Die Juden

[497] *Die Juden. Wer hat nicht in der neusten, an unübersehbaren Ereignissen so überladenen Zeit, auch die Bemühungen der Regenten mit Theilnahme gelesen, um die Verbesserungen des moralischen und politischen Zustandes dieser so merkwürdigen Nation auf alle mögliche Art zu bewirken? Ob eine völlige Reformation des jüdischen Volks jetzt schon möglich sei, das ist wohl eine Frage, deren Beantwortung erst noch spätern – vielleicht ruhigeren Zeiten aufbewahrt bleiben möchte; indessen ist nicht zu läugnen, daß schon viel, sehr viel in dieser Hinsicht gethan und vorgearbeitet worden ist. Man hat mit starken Schritten, und das mit Recht, angefangen, diese Nation immer so viel möglich den übrigen Staatsbürgern anzunähern, und ihnen Vortheile und Rechte zugestanden, zu denen auch jeder andre ruhig und arbeitsam sich betragende Bürger gelangen kann. Zu Anfange des 19. Jahrhunderts hat man z. B. in den meisten deutschen Staaten den sogenannten Judenleibzoll abzuschaffen sich angelegen sein lassen, wozu schon der edle Kaiser Joseph II. in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in den östreichischen Staaten den Anfang machte. Und wer hat nicht mit der gespanntesten Erwartung den Anstalten entgegen gesehen, welche mittelst Decrets des französischen Kaisers Napoleon v. 30 Mai 1806 zuvörderst zu einer Judenversammlung zu Paris getroffen1, [497] und zu welcher aus allen Departements des französischen Reichs Abgeordnete von der Judenschaft berufen wurden, um über die Mittel zu berathschlagen, wie unter den Juden die Ausübung nützlicher Künste und Handthierungen einzuführen sei, um durch rechtliche Erwerbe die wucherlichen und unrechtmäßigen Quellen zu verstopfen, welche seit vielen Jahrhunderten bis hieher vom Vater auf den Sohn sich fortgepflanzt hatten; überhaupt aber zu prüfen, ob in ihren Religionsdogmen nichts, was mit den Pflichten des Bürgers im Widerspruch sieht, und sie hindern kann, ihre Pflichten als Staatsbürger in ihrem ganzen Umfange zu erfüllen, enthalten sei. Die Abgeordneten kamen denn nun, 96 an der Zahl, zusammen, und eröffneten wirklich am 26. Juli – einem Sabbath – ihre Berathschlagungen, wobei ihnen hauptsächlich durch die dazu ernannten Commissarien zwölf Fragen, welche auf die obigen Absichten Beziehung hatten, vorgelegt wurden. Zwar fielen die Antworten der Erwartung der Regierung gemäß aus; allein man fand es doch für nöthig, eine wirklich allgemeine Versammlung der Juden, den sogenannten großen Sanhedrin (s. d. Art. i. d. Nachtr.) zu veranstalten, welcher die Aussprüche der Versammlung zu Glaubensdogmen und zu religiösen Gesetzen für die gesammte Judenschaft erheben möchte. Dies wurde denn auch der Versammlung unter dem 18. Sept. (1806) angekündigt, und es sollte nun dieses Collegium, außer dem Chef, noch aus 70 Mitgliedern bestehen, unter welchem ungefähr zwei Drittheil Rabbinen sein, das übrige Drittheil von der Versammlung selbst durch geheime Abstimmung gewählt und vor allen Dingen eine Comité von [498] 9 Mitgliedern bestimmt werden sollte, welche mit den kaiserlichen Commissarien die zu berathschlagenden Materien im voraus bestimmen würden. Uebrigens solle die Errichtung dieses großen Sanhedrins allen Synagogen in Europa angezeigt, und diese zu Absendung von Deputirten nach Paris aufgefordert werden. – Wirklich war das wohl der einzig richtige und zuverlässige Weg, auf welchem zu einer endlichen und durchgreifenden Reform des Judenthums zu gelangen sein konnte: durch ihre eignen Repräsentanten sollte die jüdische Nation reformirt werden. Die Versammlungen gingen denn nun auch wirklich am 9. Februar 1807 an, und es wurden bis zum 9. März acht feierliche Sitzungen gehalten, in welchen jene Beschlüsse der Versammlung durchgegangen, geprüft, und nach reiflicher Erwägung und Vergleichung mit den Vorschriften der heil Schrift und den Aussprüchen des Talmuds zu religiösen Dogmen für alle Juden, insbesondre aber für die in Frankreich und Italien, erhoben wurden. Der Rabbiner David Sinsheimer aus Strasburg, welcher beim Sanhedrin den Chef machte, Abraham Furtado aus Bourdeaux, als Präsident der Versammlung, und mehrere andre Mitglieder zeichneten sich bei diesem Sanhedrin als Leute aus, welche ganz das in sie gesetzte Zutrauen rechtfertigten. Jetzt geschah von Seiten der französischen Regierung der letzte Schritt, um das angefangene Werk zu vollenden: durch ein Decret vom 17. März nemlich wurde nun verordnet, daß in jedem Departement, wo 2000 Juden wohnen, Eine Synagoge und Ein Consistorium, zu Paris aber Ein Central-Consistorium sein soll. Jene Departemental-Consistorien müssen darauf sehen, daß den Entscheidungen jenes großen Sanhedrins gemäß gelehrt, die Synagogen gehalten, der Gottesdienst durch Gebete und Predigten gefeiert, die Juden zum Betriebe nützlicher Künste und Handwerker ermuntert werden etc. Uebrigens ist auch zugleich der Neigung der Juden zum Wucher durch mehrere sehr zweckmäßige Vorschriften vorgebeugt. – Unterm 3. April 1807 wurde denn nun der Versammlung die Beendigung ihrer Arbeiten und die [499] Entlassung der Deputirten angekündigt. Der Erfolg wird beweisen, in wie fern – wenigstens in Frankreich – dadurch der Grund gelegt sei, die Juden wirklich zu guten und nützlichen Staatsbürgern gleichsam einzuweihen.

Zum Schluß dieses Art. machen wir nur noch, zum Beweis, wie sehr auch deutsche Regenten auf alle Art für die Erhebung der jüdischen Nation zu einer höhern Stufe, als bisher, bedacht sind, auf die höchstwichtige Stättigkeits- und Schutz-Ordnung der Judenschaft zu Frankfurt, deren Verfassung, Verwaltung, Rechte und Verbindlichkeiten betreffend in 151 Paragraphen, welche der hochverdiente Fürst Primas unterm 30. Nov. 1807 hat ergehen lassen, aufmerksam, indem sie wohl einen bedeutenden Schritt zur Verbesserung der Juden begründen möchte, obgleich sie bei Vielen von dieser Nation und ihren Freunden eben nicht ganz Eingang finden will. – Auch die Vorschritte, welche die Regierung des Königreichs Westphalen in dieser Hinsicht gethan hat, dürften sehr viel zur Umbildung jener Nation beitragen.


Fußnoten

1 Die Veranlassung zu dieser Zusammenberufung wird folgendermaßen angegeben: Als nemlich der Kaiser Napoleon nach der Schlacht bei Austerlitz durch Strasburg ging, wurden ihm unter andern auch von den Behörden die grenzenlosen Wuchereien der Elsasser Juden bekannt gemacht. Aus dem vorgelegten Hypotheken-Buche ergab sich, daß die eingetragenen Summen, welche die Juden an Elsasser Bauern geliehen hatten, 6 bis 7 mal den Werth der hypothecirten Grundstücke überstiegen. Durch diese Mißbräuche fand sich der französische Kaiser sogleich bewogen, jene Judensynode in Paris zu organisiren.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 497-500.
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