Guillemine

[73] Guillemine, eine religiöse Schwärmerin des 13. Jahrhunderts, die im Süden von Europa vieles Aufsehen erregte und sogar Stifterin einer religiösen Sekte wurde. In Mailand, wo[73] sie zuerst mit ihren Wundern und Prophezeiungen auftrat, zog sie durch Frömmigkeit und strenge Bußübungen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Sie behauptete, die Tochter der Königin Konstanze von Böhmen zu sein, die, gleich der Jungfrau Maria, vom heiligen Geist beschattet worden wäre. Ein weiblicher Messias, sei der Erzengel Raphael ihr Verkündiger gewesen, sie selbst sei bestimmt, die reine christliche Lehre wieder herzustellen und den Gottesdienst auf seine ursprüngliche Einfachheit zurück zu führen. Guillemine fand zahlreiche Anhänger vorzüglich unter den Frauen, die sich nach ihrem Beispiele, wie die Priester der katholischen Kirche, eine Tonsur scheren ließen, dieselbe aber verborgen tragen mußten. Die Versammlungen wurden sehr geheimnißvoll in Wäldern und Höhlen gehalten, sie selbst verwaltete das Amt einer Oberpriesterin, worin ein Landsmann Saramita sie unterstützte, und stand fünf Jahre, während welcher sie täglich neuen Zulauf von Gläubigen empfing, an der Spitze dieser Verschwisterung frommer Frauen. Sie starb 1280 und genoß nach ihrem Tode die Verehrung einer Heiligen. Zur Oberpriesterin hatte sie eine ihrer treuesten Anhängerinnen, Manfrede Pirovana, bestimmt, welche die Auferstehung und Himmelfahrt der Prophetin verkündigte und den baldigen Sturz des päpstlichen Stuhles prophezeiete, der dann von den vier Evangelisten würde eingenommen werden. Erst mehrere Jahre nach Guilleminens Tode ward durch Zufall, indem ein Mann verkleidet sich in die geheime Versammlung eingeschlichen hatte, entdeckt, daß hinter dem Schleier der gereinigten Lehre die gröbsten Unsittlichkeiten schamlos getrieben wurden. Auf die Anzeige davon wurden Pirovana und Saramita zur Rechenschaft gezogen, für schuldig befunden und sammt dem Leichnam der Guillemine, den man dazu wieder ausgegraben hatte, öffentlich verbrannt.

X.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 73-74.
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