Ariadne

[285] Ariadne. Die Tochter des Königs von Kreta, Minos des Zweiten. Als Theseus von Athen ausgezogen war, um jenen schimpflichen Tribut von Jünglingen und Mädchen zu lösen, welche die Athener alljährlich nach Kreta senden mußten, damit sie dem Minotauros, einem Ungeheuer, halb Mensch, halb Stier, dessen Aufenthalt in dem berühmten Labyrinth war, als Speise vorgeworfen würden, gelang es dem Helden, die Liebe der Königstochter zu gewinnen. Sie gab ihm heimlich einen Garnknäuel, damit es ihn möglich werde, den Ausgang aus dem Labyrinth wieder zu finden. Theseus ging hinein, tödtete den Minotauros, befreite die Gefangenen und fand glücklich den Ausgang. Vater und Vaterland dem Geliebten aufopfernd, folgte Ariadne ihm auf sein Schiff, aber schon auf der Insel Naxos mochte er ihrer überdrüssig sein, und schiffte sich heimlich ohne sie, mit seinen Gefährten und den Befreiten ein. Verzweifelnd fand sich Ariadne verlassen, und wollte sich in das Meer stürzen, wie sie in weiter Ferne die weißen Segel von Theseus's Schiff verschwinden sah, aber da kam ein anderes Schiff mit Epheukränzen geschmückt, Thyrsusstangen waren die Masten, Blumengewinde die Taue; es war Bacchus, der mit dem Gefolge seiner Mänaden von dem großen Zug nach Indien heimkehrte, und auf Naxos landete. Er tröstete die Verlassne, bat um ihre Liebe, und als sie einen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit wagte, warf er, als Zeichen seiner Gottheit, ihre goldne Stirnbinde gen Himmel, wo sie seitdem als das Sternbild Corona strahlt. Ihm folgte nun Ariadne auf seinem Triumphzug, und theilte seinen[285] Glanz und Ruhm. Diese schöne Mythe ist häufig zum Stoff künstlerischer Behandlung gewählt worden, und Poesie, dramatische Kunst, Malerei und Plastik haben sich an Ariadne auf Naxos versucht. Den meisten Ruf hat in neueren Zeiten die von Danneker in Marmor ausgeführte Ariadne erlangt, die sich in dem Bethmann'schen Museum in Frankfurt am Main befindet. Man kann nichts Zarteres und Herrlicheres sehen, als dieses hohe Meisterwerk deutscher Kunst, welches sich kühn neben die hochgefeierten antiken Bildwerke stellen kann.

–ch–

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 285-286.
Lizenz:
Faksimiles:
285 | 286
Kategorien: