3∙3% sein kann, sondern kleiner als 3∙3% sein muß.

Die wirklich erforderliche Erneuerungsquote, die natürlich von den besonderen Verhältnissen der einzelnen Bahnverwaltung abhängt, auch bei der einzelnen Verwaltung nicht stets gleich bleibt, beträgt für Bayern zur Zeit rund 2% des Wertes des vorhandenen Fahrparks = rund 3% des zu erneuernden Buchwertes im Anschaffungsjahr.

Die Ergebnisse lassen sich in folgende Übersicht zusammenfassen.


1
Vom An-Die jährl. durchschn.
lagekapitalA. u. Entw. d. Teile be-
treffenträgt in % d. Buchw.
auf Grund u. Boden 9 Teile 0∙00%
auf Erd- u.
Felsarbeiten,
Kunstbauten31 Teile 0∙67%
auf Oberbau25 Teile 6∙70%
auf Stationen16 Teile 2∙50%
auf Signale u. dgl. 2 Teile 5∙00%
auf Fahrzeuge 17 Teile3∙30%
Gesamtanlage100 Teile2∙84%

[27] >Diese Ziffern sind auch von Bedeutung für die Frage der Schuldentilgung bei Eisenbahnen (s. Anleihen).

In Österreich können nach dem Personalsteuergesetze (sowie einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Juni 1909) wegen physischer A. Abzugsposten bei der Steuerbemessung für dem Heimfalle unterliegende Bahnen geltend gemacht werden.

Heubach.

1

V. 3/4 d. Anlagekapitals.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 1. Berlin, Wien 1912, S. 26-28.
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