Essen

[1972] Êssen, verb. irreg. act. Indic. Präs. ich esse, du issest, er isset, oder ißt, wir essen u.s.f. Imperf. ich āß, (mit einem gedehnten a und gelinden ß, gleichsam ahß,) du aßest, er aß, wir aßen u.s.f. Particip gegessen, Imper. íß. Conjunct. ich esse, du essest, er esse, u.s.f. Imperf. ich äße, du äßest, er äße u.s.f.

1) Überhaupt Speise, oder in Gestalt der Speise zu sich nehmen, kauen und niederschlucken. Was essen sie da? Ich esse Brot, Fleisch, Obst u.s.f. Eine Speise gern essen, nicht gern essen. Das kann man nicht essen, das ist nicht zu essen. Er hat kaum das liebe Brot zu essen. Was haben sie zu essen? Eines Brot essen, bey ihm seinen Unterhalt haben. Im Oberdeutschen bekommt die Sache, welche man isset, oder vielmehr, von welcher man isset, auch wohl die zweyte Endung:


Mein nächster Freund –

Der meines Brotes ißt,

Opitz,


für mein Brot, d.i. von jemanden unterhalten werden. Das Gnadenbrot bey einem essen, von ihm umsonst und aus Mitleiden unterhalten werden.


Man bilde sich einmahl ein junges Mädchen ein,

Das sich von fetter Milch die Backen rund gegessen,

Rost.


Ingleichen absolute, Speise zu sich nehmen. Wir haben gegessen und getrunken. Wir wollen erst essen. Ich habe heute[1972] noch nicht, oder noch nichts gegessen. Sich satt essen. Einem zu essen geben. Mit einem aus einer Schüssel, an einem Tische essen. Ein essendes Pfand, ein lebendiges Pfand, ein gepfändetes Thier, welches mit Nahrung unterhalten werden muß. Aber essende Waaren, für eßbare Waaren, ist ein Sprachfehler der gemeinen Mundarten.

2) In engerer Bedeutung, zur gewöhnlichen Zeit die nöthige Nahrung zu sich nehmen, die gewöhnliche Mahlzeit halten. Zu Mittage, zu Abend essen, im gemeinen Leben. Wir haben noch nicht gegessen. Zu Mittage mit einem essen. Essen sie heute bey mir, oder mit mir. Man isset vortrefflich bey ihm, wird bey ihm vortrefflich bewirthet. In beyden Bedeutungen wird von Personen, denen man Achtung erweisen will, das Zeitwort speisen gebraucht, S. dasselbe.

Anm. 1. Essen wird am häufigsten von Menschen, fressen gemeiniglich nur von Thieren gebraucht. Die gemeinen Mundarten sind reich an Wörtern, die verschiedenen Arten des menschlichen Essens auszudrucken. Hier sind ein Paar zur Probe. Wenig bey Tische essen, heißt im Oberdeutschen prangen, kläubeln. Wenig und ohne Appetit essen, im Nieders. pirtjen. Langsam und nur die besten Bissen essen, im Oberdeutschen bätzchen, im Nieders. nibbeln, im Hochdeutschen auch wohl naschen. Begierig essen, im Niedersächsischen muggen, ingaffeln, quasen, knuven, inknuven, knojen. Unreinlich essen, im Nieders. smullen. Unanständig essen, Hochdeutsch fressen. Stark, viel essen, Nieders. steveln, stieveln, snören, schüfeln (schaufeln), putzen u.s.f.

Anm. 2. Dieses Zeitwort lautet bey dem Kero ezzan, bey dem Isidor ezssan, bey dem Ottfried ezen, und im Imperf. az. Alle übrige Mundarten haben statt des Zischlautes ein t oder d, wie das Nieders. eten, das Gothische itan, das Angels. etan, das Schwed. aeta, das Dänische äde, das Engl. to eat, das Lat. edere, und das Griech. εδειν, εθειν. Statt des Mittelwortes gegessen, sagen einige Oberdeutsche Gegenden nur geessen, und zusammen gezogen gessen. Wir haben noch nicht gessen. Es scheinet, daß man für essen ehedem auch gessen und für ich esse, ich aß, ich gesse, ich gaß, gesaget habe. So sie thar tho gazun, als sie nun da aßen, Ottfr. Lasset die scharen, daß sie gangent und kaufent, daß sie gessent, in einer alten handschriftlichen Bibel bey dem Frisch. Von dieser veralteten Form ist vermittelst des Angmenti ge, noch das Mittelwort gegessen, für geessen übrig. Das Nieders. Quas und Slavon. Kwass, eine Mahlzeit, scheinen gleichfalls zu dieser Form zu gehören. S. auch Äßen, welches in einigen Mundarten für essen üblich ist. Das Factitivum von essen oder äßen ist atzen, ätzen, zu essen geben. Was die Abstammung des Wortes essen, Nieders. eten, betrifft, so scheinet es zu dem alten eiten zu gehören, welches nicht allein brennen, sondern auch stechen bedeutete, weil der Begriff des Beißens oder Kauens doch wohl der herrschende in diesem Worte ist. Vielleicht ist beißen selbst vermittelst der Vorsylbe be, ausbeißen, essen, entstanden. S. Eiter, Eiternessel, Beißen, Essig.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1972-1973.
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