Vorhalt

[1241] Vorhalt. (Musik)

Eine Dissonanz die in einem Accord eine Zeitlang die Stelle einer Consonanz vertritt und bald in dieselbe übergeht. Es ist bereits anderswo erinnert worden, woher es komme, daß in der Fortschreitung der Harmonie ein Ton oder mehrere, die zu einem vorhergehenden Accord gehören noch auf dem folgenden eine Zeitlang liegen bleiben, und die Stelle andrer zu dem Accord gehöriger Töne einnehmen1. Wir haben diese Vorhalte zufällige Dissonanzen genennt, weil sie zu der Harmonie, oder zu dem Accord, in dem sie stehen, nicht gehören, sondern nur zufälliger Weise, weil sie schon da liegen und der Uebergang von ihnen auf die dem Accord wesentlichen Töne, eine gute Würkung thut, beybehalten werden. Dadurch unterscheiden sie sich von der wesentlichen Dissonanz, die als ein nothwendiger Ton zu dem Accord gehört und vor sich da steht, da die Vorhalte nur eine Zeitlang die Stelle andrer Töne vertreten. Z.B.

Vorhalt

Ein Vorhalt kommt immer auf der guten Zeit des Takts, damit das Dissoniren fühlbarer sey und tritt auf der darauf folgenden schlechten Zeit in die Consonanz über, deren Stelle er vertreten hat, als die Quarte in die Terz, die None in die Octave u.s.f. Der Vorhalt ist von dem Vorschlag darin verschieden, daß dieser nicht von der vorhergehenden Harmonie liegen bleibet, sondern ohne diese Vorbereitung vor dem eigentlichen Ton, den man hören sollte, angeschlagen wird, und diesem hernach Plaz macht.

Die Vorhalte kommen nur in dem sogenannten schweeren oder strengen Styl vor, wo sie wegen des empfindlichen Dissonirens starke Würkung thun. Es ist aber dabey in Acht zu nehmen, daß der Vorhalt nicht länger daure als die Consonanz, an die er gebunden ist. Man kann wol eine kürzere Note an eine längere, aber nicht eine längere an eine kürzere binden. Auch ist es eine wesentliche Eigenschaft des Vorhalts, daß er nur um einen einzigen Grad von der Consonanz, an deren Stelle er steht entfernt sey.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1241.
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