Los

[2101] Los, -er, -este, adj. et adv. welches auf doppelte Art gebraucht wird.

I. Als ein Bey- und Nebenwort; wo es, 1. im gemeinen Leben, besonders der Niedersachsen, sehr häufig für locker, im Gegensatze dessen was fest ist, gebraucht wird, und zwar so wohl von dem Mangel der Befestigung. Ein loser, lockerer, Zahn. Es ist mir ein Zahn los, locker. Lose Steine in der Mauer, lockere. Ein loses Bret in der Wand, ein lockeres, nicht befestigtes. Die Haare los hängen lassen, ungebunden, uneingeflochten. Die Waaren sind sehr los eingepackt, sehr locker, nicht fest. Als auch von dem Mangel der Dichtigkeit. Loses Erdreich, lockeres. Loses Brot, lockeres Brot. Daher in Niedersachsen die Weißbäcker, welche weißes lockeres Weitzenbrot backen, Losbäcker genannt werden, zum Unterschiede von den Fast- oder Festbäckern, welche derbes Rockenbrot verfertigen, und an andern Orten Schwarzbäcker heißen. 2. Figürlich. 1) Leichtfertig; wo es aber jetzt lose lautet, S. dieses Wort. 2) Einer Sache beraubt, Mangel an derselben leidend; wo es doch nur in Zusammensetzungen gebraucht, und alsdann hinten an Hauptwörter gehängt wird, eine Beraubung, einen Mangel derselben zu bezeichnen. Die meisten Wörter dieser Art können so wohl als Beywörter, als auch als Nebenwörter gebraucht werden, leiden auch die Comparation, weil der Mangel oder die Beraubung allerdings Stufen hat. Ein hülfloses Kind, welches der Hülfe beraubt ist, keine Hülfe hat. Hülflos da liegen, ohne Hülfe. Ein grundloses Wasser, Vorgeben. Der Weg ist grundlos. Ein heilloser Mensch. Sehr kraftlos seyn. Kraftlose Speise. Sprachlos da liegen. So auch sinnlos, sorglos, ruchlos, treulos, trostlos, wehrlos, dienstlos, ehelos, ehrlos, gewissenlos, bodenlos, brotlos, fruchtlos, herrenlos, leblos, lieblos, schlaflos, und tausend andere mehr. In gottlos scheinet die mehr eigentliche Bedeutung des Mangels der Verbindung zum Grunde zu liegen. Dieses Wort ist in der höhern Schreibart von gutem Nutzen, indem sich, mit genauer Beobachtung der Analogie, vermittelst desselben noch täglich neue Wörter bilden lassen. Die endlose Ewigkeit. Du siehest die endlose Tiefe meines Verderbens. Der wolkenlose Himmel. Nahmenlose Schriftsteller, so wohl ungenannte, als unbekannte und unberühmte. Das uferlose Meer.


Der träge Körper ruht trieblos von außen her,

Dusch.


Die Veränderungen, welche das Hauptwort bey die er Zusammensetzung leidet, lassen sich nur durch den Gebrauch bestimmen. Die meisten Hauptwörter auf e werfen dasselbe weg. Hülflos von Hülfe, endlos von Ende, so auch sprachlos, lieblos u.s.f. Einige behalten es, wie ehelos. Andere werfen das en am Ende weg, wie leblos, schadlos, nahmlos, wofür man aber auch nahmenlos sagt; die meisten aber behalten es, wie bodenlos, gewissenlos. Die auf -ung, nehmen noch ein s an, hoffnungslos, nahrungslos, wofür man aber auch sagt nahrlos. Herrenlos, kinderlos und andere sind von dem Plural gebildet. Alle Wörter dieser Art lassen sich vermittelst der Sylbe keit, auch zu Hauptwörtern erhöhen, in welchem Falle sie aber vorher die Sylbe ig annehmen müssen. Die Athemlosigkeit, Gottlosigkeit, Schlaflosigkeit, Kraftlosigkeit, Leblosigkeit, Lieblosigkeit, Trostlosigkeit u.s.f. einen Zustand, und in engerer Bedeutung auch eine Fertigkeit zu bezeichnen. Verwahrlosen ist vielleicht das einzige, wo es ein Zeitwort bilden hilft.

II. Als ein Adverbium allein, der Befestigung, des Zusammenhanges mit einem andern Dinge beraubt; wo es nur allein Zeitwörtern zugesellet wird, und keine Comparation leidet.[2101]

1. Im weitesten Verstande. 1) Eigentlich, von der körperlichen Befestigung, von dem körperlichen Zusammenhange. Ein angebundenes Pferd los binden. Ein angenageltes Bret los machen. Einen Stein los brechen. Jemanden los lassen, den man hielt. Sich von jemanden los reißen. Etwas los schneiden, los hauen. Ein angeschrobenes Ding los schrauben. 2) Figürlich, der moralischen oder bürgerlichen Verbindung beraubet, von einer Verbindung, und in engerer Bedeutung, von einer Einschränkung, von einem Zwange befreyet. Einen Gefangenen los lassen, ihn in Freyheit setzen. Einen Leibeigenen, einen Gefangenen los geben, ihm die Freyheit geben. Einen Schuldner los bürgen, ihm durch seine Bürgschaft die Freyheit verschaffen. Einen Sklaven los kaufen. Sich von jemanden los machen, sich der beschwerlichen Verbindung mit ihm entledigen. Sich von einer Schuld, von einer Person los sagen, sich aller Ansprüche darauf mündlich begeben. Jemanden von einem Verbrechen los sprechen, los zählen. Sich von einer Person los reißen. Jemanden los bitten, dessen Freyheit erbitten. Los kommen, in Freyheit kommen. Von jemanden los kommen, aus der beschwerlichen Verbindung mit ihm kommen. Jemanden los helfen. Sich los schwören. Besonders mit den Zeitwörtern seyn und werden, von der beschwerlichen Verbindung mit einer Sache befreyet werden; am häufigsten, besonders in der anständigern Sprechart, mit der zweyten Endung der Sache. Einer Sache los seyn. Nun bin ich der Last los. Jetzt bin ich seiner los. Auf diese Art werden ich und du vieler Sorge los, Gell. Im gemeinen Leben auch mit der vierten. Um nur die Sache los zu werden. Jetzt bin ich ihn los.


Denn sagt, was thut man nicht, ein Übel los zu seyn?

Gell.


Ingleichen mit dem Vorworte von. Nun bin ich von ihm los. 2. In engerer Bedeutung, von Dingen, welche an einer schnellen Bewegung, an ihrem Laufe durch einen körperlichen Zwang zurück gehalten werden, wenn man diesen Zwang wegnimmt, und sie ihrer Geschwindigkeit überläßt. 1) Eigentlich. Die Hunde los lassen. Den Bogen los drücken. Los schnellen. Besonders von Schießgewehren. Ein Gewehr los schießen, los brennen. Los drücken, durch Drücken an der Zunge los schießen. Das Gewehr gehet los, wenn das Pulver Feuer fängt. 2) Figürlich, von Dingen, welche plötzlich in eine schnelle Bewegung gerathen. Nun geht das Zanken los, der Zank bricht aus. Nun geht es los, nun nimmt die Sache einen raschen Anfang. Los beichten, ohne längere Zurückhaltung heraus beichten. Los schlagen, ausschlagen, ohne längere Zrückhaltung zuschlagen. Auf jemanden los ziehen, ihn ohne Nachsicht tadeln, verleumden u.s.f. Es hätte nicht viel gefehlet, so wäre ich los geplatzet, hätte es ohne Zurückhaltung heraus gesagt. Und andere ähnliche mehr.

Anm. 1. Wenn dieses Wort den Zeitwörtern beygesellet wird, folglich ein eigentliches Nebenwort ist, so wird es mit denselben oft als Ein Wort geschrieben; losmachen, lossprechen, losgehen u.s.f. Das ist allem Ansehen nach ein Mißbrauch. Das Vorrecht der Zusammenziehung mit Zeitwörtern haben unter den Partikeln nur die Vorwörter hergebracht; einige wenige Nebenwörter ausgenommen, von welchen sich aber großen Theiles erweisen lässet, daß sie ehedem auch als Vorwörter üblich gewesen. Von los läßt sich das nun nicht darthun. So wenig man also locker machen, fest halten, leise gehen, schlaff werden, und andere ähnliche Nebenwörter mit ihren Zeitwörtern zusammen ziehet, so wenig sollte man es auch hier thun. Man muß daher diejenigen R.A. welche etwa einen besondern Nebenbegriff haben, bey den jedesmahligen Zeitwörtern aufsuchen.[2102]

Anm. 2. Dieses alte Wort lautet bey dem Ottfried, der es schon für frey gebraucht, los, im Nieders. gleichfalls los, im Schwed. lös. Auch in der Zusammensetzung ist es schon sehr alt, indem es in dieser Form bey dem Ulphilas -laus, im Angels. -leas, im Holländ. -loos, im Isländ. -laus, und im Engl. -less lautet. Es gehöret unstreitig zu dem Geschlechte der Wörter laß, lassen, ledig, so fern es schlaff bedeutet, locker, und ursprünglich auch zu allen denen, in welchen der Begriff einer schnellen Bewegung der Stammbegriff ist; S. Fleiß, Fließen, Leiten u.s.f. Das Griech. αλασσειν, befreyen, das Latein. laxus, laxare, das Hebr. חלץ, frey machen, das Wendische lozhem, absondern, und andere dieser Art sind gleichfalls damit verwandt.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 2101-2103.
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