Die Zeit der Hyksosherrschaft

[41] Um die Wende vom 18. zum 17. Jahrhundert ist das wilde Kriegervolk, dessen Herrscher Manetho mit dem Namen Hyksos bezeichnet, in Ägypten eingebrochen (Bd. I, 305). Damit greift diese Bewegung aus Vorderasien ins Niltal hinüber. Daß in ihrem Gefolge zahlreiche Semiten nach Ägypten gekommen sind, ist sicher und durchaus begreiflich; aber das herrschende Volkstum ist ein anderes; so wenig es bis [41] jetzt möglich ist, die wenigen echten Hyksosnamen, die uns erhalten sind (Salatis, Bnon, Chian-Jannas u.a.), sprachlich zu deuten, so wird doch kaum mehr bezweifelt werden können, daß wir in ihnen dieselben Volkselemente suchen müssen, die wir in Syrien und Palaestina als Charrier und als Arier kennen gelernt haben67. Ihr Hauptgott, dem sie in ihrer Hauptstadt Auaris einen großen Tempel erbauen, wird kein anderer gewesen sein als der Gewittergott Tešub; offiziell wird er dem ägyptischen Sêth gleichgesetzt, daneben sehr oft nach semitischer Art als Ba'al bezeichnet.

Die fremden Barbaren haben in Ägypten arg genug gehaust, das Land ausgeplündert, die Tempel zerstört; sie haben über die Lande, die sie heimsuchten und unterwarfen, auch wenn sie unter ihrer Oberhoheit die einheimische Dynastie weiter duldeten, wie in Theben und Xois, dieselbe Verheerung gebracht, wie später die Seldschuken und Mongolen oder wie früher in der Mitte des 3. Jahrtausends die Gutaeer in Babylonien (Bd. I, 411). Aber so wenig wie jene konnten sie die Einrichtungen des Kulturstaates entbehren, sei es auch nur, um die Abgaben zu erheben und ihren Herrschersitz auszubauen und zu schmücken. Überdies war das Niltal wie die ertragreichste so auch die kulturell weitaus am höchsten stehende Provinz ihres Reichs, deren Anziehungskraft sich unwiderstehlich geltend machte. So haben die Hyksos den Schwerpunkt ihres Reichs hierher verlegt und nicht nur den Verwaltungsapparat und das Schreibwesen Ägyptens übernommen, sondern sich langsam ägyptisiert. Sie gestalten ihre Titulatur nach dem für die Pharaonen geschaffenen Schema; sie bezeugen neben dem Sêth auch den echten Hauptgöttern des [42] Niltals ihre Verehrung, sie setzen ihre Namen auf ältere Königsdenkmäler, ja ägyptische Namen wie Apôpi dringen auch in die Dynastie ein.

Die von den Hyksos gegründete Hauptstadt Auaris liegt am äußersten Rande des Delta, jenseits des östlichsten Nilarms. Schon daraus geht hervor, daß ihre Macht sich weit nach Asien hineinerstreckt hat; die Stätte ist gewählt, um die Verbindung mit diesem zu sichern, sie hat ihr Gegenbild in der Gründung der arabischen Hauptstadt Fosṭât (Kairo) durch den Eroberer 'Amr unter Omar auf dem Ostufer des Nil, gegenüber von Memphis. Es kann denn auch kein Zweifel sein, daß die ersten Hyksoskönige ein gewaltiges Weltreich beherrscht haben, wie Attila und Dschingizkhan. »Umarmer der Länder« nennt sich der »Fürst der Fremdlande« und »der Jungmannen (nofru: das wird ägyptische Wiedergabe der marjanni von Mitani sein)« Chian in seinen Horusnamen; in dem Zusatz »geliebt von seinem Geiste (ka)« gelangt der Stolz des allmächtigen Weltbeherrschers, dem sich alles beugen muß, unverhüllt zum Ausdruck (Bd. I, 306). Chians Name findet sich nicht nur in Ägypten und Syrien, sondern auch auf einem rohen Basaltlöwen aus Babylonien und auf dem Bruchstück eines Alabastergefäßes in der Fundamentschicht des jüngeren Palastes von Knossos68. So hat sich seine Oberhoheit wahrscheinlich ebensowohl über die Könige von Karduniaš wie über Kreta erstreckt; und die Vermutung liegt nahe69, daß die Zerstörung der älteren, aus der Kamareszeit stammenden Paläste von Knossos und Phaestos, die ins 17. Jahrhundert [43] fällt, eben durch Chian und die Hyksos herbeigeführt worden ist. In der Folgezeit bricht dann, wie bei jedem derartigen ephemeren, der inneren Konsistenz ermangelnden Gebilde, die Macht des Reichs eben so rasch zusammen und mag schließlich im wesentlichen auf Unterägypten und Palaestina beschränkt worden sein; doch hält noch der letzte Apôpi (III.) die alten Ansprüche aufrecht, wenn er auf einem »seinem Vater Sêth von Auaris« in Memphis errichteten Altar sich rühmt, daß dieser »ihm alle Lande unter seine Sohlen gab« (Bd. I, 308).


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 41-44.
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