Semiramis

[204] Semiramis, Königin von Assyrien, geb. gegen das Jahr[204] 1240 vor Ch. Geb. Was uns die ältern Schriftsteller über das Leben dieser Fürstin hinterlassen haben, enthält so viel Fabelhaftes und Widersprechendes, daß es sehr schwer ist, das Wahre von dem Unwahren zu unterscheiden. Diodor von Sicilien erzählt: Die Syrier verehrten eine Gottheit, Derceto, welcher die von ihr beleidigte Venus, die glühendste Leidenschaft für einen jungen Opferpriester einflößte. Derceto ward Mutter, aber über ihre Schwäche erröthend, setzte sie ihr Kind auf einen Felsen aus und stürzte sich selbst in den See von Ascalon. Das kleine Mädchen wurde von einem Schäfer, Namens Simma, gefunden, der sich desselben annahm und Semiramis nannte. Als sie herangewachsen war, fesselte ihre überraschende Schönheit das Herz eines vornehmen Mannes, Menones, der sie zu seiner Gattin wählte. Bald darauf sah sich jener genöthigt sein junges, schönes Weib zu verlassen, um dem Könige Ninus zur Belagerung von Baktrien zu folgen. Als sich diese in die Länge zog, wünschte Menones S. zu sehen; er sandte Boten aus, um ihr sein Verlangen mitzutheilen. Sie kam unerkannt, verkleidet in das Lager, beobachtete den Stand der Belagerung, erbat sich eine geringe Anzahl Soldaten, überfiel und bemächtigte sich mit diesen des Platzes und gab sich nun erst dem Könige und ihrem Gemahle zu erkennen. Ninus bewunderte den Muth und die Entschlossenheit, mehr aber noch die Reize der Heldin und vermochte dem Wunsche nicht zu widerstehen, S. zu seiner Gemahlin zu erheben. Menones gab sich aus Verzweiflung hierüber den Tod und seine Witwe wurde Königin von Assyrien. Als solche gebar sie einen Sohn, Ninyas, und bald darauf starb ihr Gemahl, wie einige behaupten, durch ihre Hand, um nicht ferner mit ihm die Herrschaft zu theilen. Von da an überließ sich S. ganz ihren Neigungen und Herrscherlaunen. Sie erbaute die Stadt Babylon, die an Schönheit und großartigen Werken der Baukunst alles überragte, was man bisher zu sehen gewohnt war. Die ungeheuren Mauern, welche die Stadt umringten, die Brücke über den Euphrat, [205] der durch die Stadt floß, ihre Befestigungen, Paläste, Tempel und Gärten schildert uns Diodor als Denkmale der Thätigkeit, der Prachtliebe Und des Genies dieser Fürstin. Zwei Millionen Arbeiter sollen bei den verschiedenen Bauwerken, die im Verlaufe eines Jahres beendigt wurden, beschäftigt gewesen sein. Hierauf unternahm die Königin einige kriegerische Züge gegen die Meder, Perser, Libyer und Aethiopier. Sie durchreiste ihr weites Reich, und bezeichnete ihren Weg durch Gründung von Städten und Palästen, die ihren Namen mit strahlendem Glanze umgaben. Berge wurden in Thäler verwandelt, Canäle gegraben und große Heerstraßen nach allen Richtungen hin eröffnet. Doch verweigerte sie stets einen Gemahl an ihrem Ruhme Theil nehmen zu lassen, um sich nicht unter das Joch eines neuen Herrn beugen zu müssen. S. wußte sich zu entschädigen, indem sie die schönsten Männer des Heeres, wovon jedoch keiner die königliche Gunst lange überlebte, in ihre Nähe zog. Nach einer Reihe von Friedensjahren erklärte sie plötzlich den, ihr als das größte Volk der Erde geschilderten, Indiern den Krieg. Ungeheuere Zurüstungen wurden zu dieser Unternehmung getroffen, die so unglücklich ausfiel, daß nur zwei Drittheile des Heeres in die Heimath zurückkehrten. Als S. ihre Staaten wieder erreicht hatte, empörte sich Ninyas, ihr Sohn, gegen sie. Längst war ihr dieses Schicksal durch das Orakel des Jupiter Ammon verkündet worden. Sie entsagte freiwillig der Krone und verschwand vor den Augen der Welt in die Dunkelheit des Privatlebens. S. stand damals im 62. Jahre und hatte 40 Jahre lang über Assyrien geherrscht. Ihren Tod, der von verschiedenen Schriftstellern in das Jahr 1179 gesetzt wird, schreiben Einige ihrem Sohne Ninyas zu, wie sich überhaupt über die Einzelnheiten ihres Lebens die größten Abweichungen vorfinden; so gaben mehrere behauptet, sie sei die Tochter, nicht die Gemahlin des Ninus gewesen. In ganz Assyrien wurden nach S's Tode Lobgesänge angestimmt, und ihr göttliche Ehren zuerkannt.

E. v. E.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 204-207.
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