Algier

[134] Algier. Das erste Eisenbahnprogramm, das der Kriegsminister Marschall Vaillant auf Veranlassung des Kaisers Napoleon III. im Jahre 1857 aufstellte, enthielt folgende Bahnlinien:

1. eine Bahn parallel der Küste von Algier östlich nach Constantine über oder vorbei an Aumale und Sétif, ferner westlich nach Oran, über oder vorbei an Blida, Orléansville, St-Dénis du Sig und Ste-Barbe du Tlélat;

2. Linien von den Haupthäfen nach der zu 1 geplanten Linie, u. zw. von Philippeville nach Constantine, von Bougie nach Sétif, von Bône über Guelma nach Constantine, von Ténés nach Orléansville, von Arzew und Mostaganem nach Rélizane, und von Oran über Sidi-Bel-Abbès nach Tlemcen; 1. und 2. zusammen im ganzen 1357 km.

Der Bau war in europäischer Vollspur (1∙435 m) beabsichtigt, kam aber wegen der[134] hohen Kosten nicht in vollem Umfang zur Ausführung. 1860 erteilte die französische Regierung der Compagnie des chemins de fer Algériens die Konzession für ein vollständiges Eisenbahnnetz in Algier, das von Philippeville ausgehend über Constantine nach Algier und von da über Blida nach den Häfen von Oran und Mers-el-Kebir führen und so die Hauptorte des Landes unter sich und mit dem Meer verbinden sollte. Lange Zeit jedoch blieb die am 8. September 1862 eröffnete Linie zwischen Algier und Blida (51 km) die einzige in Algier dem allgemeinen Verkehr dienende Bahn. Erst nachdem durch das Gesetz vom 11. Juni 1863 die von der vorerwähnten Gesellschaft erworbene Konzession an die Paris-Lyon-Mittelmeer-Eisenbahn übergegangen war, wurden die Bauarbeiten wieder aufgenommen und so rasch gefördert, daß schon am 1. November 1868 die Linie Oran (Hafen)-Karguenta-Rélizane (130 km) und bis 1. Mai 1871 die ganze 426 km lange Strecke Algier-Oran in Betrieb gestellt werden konnte. Noch vor der vollständigen Eröffnung dieser Bahn war am 1. November 1870 die 87 km lange Linie von Philippeville nach Constantine dem Verkehr übergeben worden. Die Baukosten betrugen für das Kilometer bei der Bahn Algier-Oran 109.259 Fr. bei der Bahn Philippeville-Constantine 487.324 Fr.

Die nach den französischen Niederlagen vom Jahre 1870/71 ausgebrochenen Unruhen in Algier verhinderten den weiteren Bau neuer Eisenbahnen; erst 1874 erhielten die neugegründeten Gesellschaften der Ost-, West- und Französisch-Algerischen Eisenbahnen Konzessionen, auf Grund deren sie seitdem die für den Handel und Verkehr des Landes wichtigsten Linien ausführten. Durch Gesetz vom 18. Juli 1879 wurde ein neues Eisenbahnprogramm aufgestellt, in dem man unterschied: strategische Bahnen, Stichbahnen von den Haupthäfen der Küste nach dem Innennetz mit Verlängerung bis zur Grenze von Tunis und Marokko; endlich Einschließungsbahnen nach dem Süden. Dieses Programm ist im wesentlichen zur Durchführung gelangt, wenn auch an Bahnbauten nach dem Süden bisher am wenigsten geschehen ist; es bestehen in dieser Beziehung bis heute nur die drei Linien nach Tebessa, Biskra und Duveyrier, denen indes die erforderlichen Zubringer noch fehlen.

Die Ostalgerische Gesellschaft besitzt folgende Linien: Algier-Constantine, nach Süden: El Guerra-Batna-Biskra, nach der Küste: Ménerville-Tizi-Ouzon und Béni-Mansur-Bougie, nach Südost: Les Ouled-Ramoun-Aïn-Beida (schmalspurig), zusammen nach dem Stande im Jahre 1908 898 km.

Die Westalgerische Gesellschaft: Von Oran nach Süden über Sidi-bel-Abbès nach Ras-el-Mâ, mit der westlichen Abzweigung von Tabia nach Tlemcen; von Oran in südwestlicher Richtung nach Aïn-Témouchent; von Blida in südlicher Richtung nach Boghari, schmalspurig, im ganzen 386 km (1907).

Die Französisch-Algerische Gesellschaft: Von Arzew nach Süden über Saida, Sain Sefra, Duveyrier nach Béni-Ounif, mit einer Abzweigung nach Osten von Aïn-Thizy nach Mascara, ferner von Mostagenem in südöstlicher Richtung über Rélizane nach Tiaret, im ganzen 925 km (1907).

Als reine Industriebahn wurde im Jahre 1863 die Linie von Bône westlich an der Küste nach Aïn-Mokra-Aïn-Mokta-el-Hadid, 33 km, gebaut, aber erst 1885 dem öffentlichen Verkehr übergeben.

Als Gesellschaft für eine Bahn von mehr örtlichem Interesse wurde, unter Gewährung einer Zinsgarantie für das aufgewandte Kapital, die Bône-Guelma-Gesellschaft konzessioniert, die von Bône in südwestlicher Richtung nach Guelma und weiter in westlicher Richtung bis Krubs zum Anschluß an die Linie Constantine-Biskra, und in östlicher Richtung von Duvivier nach Souk Ahras und bis an die Grenze von Tunis baute, nebst einer südlichen (schmalspurigen) Abzweigung von Souk Ahras nach Tebessa, im ganzen 436 km (1907).

So sind heute die Provinzen Oran, Algier, Constantine und Tunis durch ein Schienennetz untereinander verbunden, und es verkehrt u.a. ein Schnellzug mit Schlafwagen zwischen Constantine und Algier dreimal wöchentlich in jeder Richtung mit 13 Stunden Fahrzeit.

Abweichend von den früheren Konzessionierungen wollte der Staat später unmittelbar auf den Ausbau des Bahnnetzes einwirken, und zog daher, nachdem A. im Jahre 1900 in Bezug auf seinen Staatshaushalt selbständig geworden war, die Verstaatlichung der Bahnen in Erwägung. Der Anfang wurde mit der Übernahme der Französich-Algerischen Bahn gemacht; mit den anderen Gesellschaften sind die Verhandlungen noch im Gange. Durch Gesetz vom 23. Juli 1904 ist die gesamte Verwaltung der Eisenbahnangelegenheiten vom 1. Januar 1905 ab an die Kolonie übertragen.

Nach einem Parlamentsbericht des algerischen Abgeordneten Cazeneuve vom Jahre 1907 hat das früher schlecht rentierende Netz der Französisch-Algerischen Bahngesellschaft seit der Verstaatlichung folgende Überschüsse ergeben:[135]


im Jahre 1899– 40.000 Fr.
im Jahre 1900+ 368.961 Fr.
im Jahre 1901+ 1,125.700 Fr.
im Jahre 1902+ 1,141.392 Fr.
im Jahre 1903+ 1,156.624 Fr.
im Jahre 1904+ 797.582 Fr.
im Jahre 1905+ 1,498.740 Fr.
im Jahre 1906+ 1,102.779 Fr.
im Jahre 1907+ 1,137.185 Fr.

Dabei hat in dieser Zeit sowohl eine Vermehrung des Betriebsmaterials als auch der Zahl der gefahrenen Zugkilometer, eine Ermäßigung des Personentarifs für die erste Klasse um 30, für die zweite Klasse um 20% und eine Vereinheitlichung des Gütertarifs und der Güterklassifikation stattgefunden. Die Reform vom 1. November 1905 wurde vervollständigt durch Herabsetzung der Tarife bis auf die Höhe derjenigen der Paris-Lyon-Méditerranée-Gesellschaft.

Die Gesamtergebnisse der algerischen Bahnen sind aus der nachstehenden Zusammenstellung zu ersehen:


Algier

Die Algerischen Eisenbahnen hatten im Jahre 1907 folgende Einnahmen:


Betriebs-
längeGesamteinnahme
km
Paris-Lyon-Mittelmeer-
Bahn 51314,008.052 Fr.
Ostalgerische Bahn 89810,823.370 Fr.
Westalgerische Bahn 386 5,041.345 Fr.
Bône-Guelma-Eisenbahn 436 5,594.014 Fr.
Staatsbahnen 925 5,085.766 Fr.
Eisenbahn Mokta-el-Hadid 33 238.958 Fr.
Zusammen 3191 41,391.505 Fr.
Im Vorjahr 39,300.105 Fr.
+ 2,091.400 Fr.

Von den Einnahmen kamen auf Personenverkehr 11,887.792 Fr., auf Gepäck-, Post- und Eilgutverkehr 2,142.811 Fr., Güterverkehr 26,453.844 Fr.

Befördert wurden 4,052.335 (i. J. 1906: 3,873.662) Personen, Personenkilometer: 240, 803, 364 (1906: 224, 747, 770); Eilgut 24.051 t (i. J. 1906: 18.634 t), Frachtgut 3,517.587 t (i. J. 1906: 3,321.352 t), 356,400.890 (i. J. 1906: 332,348.469) tkm.

Als Zinsengarantie zahlte die französiche Regierung für das Jahr 1907 an die Ost-, West- und Bône-Guelma-Bahn insgesamt 13,072.072 Fr. (i.J. 1906: 12,694.489 Fr.); die Mittelmeerbahn zahlte für ihre algerischen Linien zurück 1,472.058 Fr. (i. J. 1906: 1,406.404 Fr.). In den 10 Jahren 1898 bis 1907 zahlte die Regierung im ganzen an Zinsgewähr: 159,621.510 Fr. Die Schuld der algerischen Eisenbahn-Gesellschaften an den Staat belief sich am 31. Dezember 1907 auf 624,300.000 Fr. (u. zw. 411,716.000 Fr. an vorgeschossenem Kapital, 212,584.000 Fr. an Zinsen für dieses).

Die Betriebslängen der algerischen Bahnen betrugen am 31. Dezember 1908:


km
Paris-Lyon-Médit. Algier-Oran 426
Paris-Lyon-Médit. Philippeville-Constantine 87
Ostalgerische Bahn 899
Bône-Guelma; Algerisches Netz 448
Westalgerisches Netz: Ste-Barbe-du-Tlétat
nach Ras-el-Ma 152
Tabia-Tlemcen 64
Tlemcen-Turenne 30
Von La Sénia nach Aïn-Témouchent 81
Blida-Berronaghia 84
Staatsbahnen 967
Gesamtsumme 3238

Im ganzen sind für den Bau der Bahnen in Algier bis zum 31. Dezember 1907 für 3191 km 634,080.129 Fr., d. s. 198.709 Fr. für das Kilometer aufgewendet worden. Die hohen Kosten sind auf das Oberwiegen der europäischen Vollspur und die Armut des Landes an Rohstoffen zurückzuführen. Auch hat man, besonders zu Anfang, wohl den Fehler begangen, daß man bei den Bahnbauten die strategischen Rücksichten zum Schaden der wirtschaftlichen Bedürfnisse des Landes zu sehr in den Vordergrund stellte.

In A. haben im Jahre 1907 folgende Nebenbahnen (d'intérêt local) bestanden:

1. Im Departement Oran: die Linie von Oran nach Arzew, im Besitz der Algerischen Eisenbahnen, 43 km lang;

2. im Departement Constantine: im Besitz der Gesellschaft von Mokta-el-Hadid eine Linie von Aïn Mokra nach Saint-Charles, 66 km; ferner im Besitze der Gesellschaft von Ost-Algerien eine Linie von Aïn-Beida nach Khenchela 54 km; alle drei Linien werden mit Dampf betrieben, im ganzen 163 km.[136]

Ferner folgende Trambahnlinien:

1. Gesellschaft der Eisenbahnen von Bône-Ouelma nebst Verlängerungen im Departement Constantine, von Saint-Paul nach Randon (Besbès) 11 km, mit Dampf betrieben.

2. Gesellschaft der Eisenbahnen auf den Landstraßen A. (sur routes d'Algérie) im Departement A.: von El-Affroun nach Marengo 19 km, Dampfbetrieb; von St-Eugène nach Rovigo und Zweiglinien 47 km, Dampf- und elektrischer Betrieb; von Dellys nach Boghni 67 km, Dampfbetrieb; von A. nach Colea 51 km, Dampfbetrieb; zusammen 184 km.

3. Gesellschaft algerischer Trambahnen: in A. vom Hôpital Du Dey nach der Voirolsäule 9 km, mit elektrischem Betrieb; M. Dalaise: von A. nach El-Biar 7 km, mit elektrischem Betrieb.

4. Im Departement Constantine: Gesellschaft von Biskra und del' Oued-Rirk, von Biskra zur heißen Quelle und Nebenlinien 11 km, mit Pferdebetrieb; Trambahn-Gesellschaft von Bône nach La Calle und Erweiterungen, von Bône nach La Calle 88 km, mit Dampfbetrieb.

5. Im Departement Oran: Gesellschaft der elektrischen Trambahnen von Oran, das Netz in der Stadt Oran 16 km Bahnen mit elektrischem Betrieb.

Die Gesamtlänge der Trambahnen beträgt 326 km.

Die Uensabahn. Im Innern des Departements Constantine findet sich nahe der tunesischen Grenze das Uensagebiet, ein reiches Erzlager, das man auf 50,000.000 t Eisenerz im Wert von 600 Mill. Fr. schätzt. Um es mit dem Hafen Bôna (an der Nordostküste von Constantine) zu verbinden und noch ein kleineres benachbartes Lager Bu-Kadra auszubeuten, müßte eine Bahn Bona-Djebel-Uensa von 245 km Länge hergestellt werden, da die Bahn Bona-Guelma die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht hat und dem aus der Uensaprovinz zu erwartenden Verkehr nicht gewachsen ist; sie umzubauen, würde ebensoviel kosten wie die Herstellung einer neuen Parallelbahn. Auch die im Süden der Provinz neu entdeckten Erzlager müssen hierbei berücksichtigt werden. Das algerische Generalgouvernement hat diese sog. Uensa-Konzession an eine internationale Vereinigung von großen Eisenwerken vergeben, darunter drei französische, drei englische, zwei deutsche und ein belgisches; Bedingung ist, daß dieser Verband die Bahn und die Hafenkais von Bona ausbaut, daß diese Arbeiten nach 30 Jahren Eigentum der Kolonie werden und für die Tonne Erz 65 Cts. Abgabe gezahlt wird. Die Kolonie war nicht geneigt, das ganze Unternehmen mit eigenen Mitteln durchzuführen, während man die Bedingungen der Übertragung an diesen Verband für günstig ansieht und diese von allen berufenen Stellen, wie z.B. Conseil supérieur, dem Gouverneur von A., der algerischen Finanzdeputation, dem französischen Staatsrat, dem Ministerrat u.s.w., genehmigt wurden. In der Pariser Abgeordnetenkammer wurde die Angelegenheit aber von den nationalen Heißspornen beanstandet und infolge gleichzeitiger sozialistischer Umtriebe auf die lange Bank geschoben. Die Angelegenheit hatte für Deutschland erhöhtes Interesse, weil auch die Aktiengesellschaft Krupp in Essen sich um die Bahnkonzession beworben hatte; die Firma ist indessen von dieser Bewerbung inzwischen zurückgetreten. Die Bahn und die Erzfrachten sollen auch dem tunesischen Hafen Biserta zugute kommen; demgemäß soll die Bahn nicht nur nach dem algerischen Hafen Bona, sondern mit einer Zweiglinie auch nach Biserta gebaut und eine Verbindungsstrecke nach Nebeur an der tunesischen, nach Biserta führenden Bahn hergestellt werden.

Das Aktienkapital ist inzwischen von 10 auf 15 Mill. Fr. erhöht worden. Die Kolonie A. soll ein Rückkaufsrecht auf die Bahn nach 30 Jahren haben. Gewinnabgaben an den algerischen Fiskus sind gleichfalls vorgesehen.

Baltzer.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 1. Berlin, Wien 1912, S. 134-137.
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