Der Tanz

[54] Der Tanz ist ein nach abgemessener Bewegung (Rhythmus) und mit gewissem Ausdruck verbundener, mit Musik begleiteter Gang. Er entstand zuerst aus dem natürlichen Triebe, bei fröhlichen Veranlassungen umher zu hüpfen, und ward nach und nach durch Geschmack und Genie zu einem Werk der Kunst. Da der Tanz zur Darstellung jeder Gemüthslage, jeder Leidenschaft fähig ist, da er auch durch eigne Ausübung weit mehr Kraft erhält, als jedes andre Werk der Kunst, das wir bloß durch Anschauen oder Anhören genießen, so verdient derselbe wohl allerdings nicht bloß als unbedeutende Lustbarkeit, sondern nach seinem eignen, [54] in der Wirkung und Ausführung bedeutenden Werthe betrachtet zu werden. – Schon in den entferntesten Zeitaltern zog der Tanz die Aufmerksamkeit der Gesetzgeber auf sich; Griechen und Römer brauchten ihn nicht bloß zum gesellschaftlichen Ergetzen, sondern auch bei ihrem Gottesdienst und bei allen öffentlichen Feierlichkeiten (eben so auch die Juden, besonders am Laubhüttenfeste): nur daß die Alten den Begriff des Tanzens weiter ausdehnten, und auch Leibesübungen, die unsrer Fechtkunst gleichkommen, überhaupt aber das, was wir h. z. T. beim Schauspiele stummes Spiel nennen, dazu rechneten. So haben sich bei allen Nationen der Erde Tänze zu allen wichtigen Festen, ernster oder fröhlicher Gattung, gemischt; und bei den wildesten Völkern findet man jede Arten der Empfindungen in ihren Tänzen ausgedrückt: Kriegs- und Friedens-Tänze, Spott- und Liebes-Tänze etc. Auch ist es ausgemacht, daß, da durch Mienen, Stellung und Bewegung jede Empfindung ausgedrückt werden kann, auch der Tanz zu Erweckung und Verstärkung jeder Empfindung tüchtig sei.

Ohne hier in eine nähere Erörterung einzugehen, wollen wir nur noch die verschiedenen Arten der Tänze kürzlich anführen. Es giebt nehmlich hauptsächlich zwei Classen: 1) die gesellschaftlichen, 2) die theatralischen Tänze. Jene, die gesellschaftlichen Tänze, werden von zwei oder mehreren Personen gemeinschaftlich nach einer kurzen Melodie und nach bestimmten Figuren und Schritten getanzt. Jedes Land hat hier seine eigenen Tänze, daher die Allemanden, Polonoisen, Augloisen etc. Es liegt dabei immer eine gewisse Empfindung, oder Gemüthsart, die man ausdrücken will, zum Grunde: bei manchen hüpfende Freude (z. B. dem Schwäbischen Tanze), bei manchen Zärtlichkeit und Sehnsucht (z. B. in den so genannten Deutschen Ländrern), oder auch ein gewisser Ernst und Anstand (wie in der Menuet) etc. Von diesen Tänzen haben viele allenthalben ein solches Bürgerrecht erlangt, daß sie fast bei allen Zusammenkünften getanzt werden, z. B. sonst Menuet, unstreitig einer der anständigsten, aber auch künstlichsten Tänze, ob er gleich neuerlich, wo man leider die öfters ins Unsittliche ausartenden Ländrer, oder vollends die so [55] genannten Ecossaisen (die, beinahe ohne allen Charakter, nur bloß in einem wilden, unbändigen Herauf-und Herunterspringen bestehen) so allgemein statt der sonst eben so beliebten Augloisen eingeführt hat, gar sehr verdrängt worden ist. Die zweite Classe, die theatralischen Tänze, welche eigentlich nur auf den Schaubühnen statt finden, werden bloß von Tänzern von Profession, und zwar entweder als Zwischenspiel zwischen den Aufzügen einer Oper (besonders bei der Oper großer Städte, wie in Paris etc.), oder als besondre Nachspiele beim Schlusse einer Vorstellung, die aber mit dem Stücke selbst weiter keine Verbindung haben, unter dem Namen Ballets, Pantomimen etc. (s. den Art. Ballet) aufgeführt. Man theilt diese theatralischen Tänze in groteske, die bloß nur ungewohnliche Sprünge, seltsame, närrische Geberden etc. vorstellen, und auf guten Geschmack eben nicht Anspruch machen; in comische, die weniger ausgelassen, aber doch lebhaft, wohl auch muthwillig sind, und überhaupt etwas belustigendes und fröhliches haben – Leichtigkeit und schnelle künstliche Bewegung sind hier Hauptsache –; in halbcharakteristische, wo eine Handlung aus dem gemeinen Leben, eine Intrigue u. dgl. zum Inhalt gewählt sind, und welche schon Zierlichkeit und feinen Geschmack erfordern; endlich in Tänze von hohem ernsthaftem Charakter: diese bestehen in Solo-Tänzen von großem, ernstem Charakter, oder in ganz bestimmten Handlungen, und hier ist überhaupt in Stellung und Bewegung die höhere Kunst am vorzüglichsten zu beachten. Diese letzten, welche auch besonders hohe pantomimische Tänze genannt werden, haben ihre Entstehung hauptsächlich dem berühmten Noverre in seinen Lettres sur la danse) zu verdanken. Ueberhaupt aber unterscheidet sich diese zwote Classe, der theatralischen, von der ersten, der gesellschaftlichen Tänze, gar sehr: diese sind nur zu geselligem Vergnügen und zur Selbsttheilnahme erfunden, so daß also auch an die Theilnehmenden selbst, oder die Tanzenden, keine zu großen Forderungen der Kunst gemacht werden dürfen, als dieses der Fall bei jenen ist, welche nur von Personen, die ausdrücklich diese Kunst studiren, und vor Zuschauern getanzt werden, [56] und wo Anstand, Geberden und überhaupt die ganze Darstellung anders beurtheilt werden müssen. – Was noch die Musik betrifft, so muß dieselbe ganz dem Charakter des Tanzes selbst angemessen sein; und es ist allerdings keine leichte Sache, eine gute Tanzmusik zu schreiben: am schwersten sind die Nationaltänze, welche in der Melodie, im Rhythmus, in den Einschnitten und Schlußfällen so viel eignes und von einander abweichendes haben, wohin z. B. besonders die Polonoisen und die Ungarischen Tänze gehören. – Bei theatralischen pantomimischen Tänzen ist die Musik ebenfalls von eigner Gattung, da sie gleichsam den Tert zu dem Gange und den Geberden des Tänzers ausmacht, mithin auch die Gemüthsbewegung andeuten muß, die der Tänzer darzustellen und auszudrucken hat.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 54-57.
Lizenz:
Faksimiles:
54 | 55 | 56 | 57
Kategorien: