Die Schifffahrt

[94] Die Schifffahrt, oder das Befahren der Meere, Seen und Flüsse zu Schiffe, um Personen und Waaren an bestimmte Orte zu bringen, ist für die menschliche Gesellschaft unstreitig einer der wichtigsten Gegenstände. Sei es nun in Hinsicht auf die nähere Zusammenführung der Menschen zu einander, oder auf die weitumfassende Ausdehnung der Menschen- und Völkerkunde, oder in Hinsicht auf die unermeßliche Ausbreitung des Handels, oder endlich auf die vielfältigen Entdeckungen und die Erweiterung menschlicher Kenntnisse – in jeder Hinsicht bleibt die Erfindung der Schifffahrt eine der wohlthätigsten für das menschliche Geschlecht. Für die Urheber der Schifffahrt hält man die Phönicier, die wenigstens, so viel aus der alten Geschichte bekannt ist, das Mittelländische Meer bis nach Spanien befahren haben. Daß man mit den kleinsten Versuchen den Anfang machte, läßt sich nach dem Gange der meisten wichtigen Entdeckungen folgern. Wahrscheinlich sah man zuerst Stücken Holz auf dem Wasser schwimmen: und bei der Nothwendigkeit, über Flüsse und Seen zu setzen, versuchte man nun auch durch Zusammenfügung mehrerer Stücke Holz fortzukommen; so entstanden Fähren oder Flöße, auf die man trat, um über Flüsse zu setzen. (Auch die ersten Fahrzeuge der Deutschen waren hohle Bäume.) Anfänglich folgte man bloß den Ufern; wurde man vielleicht durch Stürme von denselben verschlagen, so mußten nun die Sonne und die Gestirne zu Hülfe genommen werden, um den Lauf wieder zu finden. Hatten Ungewitter oder andere Unfälle jene verborgen; so hatte man Vögel in Vorrath, welche man fliegen ließ, um ihrem Fluge nachzufolgen, weil man voraussetzte, daß sie aus einem natürlichen Hange der Gegend ihres Landes zufliegen würden. Nachdem nun vollends die Magnetnadel und der Compaß (m. s. diese Art.) erfunden worden waren, so konnten die Seefahrer vermöge des Compasses die verschiedenen Himmelsgegenden, selbst bei Nacht und trüber Witterung, erkennen und sich nun also auch außer dem Gesichte des Landes auf das hohe Meer wagen. Die Entdeckung beider [94] Indien gab Veranlassung, die Schifffahrt mit immer größerm Eifer zu betreiben; und Spanier, Portugiesen, Engländer und Holländer kannten nun kein höheres Ziel, als sie zur höchsten Vollkommenheit zu bringen: und wirklich hat man denn auch dieses Ziel beinahe erreicht. Die immer höher gestiegene Schiffbau- und Schifffahrts-Kunst – welche letztere, da sie vermittelst der Seekarten, der Magnetnadel oder des Compasses, des Bleiwurfs, durch gute Beobachtung der Winde, durch Führung der Segel und des Steuerruders, endlich noch durch die Beobachtung der Sonne und der Sterne ausgeübt werden muß, allerdings von der größten Wichtigkeit ist – hat die Gefahr, welche ehedem mit der Schifffahrt verbunden war, sehr vermindert. Die wichtigsten Entdeckungen sind von den Europäern in den übrigen Welttheilen bloß durch die Schifffahrt gemacht worden. Aber das allerwichtigste – die Vervollkommnung des Handels – ist einzig das Werk der Schifffahrt; denn nur in einem Seestaate, der beträchtliche Häfen hat und wo jene auf einen guten Fuß gesetzt ist, blüht die Handlung am stärksten; daher denn auch das Bestreben der Beherrscher der Länder, die Schifffahrt auf alle Arten zu befördern; daher die Anlegung so mancher Canäle – ein bedeutendes Beförderungsmittel der Schifffahrt – um einen Fluß in den andern, ein Meer in das andere zu leiten. Schon Carl der Große machte Versuche, die Donau mit dem Rhein und Main zu vereinigen; Friedrich Wilhelm der Große von Brandenburg vereinte die Oder mit der Spree und mit dieser die Elbe; in Frankreich wurde unter Ludwig XIV. der große Canal durch Guienne und Languedoc angelegt, um das Mittelländische Meer mit dem Atlantischen zu vereinigen. – Auch die Anlegung von Schulen, worin Seeofficiere gebildet werden (und welche zuerst Richelieu in Frankreich unter Ludwig XIV. errichtete) diente immer mehr zur Beförderung jener Zwecke, und die Schiffskunst – welche eigentlich zuerst von den Franzosen in wirkliche Regeln gebracht worden ist – steht jetzt gewiß auf dem höchsten Grade der Vollkommenheit. – Der Seegesetze, wodurch das Recht zur See näher bestimmt wird, ist schon bei dem Art. Rhodus Erwähnung geschehen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 94-96.
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