Castilien

[294] Castilien, ehemals ein berühmtes selbstständiges Königreich der pyrenäischen Halbinsel, jetzt ein Theil von Spanien, welcher von Asturien, Biscaja, Navarra, Aragon, Murcia, Leon und Portugal umgränzt ist. Eine von Osten nach Westen sich erstreckende Gebirgskette theilt dasselbe in Alt- und Neucastilien; beinahe alle Hauptflüsse Spaniens bewässern das Land, welches Wein, Getreide und Safran, so wie zahlreiche Herden hervorbringt und nährt, doch im Allgemeinen einen felsigen, unfruchtbaren Boden hat [294] Madrid (s. d.) und Toledo sind die Hauptstädte dieses Reiches, das einst in der Maurenzeit hoch berühmt war. Seine Geschichte ist mit der von ganz Spanien zu innig verwebt, als daß wir nicht darauf hinweisen sollten. Unter allen Bewohnern Spaniens ist der Castilianer der stolzeste, ist die Castilianerin die erhabenste, und wenn auch nicht die schönste, (dieses Prädikat gebührt den Abkömmlingen der alten Deutschen in den Gebirgen von Biscaja, den Celten) doch gewiß diejenige, welche sich dafür hält. Ein ungezähmter Hochmuth beseelt diese Nachkommen des Cid, so daß sie noch immer, wie vor 500 Jahren die erste Nation der Welt zu sein glauben. Die Männer sind fast gänzlich ohne Bildung, und wären die Frauen nicht durch natürlichen Verstand ausgezeichnet, so würde ihnen aller Reiz, alle Anmuth fehlen, da ihre geistige Bildung noch weit mehr vernachlässigt ist, als die der Männer. Die ritterlichen Mauren lehrten ihre Feinde, die Spanier, selbst ritterlich sein, und das schöne Geschlecht hoch achten. Deßhalb sind die Frauen dort nicht von der Thronfolge ausgeschlossen, und erben in Allem dem ältesten Sohne gleich, so daß in Ermangelung eines erstgebornen Knaben die erstgeborne Tochter mit Ausschluß der ihr folgenden Brüder die Besitzungen und die Titel bekommt, und dieselben auf ihren Gatten überträgt, daher oft ein Mann von untergeordnetem Range zum Grande wird, dadurch, daß die Witwe eines Granden, oder die Tochter eines solchen, (wenn sie keine Verwandten haben) Jemanden heirathet, der niedriger steht als sie, wodurch er die genannte hohe Würde erhält. – Don Ranudo de Colibrados, ein altes Lustspiel von Kotzebue, schildert den castilianischen Adel und Hochmuth mit den treffendsten Zügen.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 294-295.
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