Denkgesetze

[210] Denkgesetze (logische Axiome) sind 1) psychologisch – die natürlichen Bedingungen, unter denen das Denken (s. d.) sich vollzieht; 2) logisch – die Postulate des Denken- und -Erkennen-wollens, des einheitlichen und seine Einheit bewahren-wollenden Ich, denen alles Denken folgen muß, soll, weil sonst eine normale, fortschreitende, erkennende Function desselben nicht möglich ist und weil sonst die Einheit, der Zusammenhang des (geistigen) Ich in Frage gestellt wird. Die Denkgesetze sind Normen des Denkwillens. Sie sind die allgemeinsten Bedingungen des Erkennens, des empirischen wie des speculativen. Die specificieren sich in die Sätze der Identität (s. d.), des Widerspruches (s. d.), des ausgeschlossenen Dritten (s. d.) und des Grundes (s. d.).

Dem älteren Rationalismus gelten die Denkgesetze als »ewige Wahrheiten« (s. d.), d. h. als unmittelbar evidente und allgemein-notwendig aufzustellende Gesetze für das Denken. Sie haben apriorische (s. d.) Natur. So nach PLATO, ARISTOTELES, nach den Scholastikern, nach DESCARTES (Princ. philos. I, 49), LEIBNIZ, CUDWORTH, der schottischen Schule u. a. J. G. FICHTE leitet die Denkgesetze aus »Setzungen« des Ich (s. d.) ab. SCHOPENHAUER bezeichnet sie als »metalogische Wahrheiten« (W. a. W. u. V. Bd. I, 454), ULRICI als Gesetze der unterscheidenden Tätigkeit des Denkens (Log. S. 93 ff.). Nach RÜMELIN sind die Denkgesetze »nicht in dem Sinn Gesetze, daß sie ein ausnahmsloses tatsächliches Geschehen bewirkten, sondern sind die Regeln, von welchen das aufmerksame, unbeirrte und auf Erkenntnis der Wahrheit gerichtete Denken unwillkürlich geleitet wird und sich leiten lassen muß, wenn es zur Wahrheit gelangen und andere davon überzeugen will« (Red. u. Aufs. II, 123). Nach SIGWART sind sie »die ersten und unmittelbaren Ergebnisse einer auf unsere Denktätigkeit selbst gerichteten, sie in ihren Grundformen erfassenden Reflexion« (Log. II, 40). Nach WUNDT sind die Denkgesetze zugleich »Gesetze des Willens« (Log. I2, 79 f.). Die psychologischen Denkgesetze »sagen nur aus, wie sich unter gewissen Bedingungen das Denken tatsächlich vollzieht«, »die logischen Denkgesetze aber sind Normen, mit denen wir an das Denken herantreten, um es auf seine Richtigkeit zu prüfen.« Da es kein Denken ohne Inhalt gibt, so sind sie zugleich die allgemeinsten Gesetze des Denkinhalts selbst. Sie sind von allgemeinster Geltung, weil jedes Anschauungs- und Denkobject ihre Gültigkeit beanspruchen muß. Insofern sie auf der Erfahrung fußen, durch diese ausgelöst werden, sind sie Erfahrungsgesetze. Die Denkgesetze sind sowohl Anschauungsgesetze als Begriffsgesetze. Sie sind »die allgemeinsten Gesetze, die unser Denken bei der Verknüpfung der empirischen Tatsachen[210] befolgt«. Zugleich sind sie Postulate (Log. I2, 558 ff.; Syst. d. Phil.2, S. 67, 77, 150, 152 ff.; Phil. Stud. XIII, 405). Nach JODL folgt das Denken seinen eigenen Gesetzen, »aber diese Gesetze des Denkens sind nur der Reflex jener Gesetzmäßigkeit, welche unser Bewußtsein schon auf primärer Stufe im Zusammenwirken mit den Dingen erzeugt« (Lehrb. d. Psychol. S. 639 f.). Nach SCHUBERT-SOLDERN sind die Denkgesetze nur »möglichst einfache Beispiele der einfachsten Denkbeziehungen« (Gr. e. Erk. S. 177). Nach HUSSERL sind die Denkgesetze Verstandesgesetze überhaupt, ideale Gesetze (Log. Unt. II, 668). Sie sind die Normen des Denkens, das echte logische Apriori (l.c. S. 670). Nach NIETZSCHE ist die Grundvoraussetzung der Denkgesetze die (irrtümliche) Annahme, daß die Wirklichkeit aus beharrenden Dingen bestehe (WW. III, 1, 12, S. 30).

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 210-211.
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