William Pitt

[446] William Pitt, Graf von Chatham, Vater des jetzigen Ministers Pitt, war gewiß einer der größten und verehrungswürdigsten Staatsmänner, die je Englands[446] Schicksal leiteten. Von Ehrgeitz, Parteilichkeit und Herrschsucht eben so weit als von Eigennutz und Cabale entfernt, regierte er bloß durch die Ueberlegenheit seines Geistes über ganz Großbritannien. Er war ein Muster der Gerechtigkeit, enthusiastisch für sein Vaterland entbrannt, unermüdet thätig, schnell und weit hinaus blickend. In der Beredsamkeit hat ihn nie ein Engländer übertroffen. Er nahm durch Annehmlichkeit, Wurde und zugleich Stärke seiner Stimme, unterstützt von einer vortrefflichen Gebehrdenkunst (in welcher selbst Garrick ihm den Vorzug vor sich selbst einräumte), alle Gemuther für sich ein; durch seinen leichtfließenden, deutlichen, von schwerfälligen Schlüssen, Schwulst und gesuchten Witz ganz freien Vortrag wirkte er auf die Ueberzeugung Aller. Seine Reden waren erhaben und kühn; und wenn sein Affect den höchsten Gipfel erreicht hatte, erregte er allgemeines Entsetzen. – Er war der Sohn des Esquire Robert Pitt von Boconnock in Cornwall, und 1708 d. 15. Nov. geboren. Er vertauschte die Militairdienste schon früh mit den Wissenschaften eines Staatsmanns; und da ihn bald darauf der Flecken Old-Sarum zu seinem Repräsentanten im Unterhause wählte, zog er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, und bekam schon damahls wegen seines echten Patriotismus von der verwitweten Herzogin von Marlborough ein Vermächtniß von 10,000 Pfund Sterling, so wie in der Folge eine sehr ansehnliche Erbschaft von einem gewissen Pynsent. Dessen ungeachtet suchte er sich auf keine Art zu bereichern; und selbst seine größten Feinde, deren er schon damahls mehrere hatte, und die sich in der Folge unzählig vermehrten, konnten ihm nicht den geringsten Fehler des Herzens Schuld geben. Er hatte indessen die Kammerherrnstelle beim Prinzen von Wales angenommen; er legte dieselbe 1745 nieder, ward 1746 Mitschatzmeister in Irland, und in eben dem Jahre Schatzmeister und Generalzahlmeister der Armee und geheimer Rath. Er gab aber auch diese Würden bald auf, und mußte nachher, 1756, als er zum Staatssecretair des südlichen Departements erhoben worden war, seinen Posten auf Befehl des Königs, Georg II. der durch eine Cabale wider ihn eingenommen und dabei durch Widersetzlichkeit von ihm beleidigt worden war, in dem nehmlichen [447] Jahre verlassen. Das Volk, das Pitten mit Enthusiasmus anhing, bestürmte jedoch den König so unaufhörlich mit Bitten, daß er 1757 zum Staatssecretair ernannt wurde. Hier zeigte sich nun sein großer Geist in völliger Stärke. Er überstrahlte alle Mitglieder des Parlaments und alle Minister: sein Wille wurde von allen geehrt; und er war es, der die Thätigkeit der Engländer aufs neue emporhob, und während des damahligen Kriegs mit Frankreich seinem Vaterlande, durch Stiftung einer Landmiliz, Verbesserung der Flotten, Auswahl trefflicher Feldherren und andere durchdachte Plane, in wenig Jahren das demselben schon fast entrissene Uebergewicht über Frankreich und die Alleinherrschaft des Handels verschaffte. Frankreich wurde in allen vier Welttheilen geschlagen: und schon 1760 riether, diesem damahls noch unvorbereiteten Staate den Krieg anzukündigen, weil Pitt voraussah, daß Spanien den Franzosen beistehen würde; und überhaupt war sein größtes Streben die Erhebung Englands auf den Trümmern der Bourbonischen Mächte. Allein plötzlich unterbrach der Tod Georgs II. und der Regierungsantritt Georgs III. alle seine großen Entwürfe, welcher Letztere von Pitts Gegner, dem Grafen Bute, einem schlechten Staatsmann, wider ihn aufgebracht worden, so daß Pitt seine Stelle 1761 freiwillig niederlegte und bloß im Unterhause blieb. Die Stadt London brachte eine allgemeine Danksagung an Pitt, dessen Gemahlin unterdessen Baronesse von Chatham in Kent geworden war, ließ ihm zu Ehren eine Inschrift auf der prächtigen Blackfriarsbrücke anschlagen, und betrachtete ihn als das Palladium seiner Freiheit. Kaum hatte er jenen Posten aufgegeben, so vergaß man im Parlament, die von ihm beabsichtigten Zwecke zu befolgen, und säumte so lange, Spanien den Krieg zu erklären, bis es sich 1762 förmlich mit Frankreich verband. Pittrieth jetzt, da das Waffenglück für die Engländer überwiegend war, zur Fortsetzung des Kriegs, durch den man beide feindliche Staaten vielleicht ganz ohnmächtig gemacht haben würde; allein die Gegenpartei machte i. J. 1763 Friede. Bute und seine Partei wurde endlich bei dem Volke verhaßt, und Pitt behielt noch sehr starken Einfluß im Parlament. Er nahm sich des Volks bei jeder Bedrückung an. Da er schon voraus [448] sah, daß sich die Amerikanischen Colonien bei fortdauernder despotischer Strenge vom Mutterlande trennen würden, so drang er besonders i. J. 1766 auf glimpflichere Behandlung derselben und auf Widerrufung der Stempelacte. In dem nehmlichen Jahre wurde ein neues Ministerium gestiftet, wo ihn der König zum geheimen Siegelbewahrer, Viscount von Burton Pynsent und Grafen von Chatham machte. Dieses geschah jedoch nicht aus Hochachtung für seine Verdienste, sondern um ihn aus dem Unterhause, wo sein Einfluß ganz überwiegend war, in das Oberhaus zu bringen, in welchem er wegen der Majorität, die auf der Seite des Lord North und seiner Anhänger war, dem Ministerium nicht so gefährlich werden konnte. Seine beständigen Anfälle von Podagra machten, daß er schon 1768 dieser Stelle entsagte. Indessen fing man an, die Colonien immer mehr zu drücken. Pitt emvfahl oft mit der lebhaftesten Freimüthigkeit gelindere Maßregeln, besonders 1775; allein man verwarf seine Warnung, und die Colonien erklärten sich 1776 für frei. Ein abermahliger Versuch, den er 1777 zur Aussöhnung mit den Colonien machte, schlug auch fehl: umsonst zeigte er die Unmöglichkeit, die Amerikaner zu bezwingen; umsonst bewies er, daß der Krieg dieselben nur noch mehr empöre. Es war am 8. April 1778, als er, wiewohl er sehr krank war, das schlechte Verfahren der Minister gegen Amerika öffentlich tadeln zu müssen glaubte; nach geendigter Rede sank er jedoch ohnmächtig nieder, und wurde aus dem Parlament auf sein Landgut Hayes bei Kent gebracht, wo er den II. Mai dies. J. starb. Nun triumphirte Lord North, aber das Volk war untröstlich; man gab demjenigen seiner Söhne, der die Grafschaft Chatham besaß, für sich und seine Nachkommen 4000 Pf. Sterl. Jahrgeld, begrub Pitten auf öffentliche Kosten mit dem größten Pomp, und setzte ihm in der Westminsterabtei und nachher, 1782, in Guildhall prächtige Denkmähler. Viele Zuschauer konnten sich bei seiner Beerdigung, die in der Westminsterkirche geschah, der Thränen nicht enthalten; und Graf Shelburne sagte bei seinem Tode im Parlament: »Ich fürchte, daß mit Chathams Tode die Sonne der Brittischen Herrlichkeit auf immer untergegangen sei.«

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 446-449.
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