Therese-Cabarrüs-Tallien

[47] Therese-Cabarrüs-Tallien verdient nach den einstimmigen Aussagen der glaubwürdigsten Augenzeugen eine der ersten Stellen unter den achtungswerthen Personen ihres Geschlechts, und ist weit erhaben über alle die Frauenzimmer, welche durch die Revolution merkwürdig geworden sind. Die seltne Vereinigung geistiger Vollkommenheiten, schuldloser Herzensgute und körperlicher Schönheit findet sich in ihr. Sie ist die Tochter des Grafen Cabarrüs, der Bordeaux als Banquier verließ, nach Madrit ging, daselbst die reiche Witwe seines Principals heirathete und so emporstieg, daß er Stifter der Spanischen Nationalbank und der Ostindischen Compagnie ward. Der Finanzminister, Graf Lopez von Lerena, stürzte ihn unter dem Vorwand, daß er bei dem Ausbruche der Französischen Revolution große Summen nach Frankreich geschickt habe, um die Patrioten zu unterstützen. Cabarrüs wurde aller seiner Aemter entsetzt, ins Gefängniß geworfen, und erhielt erst, nachdem Spanien und Frankreich Frieden gemacht hatten (am 22. Juli 1795), Freiheit und Würden wieder, und ward nachher auswärtiger Geschäftsträger des Königs von Spanien. – Seine Tochter war schon im Jahr 1786 nach Frankreich zurückgekehrt, und hatte daselbst, einigen Nachrichten zu Folge, einen alten Parlamentsrath zum Manne genommen. Die düstere und melancholische Laune dieses Murrkopfs mußte dem jungen 14jährigen Mädchen die Ehe freilich sehr verleiden. Sie ließ sich daher bald nach dem Ausbruch der Revolution von ihm scheiden, und ging nach Bordeaux, dem Geburtsort ihres Vaters, zurück. Hier lebte sie ganz eingezogen. Der Ruf ihrer außerordentlichen Schönheit bewog den Repräsentanten Tallien, der zum Ausgange des Jahres [47] 1793 nach Bordeaux als Conventscommissair geschickt wurde, ihre Bekanntschaft zu machen. Tallien, der damahls dem Terrorismus mit allen seinen Abscheulichkeiten noch von ganzem Herzen anhing, sah die schöne Cabarrüs, und verwandelte auf einmahl die Strenge seiner proconsularischen Gewalt in Milde und Menschlichkeit. Bordeaux blieb von solchen Blutscenen befreit, dergleichen Lyon und Nantes und andere Städte Frankreichs ausgesetzt waren. Robespierre wurde unwillig über Talliens Nachsichtigkeit, bewirkte seine Zurückberufung, und ließ auch die unschuldige Cabarrüs gefangen nach Paris führen. Schon war ihr Tod beschlossen, als Tallien in der äußersten Verzweiflung den Tyrannen selbst (am 27. Juli 1794) anzugreifen wagte, und auch so glücklich war, ihn zu stürzen. Cabarrüs war nun gerettet, und ward bald darauf die Gattin ihres Befreiers. Wie wenig Antheil auch immer ihr Herz bei dieser Wahl haben mochte – denn wie hätte sie bei dem trefflichen Charakter, der durchgängig an ihr gerühmt wird, einen Mann wählen können, den, außer dem Laster der Unmäßigkeit in Liebe und Wein, die unmittelbare Theilnahme an grausamen Mordscenen besudelte? – so blieb doch immer die Handlung politisch nothwendig, und gereichte dem Herzen der Madame Tallien zur wahren Ehre. Kaum sah sich diese edele Frau mit Tallien verbunden, als sie allen Einfluß, den dieser damahls hatte – er saß nach Robespierreʼs Sturz im Wohlfahrtsausschuß – dazu anwendete, unschuldig Eingekerkerte aus den Gefängnissen zu befreien. Das war auch das einzige politische Geschäft, in welches sie sich einließ. Sie floh übrigens alle Verbindungen, worauf ehemahls Mad. Roland so stolz war. Keine Partei fand an ihr eine Stütze; und dessen ungeachtet konnte ein gallensüchtiger Journalschreiber sichs einfallen lassen, sie mit dem entehrenden Beinamen des Septemberweibes – als Anspielung auf die Sünden ihres Mannes – zu verunglimpfen. Aber Unparteiische retteten unaufgefordert ihre Ehre, und machten sichs zum Geschäft, die um Materialien verlegnen Schreiber der Tageblätter zum Schweigen zu bringen. Wäre nicht ganz Paris von dem edeln Charakter der Madame Tallien überzeugt gewesen, so würde wenigstens der Neid, [48] den sie ihrer ausgezeichneten Schönheit wegen unter den übrigen Damen erregen mußte, ihr manchen höhnischen Streich versetzt haben. Aber überall wurde sie mit Achtung aufgenommen, überall bezeugten die wahren Patrioten, daß sie die Liebe der Frau der guten Hülfe vom Jahre 1794 noch nicht vergessen hatten.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 47-49.
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