Lichtenberg [3]

[516] Lichtenberg, Georg Christoph, Satiriker und Physiker, geb. 1. Juli 1742 in Oberramstadt bei Darmstadt als Sohn eines Predigers, gest. 24. Febr. 1799 in Göttingen, wurde als Kind durch einen unglücklichen Fall bucklig, zeigte früh, als Schüler des Darmstädter Gymnasiums, hervorragendes Talent für mathematische Studien und bezog 1763 die Universität Göttingen, wo Kästner und Meister seine Lehrer und bald seine Freunde wurden. Er erhielt 1769 eine außerordentliche Professur daselbst und wurde 1774 Mitglied der Göttinger Sozietät der Wissenschaften. Zwei Reisen nach England (1769 und 1774) brachten ihn in Verkehr mit einer Reihe der wissenschaftlich bedeutendsten Persönlichkeiten und verschafften ihm gründliche Kenntnis englischer Verhältnisse; seine »Briefe aus England« erschienen 1776 und 1778 in Boies »Deutschem Museum«. Besonders zog ihn auch das englische Theater an, wo damals Garrick glänzte. Bald nach der Heimkehr (1775) zum ordentlichen Professor ernannt, redigierte er seit 1778 den »Göttingischen Taschenkalender«, der in einer Reihe von Jahrgängen zahlreiche wissenschaftliche und populär-philosophische Aufsätze von klassischer Klarheit und unübertrefflicher Laune aus seiner Feder brachte; 1780 gründete er mit Georg Forster das »Göttingische Magazin«. Die spätern Jahre seines Lebens verlebte er infolge von Körperleiden in hypochondrischer Abgeschlossenheit. Als Naturforscher ist er vorzüglich wegen seiner durch ausgezeichnete Apparate unterstützten Vorlesungen über Experimentalphysik sowie durch die Entdeckung der nach ihm benannten elektrischen Figuren berühmt geworden. Weitverbreiteten Ruf erwarben ihm aber besonders seine witzigen und satirischen Aufsätze populär-philosophischer Art, in denen er sich namentlich als schonungsloser Gegner der sentimentalen Phantastik der Sturm- und Drangperiode und alles wirklichen und vermeinten Mystizismus erwies. Als besonders charakteristisch sind unter Lichtenbergs satirischen Aufsätzen vor allen zu bezeichnen: die gegen den berüchtigten Nachdrucker Tobias Göbhard in Bamberg gerichteten Episteln, der Aufsatz »Über den deutschen Roman«, der sich wider Lavaters törichten Bekehrungseifer wendende »Timorus« und das köstliche »Fragment von Schwänzen«, in dem sich desselben Schwärmers dithyrambisch-hyperbolische Ausdrucksweise im Text seiner »Physiognomik« ergötzlich karikiert findet. Seit 1794 ließ L. fünf Lieferungen einer »Ausführlichen Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche« mit Kopien derselben von Riepenhausen (der Text zu den spätern Lieferungen rührt von Bouterwerk her) erscheinen, in denen er die glänzendsten Proben seiner witzigen Beobachtungsgabe durch die Interpretation der Werke des großen englischen Humoristen gab (s. Hogarth). L. gehört zu den besten deutschen Stilisten. Ungemeine Klarheit und Natürlichkeit der Darstellung zeichnen seine Schriften aus. Sie erschienen als »Vermischte Schriften« (Göttingen 1800–05, 9 Bde.), vollständiger, mit Lichtenbergs »Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche« und dem Briefwechsel, herausgegeben von seinen Söhnen (das. 1844–53, 8 Bde.); eine Auswahl veranstaltete Bobertag (in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Bd. 141) und A. Wilbrandt (Stuttg. 1893); Lichtenbergs »Aphorismen« veröffentlichte nach den Handschriften Albert Leitzmann (Berl. 1902–04, 2 Bde.); derselbe gab Aufsätze, Gedichte, Tagebuchblätter und Briefe u. d. T.: »Aus Lichtenbergs Nach laß« (Weim. 1899) und mit Schüddekopf »Lichtenbergs Briefe« (Leipz. 1901–02, 2 Bde.) heraus, denen Grisebach »Lichtenbergs Briefe an Dieterich 1770–1798« (das. 1898) hatte vorangehen lassen. Vgl. Grisebach, Gedanken und Maximen aus Lichtenbergs Schriften (mit Biographie, Leipz. 1871) und Die deutsche Literatur seit 1770 (4. Ausg., Berl. 1886); R. M. Meyer, Jonathan Swift und L., zwei Satiriker (das. 1886); Lauchert, Lichtenbergs schriftstellerische Tätigkeit (Götting. 1893); F. Schäfer, Georg Christoph L. als Psychologe und Menschenkenner (Leipz. 1899); Focke, Chodowiecki und L. (das. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 516.
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