Praxis

[557] Praxis heißt die Anwendung der Lehren einer Wissenschaft, die Ausübung einer Kunst, Fertigkeit u. dergl. m. im Leben. Man stellte ihr sonst die Theorie, d.h. die Lehre oder wissenschaftlich geordnete Erkenntniß von dem innern Zusammenhange eines Gegenstandes und von dem Verfahren bei irgend einer Handlung in dem Sinne gegenüber, daß beide häufig im Widerspruche wären und drückte das in der Behauptung aus: es könne etwas wol in der Theorie richtig sein, eigne sich aber deshalb noch nicht für die Praxis. Eine bessere Erkenntniß hat aber dargethan, daß vielmehr Praxis und Theorie in der engsten Wechselwirkung zueinander stehen und sich gegenseitig vervollkommen und berichtigen. Die Theorie betrachtet allerdings die Gegenstände vorzugsweise aus einem allgemeinen Gesichtspunkte und hält sich deshalb an die wesentlichen Erfodernisse, Mittel und Wege, um einen beabsichtigten Zweck zu erlangen. Indem sie aber eine möglichst vollkommene Einsicht in diese Verhältnisse gewährt, setzt sie zugleich in den Stand, bei den einzelnen Fällen der Ausübung zu beurtheilen, welche besondere Umstände jenen wesentlichen Erfodernissen etwa hinderlich sein könnten, und an dem Ausübenden ist es dann, für den einzelnen Fall berechnete Maßregeln zum Gelingen seines Vorhabens zu ergreifen. So muß z.B. der Arzt bei der Anwendung seiner Theorie die eigenthümliche Körperverfassung des Kranken beachten und die Vorschriften jener derselben anpassen. Dies aber erfodert sowol im hier angeführten besondern Falle wie im Allgemeinen wieder eine eigne Geschicklichkeit, die nicht Jeder besitzt, daher es vorkommt, daß Jemand die Theorie von Etwas vollkommen inne hat und doch in der Praxis davon nicht den rechten Gebrauch zu machen versteht. Wer darin geübt ist, heißt vorzugsweise ein Praktiker, wer dagegen etwas verrichtet, ohne eigentlich zu wissen, wie und warum die von ihm angewandten Mittel zum Zwecke führten, ist ein bloßer Empiriker oder Routinier. (S. Erfahrung.) Was sich zunächst auf das Handeln und Thun im Leben bezieht, heißt praktisch und man nennt auch wol Menschen so, welche sich gewandt in alle Verhältnisse zu finden wissen. In besonderer Bedeutung wird von ärztlicher und von juristischer Praxis gesprochen und dann der Geschäftskreis (die Kunden) eines Arztes oder eines Anwalts darunter gemeint. – Den Namen Praktikant bekommen gewöhnlich junge Leute, welche sich in der Anwendung von etwas Erlerntem üben und vervollkommnen und deshalb, wie z.B. junge Rechtsgelehrte, bei einem Gericht oder einem Anwalt als Rechtspraktikanten arbeiten oder wie Solche, welche Forstwissenschaft studirt haben, die Geschäfte von Forstbeamten als Forstpraktikanten theilen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 557.
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