Georg Christoph Lichtenberg

[560] Georg Christoph Lichtenberg, 1742 d. 1. Jul. zu Ober-Ramstädt im Darmstädtischen, wo sein Vater Landprediger war und späterhin Superintendent zu Darmstadt wurde, geboren. Seine Eltern hatten eine besondere Vorliebe für die Natur, und flößten sie auch ihren Kindern mit religiöser Weihe und frommen Sinne ein; was vorzüglich auf unsern Lichtenberg so tief wirkte, daß er seine Jugend ganz in seliger und kindlicher Schwärmerei verlebte. Als er nach dem Tode seines Vaters auf das Darmstädtische Gymnasium kam, zeigte er gleich die entschiedenste [560] Neigung zu Naturwissenschaften und bildete sich schon damals so aus, daß er seinen Mitschülern Vorlesungen über Kästners Mathematik hielt. Im 19. Jahre ging er auf die Universität nach Göttingen, wo ihm, von dem Landgraf reichlich unterstützt, seine Universitätsjahre unter anhaltendem Fleiß und Erweiterung seiner Kenntnisse, nicht blos im Felde der Naturwissenschaften, sondern auch vorzüglich in der schönen Literatur und Philosophie verflossen. Sein geliebtester Lehrer war Kästner, mit dem er auch viele wichtige Beobachtungen auf der Sternwarte anstellte, und sich schon früh dadurch einen Namen erwarb. Im Jahr 1770 ward er Professor in Göttingen, als er sich eben in London befand, wohin er einige junge Engländer zurück geführt hatte. Er ward hier bald von den Freunden und Kennern der Wissenschaften erkannt und geschätzt; selbst zum Könige, dem er durch Kästner bekannt war, erhielt er Zutritt und wurde mit Auszeichnung behandelt. Er kehrte jetzt nach Göttingen zurück, lehrte mit großem Beifall, und erwarb sich auch als Schriftsteller und geistreicher Forscher und Entdecker in seinen Wissenschaften ausgebreiteten Ruhm. Eine zweite Reise, die er im Jahr 1774 nach dem schon das erste Mal außerordentlich liebgewonnenen England unternahm, wirkte entscheidend auf seine philosophische und ästhetische Bildung, so wie wir ihr auch den geistreichen Commentar zu Hogarths Kupferstichen verdanken. Er kehrte nach Göttingen zurück und sein Leben war von nun an blos literarisch und treu seinem akademischen Berufe geweiht. Er ward wegen seiner Verdienste Großbritannischer Hofrath und Mitglied mehrerer naturforschender Gesellschaften. Seine literarische Laufbahn war übrigens sehr polemisch, besonders in Hinsicht Lavaters (s. d. Art. i. d. N.) wegen der Physiognomik Trotz seines kränklichen Körpers – er war etwas ausgewachsen – und trotz der Hypochondrie, welche in den letzten Jahren ihn befiel, und bei welcher er oft Monate lang nicht aus seinem Studirzimmer kam, behielt er doch seinen Humor bis an seinen Tod (den 24. Febr. 1799), welcher überall als ein Nationalverlust betrauert wurde. – Die kurze Charakteristik dieses außerordentlichen [561] Deutschen, die hier nur in wenigen Zeilen stehen kann, soll diesen vielseitigen Geist und seine Verdienste nicht etwa guügend und erschöpfend darstellen, sondern jeden Leser zu seinen eignen Schriften leiten. Lichtenberg war der geistreichste Naturforscher seiner Zeit, der die Natur eben so wenig als Aggregat einzelner umherliegender Trümmer beobachtete, als er ihre Kräfte für das Spiel eines selbst verzehrenden blinden Getriebes ansah. Räthselhaft, aber bewundernswürdig war an ihm, neben gelehrter Gründlichkeit und Genauigkeit, Ernst und Scharfsinn, zugleich der poetische Schwung seines Geistes, vermöge dessen er aus seiner Wissenschaft und Zeit heraustrat, mit unerschöpflichem Witze, unnachahmlichem Humor und heiterer, menschenfreundlicher Laune, die Thorheiten der After-Philosophen und Dichter und Prosaisten geißelte. Die wahre Frömmigkeit endlich, die Kindlichkeit und Einfalt seines Gemüthes, die warme Menschenliebe vollendeten diesen Mann zu der herrlichsten und liebenswürdigsten Originalität.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 560-562.
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