Mendelssohn, Moses

[465] Mendelssohn, Moses (ursprünglich Moses Dessau), geb. 1729 in Dessau als Sohn eines jüdischen Lehrers, kam als Knabe nach Berlin, wo er in großer Dürftigkeit lebte, mit seiner Selbstausbildung beschäftigt. Von Philosophen las er (außer Maimonides) Locke, Cicero, dann – nachdem er Hauslehrer und später Buchhalter bei dem Seidenwarenfabrikanten Bernhard geworden war – Spinoza, Leibniz, Wolff, Baumgarten, Shaftesbury u. a. Nach dem Tode seines Chefs wurde M. Teilhaber, dann Leiter des Handlungshauses. 1754 wurde er mit Lessing bekannt, der ihm bekanntlich im »Nathan« ein Denkmal gesetzt hat. Durch Lessings Vermittlung wurde M. Mitarbeiter an der von Nicolai herausgegebenen »Bibliothek der schönen Wissenschaften«. Die Berliner Akademie erwählte ihn 1771 zu ihrem Mitgliede, aber Friedrich der Große strich ihn, der bei aller Aufklärungsphilosophie durchaus Jude geblieben, aus der Liste. Der schwächliche, bucklige Mann, ein lauterer Charakter, starb am 4. Januar 1786.

M. – dessen Bedeutung für das deutsche Judentum hier nicht in Betracht kommt – gehört zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen Aufklärungsphilosophie. Die Philosophie soll nach ihm dem Leben, der Glückseligkeit dienen und den Weisungen des gesunden Menschenverstandes folgen. Von der Metaphysik ist M., der besonders von der Leibniz-Wolffschen Philosophie, aber auch von Locke, Shaftesbury u. a. beeinflußt ist, überzeugt, daß sie an Gewißheit, Evidenz, wenn auch nicht an Klarheit, der Metaphysik gleichkomme. Die metaphysischen Wahrheiten sind »zwar derselben Gewißheit, aber nicht derselben Faßlichkeit fähig... als die geometrischen Wahrheiten«. Es gibt drei Erkenntnisarten: die anschauende Erkenntnis der inneren Erfahrung, die demonstrative Vernunfterkenntnis, die äußere Erkenntnis, deren Gegenstand, die Außenwelt, eine von uns unabhängige Realität hat: »So wie ich selbst nicht[465] bloß ein abwechselnder Gedanke, sondern ein denkendes Wesen bin, das Fortdauer hat, so läßt sich auch von verschiedenen Vorstellungen denken, daß sie nicht bloß Vorstellungen in uns oder Abänderungen unseres Denkvermögens sind, sondern auch äußerlichen, von uns unterschiedenen Dingen, als ihrem Vorwurfe, zukommen«. Das Dasein Gottes sucht M. namentlich durch das ontologische Argument zu beweisen, indem er aus der Möglichkeit des vollkommensten Wesens, welche feststeht, die Wirklichkeit desselben folgert, da die bloße Möglichkeit (als Abhängigkeit von anderem) dem Begriffe des vollkommensten Wesen widerstreite. Die Seele ist immateriell und einfach, sie steht mit dem Leibe in Wechselwirkung. Die Unsterblichkeit der Seele sucht M. (im »Phädon«) auf verschiedene Weise zu beweisen, vor allem durch die Behauptung, ein einfaches Wesen könne nicht durch Auflösung in Teile untergehen (dagegen wendet sich später Kant) und durch den Hinweis darauf, daß die vernünftigen Wesen, welche nach Vollkommenheit streben und der Endzweck der Welt sind, nicht an ihrer Bestimmung gehindert sein können.

Für die Psychologie hat M. insbesondere dadurch Bedeutung, daß er (wie Sulzer und Tetens) das Gefühl (als Empfindungs- oder »Billigungsvermögen«) als selbständigen seelischen Zustand zwischen Erkenntnis- und Begehrungsvermögen auffaßt. Auf dem Gebiete der Ästhetik, die er psychologisch begründet, hat M. manche gute Bemerkungen gemacht. Das Gefühl der Schönheit beruht auf der »undeutlichen Vorstellung einer Vollkommenheit« und setzt »Einheit im Mannigfaltigen« voraus. Das Streben nach Vollkommenheit ist der Grundtrieb der menschlichen Natur und auf ihm beruht auch die Ethik,. deren oberstes Prinzip lautet: »Mache deinen und deines Nächsten inneren und äußeren Zustand, in gehöriger Proportion, so vollkommen, als du kannst.« Denkfreiheit und Toleranz gegen alle Religionen ist zu fordern.

SCHRIFTEN: Philosophische Gespräche, 1755. – Briefe über die Empfindungen,. 1755. – Betrachtungen über die Quellen und die Verbindungen der schönen Künste und. Wissenschaften, 1757. – Über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften, 1764;. 2. A. 1786 (gekrönte Preisschrift der Berliner Akademie). – Schreiben an Lavater, 1770 (Erwiderung auf das Ansinnen Lavaters, M. solle entweder Bonnets Rechtfertigung des Christentums widerlegen oder aber Christ werden). – Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, 1783 – Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes, 1785. – Mendelssohn an die Freunde Lessings, 1786 (gegen Jacobis Behauptung des »Spinozismus« Lessings). – Werke. 1761, 1777, 1789, 1838, 1843-44 (7 Bde.), 1849 (12 Bde.), 1880. – Vgl. KAYSERLING, M.s philos. und religiöse Grundsätze, 1856; M. M., 1862, 2. A. 1888; M. M., Ungedrucktes und Unbekanntes von ihm und über ihn, 2. A. 1888. – SANDER, D. Religionsphilos. M.s, 1894.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 465-466.
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