Geographische Grundlagen. Nordvölker und Semiten

[377] 330. Die großen Gebirgsketten, welche, von den Alten unter dem Namen des Tauros zusammengefaßt, das klein-asiatisch-armenische Hochland im Süden umrahmen und dann, nach Südosten umbiegend, in den Terrassen des Zagrosgebirges bis zum Persischen Meerbusen hin den Ostrand des iranischen Plateaus bilden, sind geographisch wie geschichtlich die Völkerscheide Vorderasiens. Im Norden, in den Gebirgen und Hochflächen Kleinasiens und Armeniens bis zum Kaukasus und zum Kaspischen Meer, hausen zahlreiche Volksstämme, die, wie es scheint, nur teilweise unter einander verwandt sind-im Bereich des Kaukasus sitzen bekanntlich noch gegenwärtig, abgesehen von den Armeniern, Türken und Russen, etwa ein Dutzend ganz verschiedener Sprachstämme auf engem Raum neben einander –; das gleiche gilt von den Völkern, die wir in älterer Zeit im Zagros und seinen Vorlanden antreffen. Besonders stark tritt in Kleinasien und Armenien eine Bevölkerungsschicht hervor, die durch kurze, hyperbrachykephale Schädel mit abgeplattetem Hinterkopf, zurücktretender Stirn und vorspringender Nase charakterisiert ist; sie scheint ursprünglich nach Süden weit über die Tauruskette hinaus in Syrien und Mesopotamien verbreitet gewesen zu sein (§ 395). Im Verlauf der Geschichte sind dann die Gebirgslande durch fremde, teils von Norden und Osten, teils von Westen gekommene Völker überschwemmt worden (§ 472ff.). Schließlich haben hier überall indogermanische Völker die Vorherrschaft gewonnen, bis dann seit dem elften [377] Jahrhundert n. Chr. die massenhaft eindringenden türkischen Stämme in weitem Umfang an ihre Stelle getreten sind. – Das weite, von den Gebirgsketten in großem Bogen umspannte Gebiet im Süden, die große Steppe und Wüste Arabiens mit dem vorgelagerten Kulturland in Syrien und am Tigris und Euphrat, bildet dagegen den Bereich der semitischen Stämme. Freilich ist die Grenze niemals eine absolute gewesen, weder ethnographisch noch politisch. Vielmehr dringen die Volksstämme des Nordens und Ostens immer aufs neue gegen die Ebene am Euphrat und Tigris vor und haben sich wiederholt auch in Syrien festgesetzt, während umgekehrt die Semiten von der Wüste ausständig versuchen, sich über das Kulturland auszudehnen und von hier aus weiter in die nördlichen Gebirge vorzudringen; und dabei löst immer von neuem eine frische Schicht semitischer Stämme die vorhergehende ab. So erscheint rein ethnographisch die Geschichte der vorderasiatischen Welt bis auf die Perserzeit als ein ununterbrochenes Ringen der Gebirgsstämme des Nordens und Ostens und der Semiten der Wüste und weiter der einzelnen semitischen Stämme unter einander um den Besitz des zwischenliegenden Kulturlandes, dem dann die politische und kulturelle Form der in diesem Ringen erwachsenen Staaten die geschichtliche Einzelgestaltung gibt.


Der anthropologische Typus der hyperbrachykephalen Rasse Kleinasiens und Armeniens, der am deutlichsten in den Tachtadjis Lykiens erhalten ist, ist durch F. v. LUSCHAN nachgewiesen worden: die Tachtadschy und andere Überreste der alten Bevölkerung Lykiens, in PETERSEN und v. LUSCHAN, Reisen in Lykien, 1889 = Archiv für Anthropologie XIX, 1890; er tritt in den Darstellungen der Chetiter auf aegyptischen Denkmälern (vgl. Sumerier und Semiten in Babylonien, Abh. Berl. Ak. 1906, S. 90) und in den Skulpturen von Sendjirli und sonst deutlich hervor. v. LUSCHAN glaubt die Einwirkung dieser Rasse auch in den Assyrern und den heutigen Juden zu erkennen, die sich beide vor allem in der Bildung der Nase von dem feineren Typus der rein semitischen Araber und Babylonier charakteristisch unterscheiden. Das scheint berechtigt, und in Assyrien ist die Mischung kleinasiatischer und semitischer Elemente jetzt auch geschichtlich nachweisbar; in Palaestina dagegen muß sie auf eine vorhistorische Urbevölkerung zurückgehen, [378] die geschichtlich zur Zeit kaum mehr faßbar ist. Denn wenn wir in Nordsyrien noch im 15. Jahrhundert eine vorsemitische Bevölkerung finden, so sitzen in Palaestina und auf der Sinaihalbinsel schon im 4. Jahrtausend (s. das Bild des Semiten im Grabe des Sen §§ 167 A. 227 A.) Semiten desselben Typus, den wir später in den Abbildungen des Neuen Reichs in Palaestina und in Phoenikien und bei den Israeliten und Juden Šošenqs wieder finden und dessen Identität mit dem heutigen jüdischen Typus unverkennbar ist. Über den Typus der Semiten Babyloniens und die Eigenart der nomadischen Stämme in Haar und Tracht s. meine Sumerier und Semiten; vgl. auch § 336. Im übrigen stehen die Untersuchungen über den physischen Typus der Völker und Rassen durchweg geschichtlich wie anthropologisch noch in den ersten Anfängen.


331. Die Lebensbedingungen der semitischen Welt sind von der Natur scharf vorgezeichnet. Ihren Mittelpunkt bildet das große Wüstenland Arabien. Unbewohnbar freilich sind nur die großen Sandwüsten, teils im Norden Arabiens (Nefûd), teils im Osten und Süden, wo ein gewaltiges Gebiet bis zum Indischen Ozean und Persischen Meerbusen hin fast vollständig unzugänglich ist und nur von einigen wenigen Karawanenstraßen durchzogen wird. Aber sonst umschließt Arabien, vor allem im Zentrum, dem großen Hochland des Nedjd, und im Südwesten (dem Jemen und 'Asîr) weite Gebiete, welche stellenweise Palmenpflanzungen, Rinderzucht und zum Teil selbst Ackerbau ermöglichen und in denen daher zu allen Zeiten eine höhere seßhafte Kultur, nicht selten mit geschlossenen städtischen Ansiedlungen, bestanden hat. Der nördliche Teil Westarabiens, der Ḥidjâz, ist viel dürftiger, ein felsiges, zum Teil mit Vulkanen und weit ausgedehnten vulkanischen Schlacken (den Harra's) bedecktes Hochland mit kahlen Bergen und glühendem Küstensaum; dazwischen einige Oasen, in denen eine Bauernbevölkerung, die vor allem die Dattelpalme kultiviert, sich entwickeln kann, wie die von Jathrib (Medina); aber Städte wie Mekka sind nur durch die eigenartige Handelsentwicklung Arabiens und die daran anschließende religiöse Entwicklung möglich geworden. Denselben Charakter, ähnlich dem des nordafrikanischen Wüstengebiets, trägt die syrischmesopotamische [379] Wüste, welche als ein weites, vielfach von Gebirgszügen durchsetztes Kalksteinplateau sich tief zwischen die Kulturländer im Osten und Westen hineinschiebt. Sie reicht von Aleppo bis an den Rand des zentralarabischen Hochlandes, vom Antilibanon bis an und über den Tigris, und umschließt Palaestina im Süden, wo sie nach Westen in die trostlose Einöde der Sinaihalbinsel übergeht. Der Euphrat, der in engem, tief eingegrabenem Bett, mit zahllosen Windungen, die Wüste durchschneidet, vermag, wie der Nil in Nubien, nur einen schmalen Ufersaum zu befruchten, und ist überdies durch sein starkes Gefäll stromaufwärts nicht schiffbar; sein wichtigster Nebenfluß, der Chaboras, fließt dagegen durch ein fruchtbares Tal, das etwa eine Stunde breit ist und im Altertum dicht besiedelt war. Auch am Tigris ist zwischen der Mündung des großen Zab (südlich von Ninive und Kalach) und dem Eintritt in die babylonische Tiefebene bei der Diâlamündung (Opis) das Kulturland immer nur sehr beschränkt gewesen. Es fehlt diesem ganzen Gebiet an ausreichenden Niederschlägen und daher an perennierenden Wasserläufen; abgesehen von den aus den armenischen Bergen kommenden Strömen im Nordosten, dem Euphrat und Tigris und ihren Nebenflüssen, besitzt ganz Arabien mit Einschluß der syrisch-mesopotamischen Wüste keinen einzigen Fluß; die von den Bergen und aus Quellen hervorbrechenden Bäche versiegen durchweg nach kurzem Lauf. Wohl sammeln sich die Wasser der Gewitterregen oft zu großen Wassermassen an, die sich dann in breitem, tief eingeschnittenem Bett nicht selten bis zum Euphrat oder zum Meer fortwälzen; aber sie können das Land nicht befruchten, sondern in wenigen Stunden ist der Schwall verlaufen und nur einzelne Lachen bleiben in dem Wâdi zurück. Im Frühjahr und nach Regenfällen bedeckt sich der dürre Boden bald hier bald dort, je nach der Jahreszeit, auf weite Strecken mit Gras und Sträuchern, die wandernden Nomadenstämmen mit ihren Schafen und Kamelen die Existenzmöglichkeit gewähren; und die sorgfältig als wertvollster Besitz gehüteten und oft zwischen den Stämmen heiß [380] umstrittenen Quellen, die vielerorts aus den Felsen hervorbrechen und durch gegrabene Brunnen und Zisternen zur Aufnahme des Regenwassers gemehrt werden, gestatten ihnen und ihrem Vieh auch die Zeiten der Dürre zu überstehen. Aber seßhaftes Leben mit festerer staatlicher Organisation und Ansätzen zu höherer Kultur ist nur an den Stätten möglich, wo mächtige Quellen ein größeres Tal oder eine kleine Ebene bewässern und dauernde Fruchtbarkeit schaffen. Derartige Stellen finden sich auch im Ḥidjâz, in der syrischmesopotamischen Wüste und auf der Sinaihalbinsel überall oasenartig zerstreut, wenn auch viel weniger zahlreich und bedeutend als im Nedjd und im Jemen, so z.B. Hatra und Singara in Mesopotamien, Palmyra, die Oase Ruḥbe östlich von Damaskus, der Djôf, Dûma, Taimâ, Ḥigr und el-'Ola in der syrisch-nordarabischen Wüste, die Ortschaften des Edomitergebirges, Qadeš, Wâdi Fîrân u.a. im Süden Palaestinas und auf der Sinaihalbinsel.

332. Im allgemeinen hat sich der geographische Charakter dieser Gebiete in den fünf Jahrtausenden geschichtlichen Lebens, die wir überschauen können, nicht geändert; nur die Grenzlinie zwischen Wüste und Kulturland schwankt infolge des Eingreifens der Menschen unter den historisch gegebenen Bedingungen. Im Altertum, und vor allem auf dem Höhepunkt der materiellen Entwicklung der Kultur Syriens und Palaestinas unter römischer Herrschaft, waren der Wüste durch künstliche Bewässerungsanlagen und Bändigung der Nomaden mit bewunderungswürdiger Energie weit hinaus große Gebiete abgerungen, während sie gegenwärtig umgekehrt hier wie in Babylonien gewaltige Gebiete ehemaliger Kultur erobert hat; erst in den letzten Jahrzehnten ist wieder eine stetig fortschreitende entgegengesetzte Bewegung eingetreten. Auch sind vielleicht, ähnlich wie in Libyen (§§ 165. 168), in älterer Zeit in der syrischen Wüste die Vegetation und damit die Existenzbedingungen für größere Scharen von Viehzüchtern etwas günstiger gewesen als gegenwärtig, so namentlich in dem »Ostlande« (Qedem, § 358 A.) östlich von [381] Damaskus und dem Ḥaurân; darauf scheinen namentlich die Feldzüge der Assyrerkönige in diese Gebiete, gegen die Qedraeer und ihre Verwandten, hinzuweisen; denn gegenwärtig sind die alten Wohnsitze dieser Stämme völlig verödet. Freilich hat man sich noch mehr vor Überschätzung zu hüten: auch die assyrischen Schilderungen betonen den Wüstencharakter, die Unzugänglichkeit und den Wassermangel dieser Gebiete, und alle älteren Berichte, vor allem die völlig authentischen Schilderungen des Alten Testaments, zeigen, daß es auf der Sinaihalbinsel und im Süden und Osten Palaestinas genau so aussah wie gegenwärtig, so daß hier sogar in der Einzelgestaltung nicht die geringste Veränderung eingetreten ist. Das gleiche gilt von der mesopotamischen Wüste und dem Land östlich vom Tigris zwischen Opis und dem großen Zab zur Zeit Xenophons, vom inneren Arabien zur Zeit des Aelius Gallus. Diese Tatsache hat freilich manche assyriologische Phantasten unserer Zeit nicht gehindert, die Sinaihalbinsel und das Edomiterland in ein volkreiches Gebiet, den Sitz eines von ihnen erfundenen mächtigen Königreichs Muṣri zu verwandeln, und ebenso über Arabien mit freigebiger Hand große Ströme auszustreuen, die sie in Angaben des Alten Testaments und der Keilschriften wiederfinden wollen.


Die angedeuteten Phantasien sind vor allem von H. WINCKLER und HOMMEL vertreten, die Arabien überall in die ältere Überlieferung hineindrängen und diese danach umgestalten (dagegen s.u.a. meine Israeliten und ihre Nachbarstämme, 1906; das angebliche Muṣri in Arabien ist in Wirklichkeit überall Aegypten); doch sind die gleichen Ansichten auch sonst bei Dilettanten, an denen auf diesem Gebiet kein Mangel ist, oft genug zu finden. – Ich bemerke noch, daß die richtige geographische Anschauung durch den unglücklichen Terminus Mesopotamien arg behindert wird, unter dem man das ganze vom Euphrat und Tigris umschlossene Gebiet zusammenzufassen pflegt, obwohl es weder geographisch noch historisch eine Einheit bildet. Vielmehr gehört die Παραποταμία = Naharain (Osroene, § 465) und das hügelige und grasreiche Gebiet bis zum Chaboras und Nisibis (Mygdonia der makedonischen Zeit) noch zu Syrien, Assyrien ist eine Landschaft für sich, ebenso Babylonien oder Sinear; und für Mesopotamien bleibt nur die Wüste vom Chaboras [382] bis an die Nordgrenze Babyloniens, die östlich noch über den Tigris hinausragt. – Der obere Tigrislauf gehört zu Armenien.


333. Wie in allen gleichartig gestalteten Gebieten der Erdoberfläche, in Nordafrika, Zentralasien, der aralo-kaspischen Steppe und Wüste, dem iranischen Hochland mit seiner zentralen Salzwüste, zerfällt auch in Arabien und der syrischmesopotamischen Wüste die Bevölkerung in seßhafte Stämme, welche die Kulturoasen besiedelt haben, und in nomadisierende Stämme (Beduinen). Auch die letzteren betrachten bestimmte Gebiete als ihr Eigentum, das sie gegen alle anderen verteidigen; aber meist wechseln sie ihre Triften mehrfach im Jahr, je nach dem Futterbestande, und manche durchziehen in regelmäßigen Wanderzügen weite Gebiete. Privateigentum an Grund und Boden kann bei ihnen nicht entstehen; sie wohnen in Zelten und sind nicht an die Scholle gebunden, und leicht mögen sie ihr altes Gebiet ganz mit einem neuen, oft fern abgelegenen, vertauschen, sei es, daß ungewöhnliche Dürre sie zwingt, neue Weideplätze zu suchen, sei es, daß innere Erstarkung und Mehrung des Nachwuchses ihnen die Möglichkeit gewährt, schwächere Nachbarn aus einem ertragreicheren Gebiet zu verdrängen, oder auch ein Zweig sich aus dem zu volkreich gewordenen Mutterstamme ablöst, sei es, daß sie umgekehrt durch stärkere Feinde verdrängt oder auch zersprengt werden. Mit den seßhaften Stämmen leben sie in fortwährender Fehde, die oft dazu führt, daß diese durch regelmäßige Tributzahlung ihre Räubereien abkaufen, sie nach der Ernte auf ihren Feldern weiden lassen und zu ihnen in ein abhängiges »Bruderverhältnis« (arab. chûwa) treten. Auch sonst ist in der Wüste »ihre Hand gegen jedermann«, es sei denn, daß der Fremde zu ihnen in ein Vertragsverhältnis tritt, das ihn zeitweilig oder dauernd unter den Schutz der Stammordnung und des Stammfriedens stellt. Daneben aber vermitteln sie einen geregelten Verkehr durch weite Gebiete; denn gerade in der Wüste ist ein Austausch der Waren, deren man für das Leben bedarf, bei der Dürftigkeit der heimischen Produkte für die Beduinen ebensowenig [383] zu entbehren wie für die seßhaften Stämme; und er wirft reichen Gewinn ab, zumal da jenseits der Wüstengebiete entwickelte Kulturländer liegen, deren Handel auf den Durchgang durch die Wüste angewiesen ist. So sind dieselben Stämme, welche oft genug als die wildesten und rücksichtslosesten Räuberscharen auftreten, zugleich zuverlässige Geleiter der Handelskarawanen, und gelten als »die gerechtesten der Menschen«, denen fremdes Leben und Eigentum absolut heilig ist, sobald es unter den Schutz des Stammes oder auch nur eines Stammesgenossen getreten ist. In Arabien haben dann vor allem der Weihrauch und die kostbaren Harze, die im Südwesten ebenso gedeihen wie im Lande Punt der Aegypter an der gegenüberliegenden afrikanischen Küste, in diesem Gebiete, dem »Lande zur Rechten« (Jemen), einen selbständigen Handel und eine höhere Kultur geschaffen. – Eine Mittelstellung zwischen den seßhaften Stämmen und den Beduinen nehmen die »Halbnomaden« in den Grenzgebieten zwischen Wüste und Kulturland ein, Schafzüchter, die zwar meist noch in Zelten, aber doch schon in dauernden Zeltdörfern leben, im Anschluß an Brunnen, Zisternen und kleine Wasserläufe. Sie sind daher schon mit einem bestimmten Gebiet fest verbunden und können gelegentlich auch etwas Ackerbau treiben; so kann sich bei ihnen eine festere staatliche Organisation herausbilden, ja sie mögen mit dem Fortschritt der Kultur selbst städtische Siedlungen schaffen. Derartige Zustände treten uns vor allem in den Grenzgebieten Palaestinas und Syriens entgegen, sind aber auch sonst in Arabien nicht selten und haben wiederholt, unter der Einwirkung der gegebenen historischen Momente, zu größeren, bald ephemeren, bald dauernden staatlichen Bildungen geführt.


Grundlegend sind vor allem A. SPRENGER, Die alte Geographie Arabiens, 1875 und C. H. DOUGHTY, Travels in Arabia Deserta, 2 vol., 1888, ferner die Reisewerke von CARSTEN NIEBUHR, PALGRAVE, WETZSTEIN u.a., und besonders v. WREDE, Reise in Hadhramaut, 1870. Ferner z.B. STADE, Das Kainszeichen ZATW. XIV, und m. Israeliten und ihre Nachbarstämme, speziell S. 301f.


[384] 334. Rings um die syrisch-mesopotamische Wüste liegen verhältnismäßig schmale Streifen kulturfähigen Gebiets. Im Westen erhebt sich längs der Mittelmeerküste das syrisch-palaestinensische Hochland mit seinen parallelen Gebirgsketten, die sich im Norden, in der Kette des Amanos, vom Tauros abzweigen. Das dadurch gebildete Gebiet von nahezu 100 Meilen Länge und einer durchschnittlichen Breite von etwa 15 bis 20 Meilen umschließt mehrere größere Flüsse und ist mit Wasser ausreichend, wenn auch keineswegs üppig, versorgt, so daß es zum Kulturland werden und den Wüstenstämmen als ein Paradies erscheinen konnte. Größere Ebenen sind nur an der Küste Palaestinas, am Ostfuß des Hermon und Antilibanon (Gebiet von Damaskus), und nördlich vom unteren Orontes (im 'Amq) vorhanden; die tiefe, weit unter den Meeresspiegel hinabreichende Spalte des Jordanbettes und des Toten Meers dagegen, welche das palaestinensische Hochland zerreißt, ist zu heiß, um noch kulturfähig zu sein. Dafür waren die höheren Gebirge dicht mit mächtigen Bäumen, vor allem Cedern und Eichen, bewaldet, so der Amanos, der Libanon, der Hermon, das Plateau von Bašan östlich vom oberen Jordan mit dem weit in die Wüste vorgeschobenen Ḥaurângebirge. Zu voller innerer Einheit konnte das schmale Land bei seiner großen Längenausdehnung und mannigfachen Gliederung kaum verwachsen; um so reger gestaltete sich das Leben in den kleineren und kleinsten Gebieten. – An Nordsyrien schließt sich »das Land am Strom [d.i. dem Euphrat]« Naharain und weiter das Vorland der armenischen Berge mit den vom Masiosgebirge (assyr. Kašjar, jetzt Ṭûr 'Abdîn, von den Griechen meist zum Tauros gerechnet) herabkommenden Flußläufen des Belichos und Chaboras und ihrer Nebenflüsse, das allmählich in die mesopotamische Steppe und Wüste übergeht. Dann folgt weiter östlich das fruchtbare, von zahlreichen Höhenzügen und Flüssen durchzogene Gebiet des oberen Tigris bis an und über die Einmündung des großen Zab, an das sich das von mehreren großen Strömen durchzogene Vorland der Zagrosketten bis nach Elam (Susiana) hinab anschließt. Aber [385] alle diese Gebiete werden an Bedeutung weitaus übertroffen durch das Tiefland am Unterlauf des Euphrat und Tigris. Erst hier, in Sinear oder Babylonien, können die beiden Ströme, wie der Nil nachdem er das nubische Sandsteinplateau hinter sich gelassen hat, ihre volle Macht entfalten und werden in dem weiten Überschwemmungsgebiet Spender einer aufs höchste gesteigerten Fruchtbarkeit, die auch hier, wenig später als in Aegypten, eine hohe selbständige Kultur erzeugt hat.

335. Wir haben schon gesehen, daß der geschichtliche Entwicklungsprozeß Vorderasiens sich als ein ununterbrochenes Ringen der Stämme der nördlichen Gebirge und der südlichen Wüstenländer um den Besitz der zwischenliegenden Kulturlande darstellt. Wenn Arabien und speziell die nordarabisch-syrische Wüste den Ausgangspunkt aller von Süden vordringenden Völkerbewegungen bildet, so ist die babylonische Tiefebene wie geographisch so auch historisch der Schwerpunkt der ganzen von Tauros und Zagros begrenzten Welt. Von hier ausstrahlt die Kultur nach allen Richtungen aus; und wie die Herrscher von Sinear versuchen müssen, ihre Macht ringsum über die Nachbarlande auszudehnen, so streben umgekehrt alle Völker, die in diesen auftreten, mögen sie nun im Süden und Westen, oder im Osten und Norden heimisch sein, in erster Linie nach dem Besitz Babyloniens. Darauf beruht es, daß die Kultur Sinears, so sehr sie sonst der aegyptischen parallel geht, doch von Anfang an in einem ganz anderen ethnographisch-historischen Zusammenhang steht als diese. Auf der einen Seite fehlt ihr die geschlossene nationale Grundlage, die innere und die staatliche Einheit; auf der anderen wirkt sie viel intensiver auf weite Gebiete und fremde Volkstümer, während die aegyptische eine unmittelbare und ununterbrochene Einwirkung nur auf das schmale nubische Niltal hat ausüben können und im übrigen nur vermittelt und mit schwächerer Wirkung auf Syrien und über das Meer hinaus ausstrahlt. So erklärt es sich ebensowohl, daß die babylonische Kultur die innere Durchbildung und andauernde Kulturhöhe der aegyptischen niemals erreicht hat, wie auch,[386] daß sie zu allen Zeiten in einem breiteren Strom historischen Lebens und historischer Wechselwirkung steht als diese.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 377-387.
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