Kaiser-Ferdinands-Nordbahn

[314] Kaiser-Ferdinands-Nordbahn (k. k. priv. Kaiser-Ferdinands-Nordbahn), die älteste Lokomotiveisenbahn Österreichs, als Privatbahn erbaut und betrieben, seit 1906 verstaatlicht. Die erste Anregung zu ihrer Erbauung ging von Professor Franz Riepl (s.d.) aus, der Ende 1829, ehe man noch sonst auf dem europäischen Festland an die Ausführung von Lokomotiveisenbahnen dachte, mit dem großartigen Plan des Baues einer Eisenbahn von der Ostgrenze Österreichs (Brody) bis an die Adria (Triest) vor die Öffentlichkeit trat. Zunächst faßte man den Bau der Linie von Bochnia (Galizien) nach Wien ins Auge. Nach jahrelangen Bemühungen gelang es 1835 dem Bankhaus S. M. v. Rothschild ein ausschließliches Privilegium für 50 Jahre zur Errichtung einer Eisenbahn zwischen Wien und Bochnia mit den Nebenbahnen nach Brünn, Olmütz und Troppau, Bielitz und Biala, sodann zu den Salzmagazinen in Dwory, Wieliczka und bei Bochnia auf 50 Jahre zu erhalten.


Im Winter 1836 auf 1837 wurde mit dem Bau begonnen, der in mancher Beziehung wesentliche Schwierigkeiten bot. Man entschied sich zunächst, an Stelle des amerikanischen Oberbaues (Flachschienen auf Langschwellen, die in entsprechender Entfernung in baumwalzige Querschwellen eingelassen waren) auf Anraten Ghegas, den kostspieligeren Stuhlschienenoberbau, u.zw. nicht wie in England auf Steinwürfeln, sondern auf Querschwellen aus Eichenholz zu legen. Hieraus ergab sich eine bedeutende Überschreitung des Anlagekapitals, zumal man gezwungen war, die Schienen teils gegen hohen Zoll aus England einzuführen, teils zu sehr hohen Preisen im Inland zu bestellen, woselbst man hierfür damals nicht eingerichtet war.

Die ersten Lokomotiven wurden von G. Stephenson & Co. in Newcastle upon Tyne und John Taylor & Co. in Warrington geliefert; es befanden sich darunter noch zwei vierräderige Lokomotiven, wohl die letzten dieser Art, die Stephenson baute.


Die Eröffnung der ersten Teilstrecke bis Wagram erfolgte anfangs 1838, die der weiteren Strecke bis Brünn 1838/40.

Die Hauptbahn bis Oderberg wurde am 1. Mai 1847 eröffnet und im Herbst dieses Jahres begann der Bau der Verbindungsbahn von Oderberg zur preußischen Grenze (Annaberg), für die die Konzession der K. am 18. März 1847 erteilt wurde.

Nach Fertigstellung der beiden Anschlüsse von Oderberg an die preußischen Bahnen und von Marchegg an die Preßburger und an die im Bau begriffene Bahn nach Pest im Jahre 1848, bestand 1849 ein direkter Verkehr nach Deutschland (Breslau, Berlin), Rußland (Warschau) und 1850, nach Eröffnung der Strecke Preßburg nach Ungarn.

1856 leitete die K. Verhandlungen wegen Ankaufs der östlichen Staatsbahn und Ausbaues der galizischen Linien ein. Am 27. Januar[314] 1858 kam ein Übereinkommen zu stände, nach dem die Bahnstrecke von der preußischen Grenze bei Slupun bis Krakau und die Zweigbahn von Szczakowa bis an die russischpolnische Grenze, sodann die Flügelbahn von Trzebinia nach Oswiecim an die Nordbahn übergingen. Damit hatte die K. 1858 einen Abschluß in Krakau gefunden. Die Hauptlinie von Wien bis Krakau mit den Flügelbahnen bei Oderberg und Myslowitz und an die russische Grenze bei Granica bildete ein zusammenhängendes Bahnnetz.

Im Jahre 1867 erlangte die K. die Konzession für die Linie von Brünn nach Olmütz, Sternberg und Prerau unter der Bedingung, daß die neue Bahn ein selbständig von der alten Bahn zu verrechnendes Unternehmen bilde und Zinsengarantie seitens des Staats erhalte. Die neue Strecke erhielt die Bezeichnung »Mährisch-schlesische Nordbahn«. Die Eröffnung erfolgte 1869/70.

Im Mai 1883 begannen Verhandlungen mit der Regierung wegen Verlängerung des Privilegs. Die Kontroverse über das Recht der K. auf Verlängerung der Konzession und über das Rechtsverhältnis im Fall der Verweigerung der letzteren rief eine ganze Literatur hervor, ohne daß die Frage vollständig geklärt wurde.

Die auf Grund des Gesetzes vom 6. September 1885 bis 31. Dezember 1940 erteilte neue Konzession vom 1. Januar 1886 erstreckte sich auf die von der K. betriebenen Linien, ferner auf mehrere neu zu erbauende Linien. Die K. verpflichtete sich ferner in der Folge, eine Anzahl von Lokalbahnen gegen fallweise zu erwerbende Konzession auszuführen (ihre Eröffnung erfolgte 1889–1892).


Betriebsergebnisse:


Kaiser-Ferdinands-Nordbahn

Der Staatsverwaltung blieb das Recht vorbehalten, vom 1. Januar 1904 an, die K. einzulösen.

Die K. verpflichtete sich u.a., die aus dem Titel der Staatsgarantie für die mährisch-schlesische Nordbahn empfangenen Garantievorschüsse nebst Zinsen (zusammen 11,114.700 fl.) an den Staat zurückzubezahlen.

Dem Staat blieb unter gewissen Voraussetzungen das Tarifherabsetzungsrecht, sowie eine Beteiligung am Reingewinn vorbehalten.

Aus der nachstehenden Tabelle ist die großartige Entwicklung zu ersehen, die der Verkehr auf der K., insbesondere der Güterverkehr, genommen hat. Dieser war, wenn man von der Aussig-Teplitzer Bahn absieht, f. d. km stärker als auf allen anderen österreichischen und ungarischen Eisenbahnen. Ebenso lieferte die K., abgesehen von der letzterwähnten Bahn, die größten kilometrischen Einnahmen. Die Einnahmen aus dem Frachtverkehr waren mehr als vierfach so groß wie die aus dem Personenverkehr.

Mit Gesetz vom 31. Oktober 1906 erfolgte die Erwerbung der Linien der K. und ihrer Lokalbahnen durch den Staat, u.zw. unter folgenden Bedingungen:

Der Staat verpflichtete sich, für das Hauptbahnnetz samt Flügelbahnen eine vom 1. Januer 1906 bis 31. Dezember 1940 laufende Jahresrente von 30,537.000 K und außerdem für die Lokalbahnen teils Kapitalbeträge, teils Jahresrenten zu zahlen.

Auf Abschlag der Jahresrenten und in Anrechnung auf diese übernahm der Staat die Verzinsung und Tilgung von bücherlich auf den verstaatlichten Linien haftenden Teilschuldverschreibungen[315] in der Höhe von 253,768.200. K

Der Montan- und sonstige Privatbesitz blieb auch weiterhin im Eigentum der Gesellschaft. Der Staat verpflichtete sich aber, die gesellschaftliche Montanbahn (Mähr.-Ostrau-Dombrau) bis Ende 1940 gegen ein durch besonderen Vertrag festgestelltes Entgelt zu betreiben. Die Übernahme des Betriebs der K. für Rechnung des Staats erfolgte ab 1. Jänner 1906.

Die K. umfaßte im Zeitpunkt der Verstaatlichung die Linie Wien-Krakau mit den Flügelbahnen nach Brünn, Olmütz, Troppau, Bielitz, Granica und Myslowitz, die Flügelbahnen von Floridsdorf nach Jedlesee, von Gänserndorf nach Marchegg und von Oderberg zur preußischen Grenze; die mährischschlesische Nordbahn von Brünn über Olmütz nach Sternberg mit der Zweigbahn von Nezamyslitz nach Prerau, die Abzweigung vom Wiener Nordbahnhof zum Donaukai und zur Donauuferbahn, die Eisenbahnen von Bielitz nach Saybusch und von Lundenburg nach Grußbach und Zellerndorf, die mährischschlesische Städtebahn von Bielitz über Bistritz a. H., Hullein und Kremsier nach Kojetein, endlich die Linie Krakau – Podgórze (Krakauer Zirkumvallationsflügel) sowie eine Reihe von der K. besonders konzessionierten Lokalbahnen. Die Gesamtlänge des verstaatlichten Netzes der K. betrug 1333 km (s. Österreichische Staatsbahnen).

Röll.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 6. Berlin, Wien 1914, S. 314-316.
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314 | 315 | 316
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