Algier

Algier

[51] Algier, eine franz. Colonie auf der Nordküste von Afrika, früher der bedeutendste unter den sogenannten Barbareskenstaaten, ist westl. von Marokko, östl. von Tunis, im S. durch die Wüste Sahara begrenzt und hat einen Flächenraum [51] von etwa 5000 ! M. Das Land wird von Zweigen des großen und kleinen Atlas durchschnitten, auf denen viele Flüsse entspringen, die sich aber sämmtlich nach kurzem Laufe, wenige ausgenommen, in das mittelländ. Meer ergießen. Das Klima ist im Allgemeinen mild und gesund; nur wenn der Samum weht, steigt die Hitze auf 34° R. und wird dann zum Ersticken, wenn sie nicht der Nordwind mildert. Die Regenzeit dauert vom Nov. bis zum Apr.; im Jan. beginnt der Frühling und im Mai gleicht das Land einem üppigen Garten; vom Jul. bis Oct. dagegen ist es ausgedörrt, zum Theil aufgerissen und mit Überresten der absterbenden Pflanzenwelt bedeckt, indem nur der Oleander sich grün erhält. Alle Früchte der gemäßigten Klimate gedeihen in A.; die Artischocke ist heimisch und kommt ohne Pflege fort; und die Cocus- und andere Palmen spenden reichlich Früchte. Von einer landwirthschaftlichen Benutzung des Bodens findet man nur wenig Spuren; Gerste und Weizen sind die gewöhnlichen Getreidearten, welche angebaut werden und einen zwölffachen Ertrag gewähren. An Metallen wird nur Blei und Eisen gewonnen; dagegen gibt es viele Mineralquellen, die im Frühling von den Einwohnern häufig besucht werden. Mehre Quellen und Flüsse setzen Salz ab und man findet ganze Salzberge und mit Salz überzogene Flächen. Außer einem Überfluß an Fischen, welche das Meer in der Nähe A.'s hegt, liefert die Küste zwischen Calla und Bona Korallen in großer Menge. Zu den Hausthieren zählt man in A. auch den Esel und das Kameel, welches letztere einer eigenthümlichen Race angehört, die größer als die asiat. ist und Demel genannt wird. Unter den wilden Thieren ist das wilde Schwein das gewöhnlichste; der Löwe, Panther, braune Bär und die Hyäne die gefährlichsten. Außerdem werden Gazellen, Stachelschweine, wilde Katzen u.s.w. und unter den Vögeln vorzüglich der Strauß gejagt. Von den Schlangen sind viele gefährlich und giftig; Scorpione, größer und giftiger als die ital., gibt es in großer Menge. Das furchtbarste Insekt für das Land sind aber die rothen Heuschrecken, welche gewöhnlich im Anfange des Mai, oftmals in ungeheurer Menge, erscheinen und mit unglaublicher Geschwindigkeit Alles auffressen, was sie auf ihrem Wege treffen. A. wird von Mauren, Berbern, Arabern, Türken, Negern, Juden und Christen bewohnt. Die Mauren, etwa 600,000, die eigentlichen Herren des Bodens, sind arab. Mischlinge und beschäftigen sich mit Ackerbau. Die Berbern, welche sich Amazirgen nennen, etwa 850,000, sind die Abkömmlinge der Urbewohner des Landes und führen in A. den Namen Kabilen oder Bergbewohner. Sie sind von weißer Farbe, athletischer Gestalt, stark und ausdauernd in Strapazen und zeichnen sich durch schöne Zähne und lebhafte Augen aus. Nicht selten sind unter ihnen blonde Haare und blaue Augen, wie man sie im nördl. Europa findet, was zur Vermuthung veranlaßte, daß sie wandalischer Abstammung seien. Sie sind ansässig und leben in Dörfern von dem Ertrag ihrer Heerden und der Jagd. Die reinen Araber oder Beduinen, 200,000 an der Zahl, sind ein Zweig jenes zahlreichen Völkerstammes, der sich von den Steppen Persiens bis nach Marokko verbreitet. Die Neger, etwa 70,000, sind theils Sklaven, theils Freie. Die Juden haben sich, obschon sie früher in A. ungemein hart behandelt wurden, doch auf 45,000 vermehrt. Bei schwerer Strafe war ihnen verboten, in der Landessprache, dem Arabischen, zu sprechen und zu schreiben; sie durften kein Pferd reiten, sondern mußten sich der Esel bedienen und vor dem Thore der Stadt absteigen; sie durften sich keinem Brunnen nähern, so lange ein Muselmann trank; mußten schwarze Kleider tragen und selbst ihren Frauen, die sich durch Schönheit auszeichnen, war es nicht gestattet, sich ganz zu verschleiern. Die ganze Bevölkerung A.'s nimmt man zu zwei Mill. an; die herrschende Religion ist der Islam; die jüdische und christliche waren früher nur geduldet. Industrie und Handel sind gleich vernachlässigt; der Handel A.'s mit dem innern Afrika beschränkt sich auf eine schwache Karawane, die jährlich zwischen Sudan und Timbuktu über Tafilet hin- und herzieht. Das Oberhaupt des Staats war bis 1830 der von den türk. Milizen gewählte Dei, welcher unbeschränkte Gewalt ausübte.

A. war einst röm. Provinz, führte den Namen Numidien oder Mauretania Cäsariensis und galt für die Kornkammer Roms; dann gehörte es zu dem griech. Kaiserthume, bis es 647 von den Arabern erobert wurde. Seitdem Spanien sich gegen das Joch seiner arab. Besieger erhob, lebten die nordafrik. von Arabern gegründeten Staaten mit jenem in stetem Kriege und machten namentlich auf span. Schiffe Jagd. Doch schon im 16. Jahrh. singen sie an, überhaupt alle christlichen Schiffe zu berauben. Um diese Zeit setzte ein kühner türk. Seeräuber, Horuk, bekannter unter dem Namen Barbarossa, sich in A. fest und unterwarf sich verschiedene Provinzen. Nach seinem Tode, 1519, erkannte sein Bruder Schereddin die Hoheit des Sultans in Konstantinopel an und erhielt den Titel eines Pascha und ein Heer Janitscharen. Seit 1627 riß aber der aus den türk. Offizieren unter dem Vorsitze ihres selbstgewählten Anführers bestehende Divan alle Gewalt an sich und schickte 1710 sogar den Pascha, der seither nur als Abgesandter der Pforte betrachtet wurde, nach Konstantinopel zurück. Seit dieser Zeit war der Dei unabhängiger Regent und erweiterte seine Macht immer mehr. Die drei Provinzen des Reichs, Oran, Titteri und Konstantine, ließ er durch Beis verwalten, welche jährlich eine bestimmte Steuer an den Staatsschatz zu bezahlen hatten. Die Einkünfte des Landes betrugen jährlich 514,800 Piaster; davon bezahlten die christlichen Staaten Dänemark, Schweden, Neapel und Portugal zum Schutze ihrer Flaggen gegen die Seeräuberei 96,000 Piaster; die Ausgaben beliefen sich auf 859,000 Piaster. Der Ausfall von 344,200 Piastern wurde durch den Ertrag der Erpressungen und des Seeraubs gedeckt und überdieß noch vom Dei ein bedeutender Schatz gesammelt. Kaiser Karl V. unternahm zuerst einen Seezug gegen A., aber sein Unternehmen verunglückte. Mehre Versuche der Franzosen in früherer Zeit, A. zu zerstören, besonders im J. 1683 und 1688, waren vergeblich. Die Engländer unternahmen zwar wiederholt Expeditionen gegen A.; allein ihrem eignen Handelsinteresse war es günstig, daß das mittelländ. Meer durch Seeräuber unsicher werde und so begnügten sie sich selbst im Jahre 1816, als es in der Macht des Lords Exmouth lag, A. zu vernichten, damit, nur das Raubsystem A.'s zu beschränken. Endlich entschied ein Fächerschlag des Deis, Hussein Pascha, gegen den Consul Frankreichs, sein und seines Staates Schicksal.

Frankreich hatte seit der Mitte des 16. Jahrh. gegen eine jährliche Abgabe von 17,000 Fr. auf einem Küstenstriche A.'s [52] die Korallenfischerei betrieben; 1817 ward dieser Zins vom Dei auf 60,000, schon zwei Jahre darauf auf 200,000 Fr. erhöht, ja im J. 1826 gab er sogar allen Nationen frei, an der Küste A.'s Korallen zu fischen. Auch hatte der Dei Frankreich wiederholt gröblich beleidigt; ja er verlangte sogar seit 1826, daß franz. Schiffe auf offener See den Algierern ihre Papiere vorzeigten. Dies und vieles Andere gab Frankreich Veranlassung, als der Dei 1827 dem von ihm durch einen Fächerschlag beleidigten Consul jede Genugthuung verweigerte, A. durch eine Flottenabtheilung blokiren zu lassen. Da dies aber nicht den erwünschten Erfolg hatte und der Dei immer übermüthiger wurde, so landete im Sommer 1830 eine franz. Flotte von beinahe 100 Kriegs- und 300 Transportschiffen mit 35,000 M. Soldaten, unter dem Oberbefehl des Kriegsministers Bourmont, in der Bai von Chika oder Sidi Ferrusch, bemächtigte sich am 4. Jul. des Kaiserforts und eroberte von der schlecht vertheidigten Landseite aus am 5. Jul. die gleichzeitig von der Seeseite hart bedrängte Stadt. Die Sieger erbeuteten 12 Kriegsschiffe, über 1500 Kanonen und in der Kaßaba oder Citadelle, wo der letzte Dei residirte, einen Schatz von mehr denn 50 Mill. Fr.; Hussein Pascha aber schiffte sich mit seinem Gefolge nach Livorno ein und lebt jetzt als Privatmann in Nizza. Wie in A., so wurden auch durch Verträge mit Tunis und Tripolis die Sclaverei, alle Tribute europ. Nationen und das Handelsmonopol abgeschafft; und Frankreich nahm nach der Juliusrevolution, in Folge deren der Herzog von Rovigo den Oberbefehl in A. erhielt, im Nov. 1830 die Stadt und das Gebiet A. als Colonie in Besitz. Die Unterwerfung des Landes ging sehr rasch von Statten und bald wehte die franz. Fahne selbst auf den Höhen des Atlas; allein wiederholt unter. nahmen die Kabilen und Beduinen bis in die neuesten Zeiten Streifzüge gegen die franz. Besatzung, und hinderten dadurch das Gedeihen der Colonie, sodaß die Erhaltung derselben noch gegenwärtig dem franz. Staate jährlich mehr denn 12 Mill. Fr. kostet.

Algier, die Hauptstadt des Landes, ist amphitheatralisch an einem Busen des mittelländ. Meer 's, am Abhange eines Hügels erbaut, an der Küste sehr stark, auf der Landseite dagegen nur schwach befestigt. Sie hat über eine Stunde im Umfange und wird von sechs Thoren umschlossen, von denen sich drei auf der Landseite befinden. Die Straßen sind eng, und die weitesten nur 12 Fuß breit. Die Häuser, insgesammt weiß angestrichen, meist zwei Stock hoch, haben flache Terrassen und einen engen Hof, nach welchem hin die Fenster gehen. Die Bevölkerung A.'s wurde 1830 auf 70,000 geschätzt, unter ihnen gegen 5000 Juden, und ist gegenwärtig wahrscheinlich ebenso stark, da die auswandernden Muselmänner durch einwandernde Christen ersetzt wurden. A. hat 13 große Moscheen, deren eine 1832 zu einer christlichen Kirche eingeweiht wurde, und eine Menge kleiner; auch eine Synagoge und seit 1832 eine Militairarzneischule. Die merkwürdigsten Gebäude sind der ehemalige Residenzpalast der Deis im obern Theile der Stadt, das Arsenal, die fünf Kasernen für die ehemalige türk. Miliz, der Bazar und die Bagnos oder Nachtbehältnisse der Christensklaven, welche jetzt sämmtlich andere Bestimmungen erhalten haben. Die Hügel, welche sich um die Stadt herum erheben, sind mit Landhäusern, Gärten, Weinbergen und Olivenwäldern bedeckt. Das Kaiserfort, die Citadelle, von Kaiser Karl V. angelegt, außerhalb der Mauern der Stadt, beherrscht dieselbe, ist aber selbst wieder von einem nahen Berge zu bestreichen. Der Hafen von A. hat nur eine schmale und bei heftigen Ost- oder Nordwestwinden gefährliche Einfahrt; auch ist er weder geräumig noch tief. Auf der durch einen Steindamm mit der Stadt verbundenen stark befestigten kleinen Insel, welche zuerst unter Ferdinand dem Katholischen 1500 mit einem Kastelle versehen ward, befinden sich ein Leuchtthurm und die für das Seewesen bestimmten Gebäude. Außer A. sind in der Colonie als die bedeutendsten Orte die beiden Handelsplätze Oran und Masalquivir, die Festung Bugia mit einem guten Hafen, Bona, Konstantine mit 30,000 Einw. und vielen röm. Ruinen; das von Kabilen bewohnte, am Fuße des Atlas gelegene Blida und im Innern Maskara und Biskara zu erwähnen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 51-53.
Lizenz:
Faksimiles:
51 | 52 | 53
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die ältesten Texte der indischen Literatur aus dem zweiten bis siebten vorchristlichen Jahrhundert erregten großes Aufsehen als sie 1879 von Paul Deussen ins Deutsche übersetzt erschienen.

158 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon