Das Reich der Hyksos

[312] 303. Wenn unter der dreizehnten Dynastie das aegyptische Reich in volle Anarchie verfallen war, die zu zahlreichen Revolutionen und Bürgerkriegen geführt haben muß, so wird es begreiflich, daß alsbald die Prophezeiungen des Apu-uêr (§ 297) sich vollständig erfüllt haben und das Niltal einer fremden Invasion zur Beute wurde. Die Darstellung, welche Manetho von dem Einbruch der Fremden und der Aufrichtung des Reichs der Hirtenkönige gegeben hat, ist uns erhalten. »Unter König Tutimaios (? vgl. § 301 A.),« berichtet er, »war, ich weiß nicht weshalb, die Gottheit uns feindlich gesinnt; da erkühnten sich wider Erwarten Leute unansehnlicher Herkunft aus den östlichen Ländern, gegen Aegypten zu ziehen, und nahmen es leicht ohne Kampf in Besitz. Sie bewältigten seine Führer, steckten die Städte grausam in Brand, zerstörten die Tempel der Götter und behandelten die Einwohner auf das feindseligste; die einen erschlugen sie, den andern schleppten sie Weiber und Kinder in die Knechtschaft fort. Schließlich machten sie einen von sich namens Salitis zum König. Dieser kam regelmäßig nach Memphis, erhob Abgaben im oberen und unteren Lande, und legte Besatzungen in die geeigneten Orte. Vor allem aber sicherte er die östlichen Gebiete«-aus Furcht vor den Assyrern, setzt Manetho hinzu, da er die griechischen Erzählungen von dem großen Assyrerreich des Ninos und der Semiramis für geschichtlich hält. »Hier fand er im sethroitischen Gau, östlich vom bubastitischen Nilarm, einen geeigneten Ort, der nach einem alten Mythus Auaris [312] hieß; so gründete er diese Stadt, machte sie durch Mauern sehr fest, und siedelte in ihr an 240000 Mann Schwerbewaffnete als Besatzung an. Dahin ging er (?) im Sommer, maß ihnen Korn zu und gab ihnen Sold, und übte die Truppen sorgfältig, um die äußeren Feinde einzuschüchtern. Er starb nach 19jähriger Regierung; das ganze Volk aber wurde Hyksos genannt, das ist Hirtenkönige«. Dieser ganze Bericht ist sichtlich aus volkstümlichen aegyptischen Erzählungen geschöpft, derselben Art, von der sich eine Probe in einem Papyrus des Neuen Reichs erhalten hat. »Es geschah,« heißt es hier, »daß Aegypten in den Händen der Verruchten war und es keinen (richtigen) König gab. Damals war König Seqenjenrê' Fürst im Südland, die Verruchten aber in der Stadt der 'Amu (?) und der Herrscher Apôpi in Auaris; das ganze Land brachte ihm Tribut und alle Erzeugnisse Unteraegyptens«. In demselben Stil redet König Merneptaḥ von »der Zeit der unteraegyptischen Könige, da das Land Aegypten in ihrer Gewalt war und die Verruchten es behaupteten, während die Könige des Südens schwach waren«. Älter und präziser berichtet Königin Ḥêtšepsut in einer Inschrift von Speos Artemidos (Stabl Antar bei Benihassan), in der sie ihre Bauten in Mittelaegypten aufzählt, sie habe wiederhergestellt was zerstört war, »als die 'Amu inmitten des Nordlands und der Stadt Auaris saßen und die Nomaden das Geschaffene zerstörten; sie herrschten ohne Rê' zu kennen, niemand tat nach dem Befehl des Gottes, bis auf meine Majestät«. Wenn diese Äußerungen in Auffassung und Inhalt durchaus mit Manetho übereinstimmen, so zeigen sie zugleich, daß wenn auch die Verwüstungen der Eroberer und ihre Suprematie sich über ganz Aegypten erstreckten, doch lediglich das Nordland als Sitz ihrer Herrschaft galt, während im Süden einheimische Fürsten mit geringer Macht sich behaupteten.


Über die Hyksos: CHABAS, Les pasteurs en Egypte, Amsterdam 1868; NAVILLE, Bubastis S. 16ff.; STEINDORFF, Zur Gesch. der Hyksos, in: Kleinere Beitr. zur Gesch. Leipzig 1894; GRIFFITH, PSBA. XIX, 294ff.; W. M. MÜLLER, Studien zur Vorderas. Gesch., Mitt. vorderas. [313] Ges. III, 1898, mit vielen scharfsinnigen, aber nicht immer haltbaren KoMBINATIONEN; MARQUART, Chronol. Unters., Philol. VII, Suppl.-Bd., 1900 [meist verfehlt]. Ferner MASPERO, Histoire II u.a.R. WEILL, Les Hyksos, J. as. XVI 1910 u. XVI 1911 (auch separat erschienen), hält die ganze Überlieferung über die Hyksos für eine Konstruktion nach dem § 297 besprochenen Schema; in Wirklichkeit gehörten die Hyksoskönige einer unteraegyptischen Dynastie an, die Asiaten in ihre Dienste zog und von den Thebanern besiegt wurde. Auch Ḥêtšepsuts Angaben usw. seien Erfindungen, ebenso wie die Angaben der Inschriften Tut'anchomons und Ḥaremhebs über die Restauration nach dem Ketzerkönig und die Ramses' III. über die Wirren vor seinem Vater. Mit dieser Art Hyperkritik könnte man ebenso gut z.B. aus der islamischen Geschichte die Herrschaft der türkischen Stämme und der Mongolen oder aus der englischen die der Normannen beseitigen. Wertvoll ist, außer einzelnen scharfsinnigen Bemerkungen, die Zusammenstellung der Denkmäler der Hyksos (XVII 5ff.) und der letzten Könige der 17. Dyn. (XVI 559ff.). – Da die jüdischen Apologeten die Hyksos mit Joseph und seinen Brüdern identifizierten, im Gegensatz zu der antisemitischen Gleichsetzung des Mose und der Juden mit Osarseph und den Aussätzigen, ist das betreffende Stück Manethos von ihnen übernommen und, mit sekundären Zusätzen, bei Josephus c. Ap. I 14, 85ff. erhalten; von dieser judaisierenden Überarbeitung (aber in älterer Gestalt als bei Josephus) ist auch die Epitome bei Africanus und Eusebius (auch bei schol. Plat. Tim. erhalten) abhängig. Zur Kritik s.m. Chronologie S. 71ff. 80ff.; Nachträge S. 34, 5. – Über die Geschichte von König Apôpi im Pap. Sallier I (Schülerhandschrift der 19. Dynastie, die in der Mitte abbricht) s. vor allem MASPERO, Etudes égypt. I 2 [die von ihm bestrittene Lesung »Stadt der 'Amu« scheint aber doch richtig zu sein]. Inschrift der Ḥetšepsut: GOLÉNISCHEFF, Rec. III 3. VI Taf. 3 Zl. 37. SETHE, Urkunden der 18. Dynastie S. 390. Angabe des Merneptaḥ: DÜMICHEN, Historische Inschriften I 4; MARIETTE, Karnak 53, Zl. 39, zuerst von DE ROUGÉ herangezogen. – Der Name Hyksos findet sich nur bei Josephus als Das Reich der Hyksosκσώς, lat. ycsos, wofür Euseb. praep. ev. X 13, 2 und Chron. I 157 κουσσώς, arm. Hikkusin und Hykusôs liest; ob aber die Endung –u wirklich authentisch und der aegyptische Plural ist, ist unsicher. Manetho erklärt den Namen als »βασιλεῖς (ḥqa) ποιμένες (šos)«; letzteres ist ursprünglich der Name der Beduinen der Sinaihalbinsel, und später allgemeine Bezeichnung der Nomaden geworden [daneben steht §§ 83. 91 eine Interpolation, der Josephus folgt, der Name bedeute αἰχμάλωτοι (aeg. ḥôq) ποιμένες; das ist von Juden gemacht, die eine bessere Übereinstimmung mit der Josephsgeschichte suchten; auch die Angabe der Epitome, sie seien Phoeniker, ist schwerlich echt manethonisch]. GRIFFITH und W. M. MÜLLER erklären den Namen aus dem Titel« Herrscher [314] der Fremdländer» ḥqa chasut (§ 306), ebenso SETHE ÄZ. 47, 84f., schwerlich mit Recht. – ἄμμος (Aloe) καιωτική kommt unter arabischen Importartikeln in einem Zolltarif der Kaiserzeit vor: WILCKEN, Archiv f. Papyrusforschung III 188f.


304. In den aegyptischen Texten werden die »Verruchten« (jaṭet) als 'Amu, d.h. syrische Semiten bezeichnet. Wenn das genau ist, wären sie Kana'anaeer gewesen. Indessen ist es möglich, daß sie erobernd aus viel weiterer Ferne, etwa aus Kleinasien, gekommen sind und Syrien und Aegypten gleichmäßig überrannt haben; vielleicht stehen sie mit denjenigen Chetitern in Zusammenhang, die, wie wir jetzt wissen, im neunzehnten Jahrhundert in Babylonien eingebrochen sind und um 1925 dem Reich von Babel ein Ende gemacht haben (§ 454); überhaupt hat in dieser Zeit ein großer Vorstoß kleinasiatischer Stämme nach Süden stattgefunden. Seit sich die Königsstatuen und Sphinxe, in denen man früher Porträts der Hyksos zu erkennen glaubte, als Bildwerke der zwölften Dynastie er wiesen haben (§ 294), besitzen wir keinerlei weiteren Anhalt. Sicher ist nur, daß mit ihnen zahlreiche Semiten nach Aegypten gekommen sind. Auch bei ihren Königen kommen semitische Namen vor, ebenso wie sie aegyptische angenommen haben; aber andere Namen sehen nicht semitisch aus, sind indessen auch nicht als kleinasiatisch zu erweisen. – Die Eroberer brachten einen Stammgott mit, der von den Aegyptern mit Sêth, dem Gott des Auslandes, der Wüste und der Feinde, gleichgesetzt wird. Im Neuen Reich wird Sêth ständig mit dem kana'anaeischen Ba'al identifiziert; das beweist aber noch nicht, daß der Gott der Hyksos nicht einen ganz anderen Namen geführt haben kann.


Im Neuen Reich, auch im Sallierpapyrus, wird der unteraegyptische Sêth (speziell in Tanis) immer in der volleren Form Sutech geschrieben, die sich als Stẖ schon bei LEPSIUS, Älteste Texte des Tb. (12. Dynastie) findet, also echt aegyptisch, und wohl nur eine andere Aussprache des sehr häufigen Śtš ist (so LORET und SETHE); die Versuche, Sutech als einen fremden Gottesnamen zu erweisen (nach SAYCE kossaeisch), sind recht verfehlt. – Unter den wenigen Hyksosnamen scheint Apôpi rein aegyptisch (ebenso vielleicht Aseth), andere wie Bnon, [315] Apachnan, Smqn sind undeutbar. Chian (= Chaiân, Name eines Königs von Sendjirli) und Salitis können semitisch sein, Ja'qob-her und 'Anat-her komponieren einen kana'anaeischen Gottesnamen wahrscheinlich mit dem aegyptischen Wort her »zufrieden«. Unter den Sklaven des A'ḥmes (SETHE, Urkunden der 18. Dynastie S. 11) finden sich drei Frauen mit semitischen Namen, die, wie W. M. MÜLLER 1. c. (§ 303 A.) S. 8f. nachweist, seine Beute aus Auaris sind; bei einer hat UNGNAD den babylonischen Namen Ištar-ummi erkannt.


305. Daß die Eroberer zunächst arg gehaust und auch gar manche Orte und Bauwerke zerstört haben, ist glaublich genug, wenn auch Gehässigkeit und Übertreibung der aegyptischen Berichte unverkennbar ist. Noch größeren Anstoß hat vielleicht erregt, daß die Fremden von den aegyptischen Göttern nicht viel wissen wollten. »König Apopi,« erzählt in echtem Sagenstil der schon zitierte Papyrus SALLIER, »machte sich den Sêth zum Herrn, und diente keinem der Götter des Landes außer Sêth, und erbaute ihm einen prächtigen Tempel bei seinem Palast und opferte ihm alle Tage«. Der Sêth von Auaris wird in den wenigen Inschriften, die wir von den Hyksos haben, wiederholt erwähnt; ebenso ist der Sêthtempel in dem benachbarten Tanis von ihnen gebaut; vorher ist der Sêthkult hier nicht nachweisbar (vgl. § 301). Eine Weihinschrift für den Sêth von Tanis aus der Zeit Ramses II. ist «vom 4 Mesori des Jahres 400 des Königs Nubti (des, ombischen', der bekannte Beiname des Sêth, § 181)» mit dem Thronnamen «Sêth der großmächtige datiert. Mag das nun, wie man vermutet hat, der Gott selbst sein, dessen Regierungsjahre alsdann von der Einführung seines Kultes an gerechnet wären, oder, was mir wahrscheinlicher ist, ein Hyksoskönig, Nubti, der seinen Eigennamen und Thronnamen dem Gott entlehnte, jedenfalls haben wir es hier mit einer Tempelära zu tun, die nur von der Begründung des Kults und der Erbauung des Sêthtempels in Tanis an datieren kann. Da Ramses II. etwa 1310-1244 regiert hat, beginnt diese Ära etwa um 1680 v. Chr. Ihre Epoche kann von dem Beginn der Hyksosherrschaft nicht weit abliegen; und wir haben gesehen, daß Neḥesi, der drittletzte König der dreizehnten [316] Dynastie, um 1660 v. Chr., ein Vasall der Hyksos gewesen ist (§ 301). Damals hatten sie den Kult und Tempel des Sêth von Auaris und von Tanis (Reoḥet) schon begründet, denn Neḥesi verehrt beide Götter. Mithin ist die Invasion schon einige Zeit vorher erfolgt, vielleicht bereits unter König Ai um 1710. So bestätigen sich diese Daten gegenseitig aufs beste. – Manethos Daten freilich weichen davon aufs stärkste ab. Er hat zunächst 6 Hirtenkönige (15. Dynastie) aufgezählt, Salitis, Bnon, Apachnan, Apophis, Iannas, Aseth [in der Epitome Archles], mit zusammen 259 Jahren 10 Monaten. Dann folgt in der nur bei Africanus erhaltenen Epitome eine zweite Hirtendynastie (16. Dynastie) von 32 Hirten mit 518 Jahren, und eine dritte (17. Dynastie), wo 43 Hirten und 43 Diospoliten 151 Jahre lang nebeneinander regierten, bis auf die Vertreibung der Hyksos durch Amosis. Das ergäbe zusammen für die Fremdherrschaft 929 Jahre. Daneben steht bei Josephus eine angeblich aus Manetho entnommene, aber stark interpolierte Version, wonach die Hirten insgesamt 518 Jahre über Aegypten geherrscht hätten; dann hätten sich die Könige der Thebais gegen sie erhoben. Es bedarf keiner Ausführung, daß diese Angaben den sicheren Daten der Monumente gegenüber gar keinen Wert haben. Auch das fast völlige Fehlen von Denkmälern der Hyksoszeit, ferner der enge Anschluß der Thebaner der siebzehnten Dynastie an die der dreizehnten widerlegt sie vollkommen. Insgesamt haben die Hyksos im Niltal vielmehr nur rund ein Jahrhundert geschaltet, von ca. 1680 bis 1580 v. Chr.


Über die Stele des J. 400 (MARIETTE, Rev. arch. nouv. série IX, 169ff.) s. meine Chronologie 65f. Über die Liste des Barbarus vgl. § 309 A. Die manethonische Liste der 16. Dynastie ist korrekt nur bei Josephus überliefert; bei Africanus ist sie durch Flüchtigkeit (Ausfall der Zahl des Apachnan und des Namens Apophis, der dann am Schluß nachgetragen wird) entstellt, bei Eusebius und im Sothisbuch (Sync. p. 195. 204. 232) weiter korrumpiert. Dynastie 16 und 17 hat nur Africanus bewahrt. Vgl. m. Chronol. 72f. 85ff. [WEILL (§ 303 A. XVII, 254ff) vermutet, die 518 Jahre von Dyn. 16 seien durch Verdoppelung der 259 Jahre von Dyn. 15 entstanden, daraus seien dann die 511 Jahre [317] des interpolierten Manetho bei Joseph. c. Ap. I 84 für die Gesamtdauer der Hyksosherrschaft bis zum Aufstand der Thebaner hervorgegangen. Das ist möglich, aber keineswegs sicher.] Die Liste lautet:


Das Reich der Hyksos

306. Unter den auf Denkmälern erhaltenen Namen von Hyksoskönigen würde der aus der Stele von Tanis bekannte Nubti mit seinem dem Sêth entlehnten Thronnamen, falls das wirklich ein Königsname ist (§ 305), an die erste Stelle gehören, da an ihn die Hyksosära anknüpft; er wäre dann der Gründer des Sêthtempels von Tanis. Namen, die dem Salitis und seinen beiden Nachfolgern bei Manetho entsprechen, sind nicht erhalten; der des vierten, Apophis, wird dagegen von mehreren Hyksos getragen. Aber unter den aus Denkmälern bekannten Königen ist zweifellos der älteste Chian, der Manethos fünftem Herrscher Iannas entspricht. Auf seinen ziemlich zahlreichen Skarabaeen und Siegelcylindern führt er mehrfach den Titel »Fürst der Fremdlande (ḥqa chasut)« oder »Fürst der jungen Mannschaft (ḥqa nofru)«. Aber er hat auch den Pharaonentitel angenommen »der gute Gott, der Sohn des Rê' «, und selbst einen Thronnamen Seweserenrê'. Seine Macht hat sich jedenfalls über ganz Aegypten erstreckt: in Gebelên oberhalb von Theben steht sein Name auf einem [318] Steinblock, in Bubastis hat er ihn auf eine ältere Königsstatue gesetzt. Hier führt er außerdem einen Horusnamen »Umarmer der Länder« (im Plural, nicht etwa »der beiden Lande«). Das weist auf den Anspruch auf Weltherrschaft hin, ebenso wie der Zusatz »geliebt von seinem Geiste (ka)« nicht nur die Ablehnung der aegyptischen Götter, sondern zugleich das starke Selbstbewußtsein eines mächtigen Eroberers erkennen läßt. Schon die Residenz in Auaris im äußersten Osten des Delta, an der Heerstraße nach Asien nahe dem Menzalesee (genauer ist die Lage nicht bekannt) beweist, daß die Macht der Hyksos weit nach Asien hinein gereicht haben muß, und daß die Verbindung mit Syrien für sie von derselben Bedeutung war, wie später für die Araber. Eine völlig isolierte Notiz im Geschichtswerk des Jahwisten Num. 13, 22, Hebron im Süden Palaestinas, ursprünglich Qirjat Arba' geheißen, sei »sieben Jahre vor Tanis (So'an) in Aegypten erbaut«, weist auf sonst verschollene Traditionen hin, in denen eine Kunde aus dieser Zeit fortlebt. Hebron wird hier wahrscheinlich an die Hyksosära von Tanis angeknüpft und mag in der Tat der wichtigste Stützpunkt ihrer Herrschaft über das Gebirgsland Palaestinas gewesen sein, auf dessen südlichsten Ausläufern es ähnlich liegt, wie Auaris im Verhältnis zu Aegypten. Skarabaeen des Chian haben sich denn auch in den Ruinen von Gazer in Palaestina gefunden. Ebenso steht sein Name auf einem kleinen rohen Basaltlöwen, der in Bagdad in den Handel gekommen, also doch wohl in Babylonien gefunden ist; und ein Alabasterstück aus den Fundamenten des Palastes von Knossos auf Kreta trägt gleichfalls seinen Namen. Mag hier auch Raub oder Verschleppung vorliegen, so sind diese Fundstücke doch ein Beweis für die Macht des Königs. Das Hyksosreich muß ein ephemeres Großreich gewesen sein, wie so viele ähnliche, z.B. die der Hunnen und Mongolen, und es ist sehr wohl möglich, daß es unter Chian zeitweilig bis nach Babylonien gereicht hat. Nach einer kurzen Blütezeit wird es dann auf die Herrschaft über Aegypten zusammengeschrumpft [319] und auch hier rasch zu immer geringerer Macht herabgesunken sein.


Denkmäler des Chian: NAVILLE, Bubastis pl. 12 = 35a, vgl. BORCHARDT, ÄZ. 33, 142. 40, 95. Gebelên: DARESSY, Rec. 16, 42. Löwe von Bagdad im Brit. Mus.: DÉVÉRIA, Rev. arch. nouv. sér. IV 256 [mit ungenauer Wiedergabe der Inschrift]. Gazer: Pal. Expl. Fund, Quat. Stat. 1904, p. 225, 16. Knossos: EVANS im Annual of the Brit. School at Athens VII 64. Skarabaeen: PETRIE, Hist. I 119. NEWBERRY, Scarabs 7, 7. 10. 22, 20-26. 44, 6. Ferner in Gräbern bei Abusir el Meleq vor dem Eingang des Faijûm, die sich auch durch ihre Bestattungsweise (ausgestreckte Leichen ohne Sarg mit rohen Tongefäßen) als unaegyptisch erweisen: MÖLLER in Mitt. d.D. Orientges. 30, 24f. – PETRIES Annahme, er habe die Ruinen von Auaris in einem kleinen rohen Fort mit Sandwällen bei Tell el Jehudije (dem Leontonpolis der Juden des Onias, nördl. von Heliopolis) gefunden: Hyksos and Israelite cities, 1904, ist völlig unhaltbar. In den Gräbern haben sich Skarabaeen des Chian, des Apopi u.a. gefunden (daneben solche von Sesostris I.), und so wird das Fort ein kleines Hyksoskastell gewesen sein.


307. Mochten die fremden Herrscher sich zunächst auch noch so ablehnend gegen die aegyptischen Anschauungen verhalten, so konnten sie sich doch der Einwirkung ihrer Kultur so wenig entziehen wie alle rohen Eroberer in gleichartigen Fällen. So nehmen sie denn alsbald wenigstens die äußeren Formen der aegyptischen Zivilisation an. Wenn schon Chian seinen Namen in die herkömmlichen Formen der Pharaonentitulatur einfügt und trotz des Sêthkults kein Bedenken trägt, einen mit dem Namen des Rê' gebildeten Thronnamen anzunehmen, so erscheinen vollends seine Nachfolger offiziell ganz wie Pharaonen. Sie bezeigenden aegyptischen Göttern ihre Verehrung, ja die Könige Apôpi scheinen bereits einen aegyptischen Namen zu tragen. Eigene Denkmäler haben sie freilich kaum geschaffen, mit Ausnahme der Tempel des Sêth in Auaris und Tanis; daß sie ihre Namen auf die Denkmäler älterer Könige ganz flüchtig einkritzeln ließen, zeigt nur, ebenso wie ihre rohen Skarabaeen mit völlig verwahrloster und unbeholfener Orthographie, daß sie Barbaren waren. Dem steht nicht entgegen, daß auch unter ihnen die Schreiber, die sie als Beamte nicht entbehren konnten, ihr Handwerk [320] weiter trieben und dann gelegentlich etwa eine Schreibpalette von dem Hyksoskönig zum Geschenk erhielten, daß alte Literaturwerke auch jetzt abgeschrieben wurden, daß sie gelegentlich ein Kunstwerk anfertigen ließen, etwa einen Bronzedolch mit eingelegten Elektronplatten am Griff, auf denen Jagdszenen dargestellt sind, wie einen solchen ein König Apopi (II.) an »den Gefolgsmann seines Herrn Neḥmen« geschenkt hat. Die Macht der älteren Hyksoskönige umfaßte ganz Aegypten, und sie haben z.B. den Besitz des Gebiets von Heliopolis durch ein rohes, mit einem gewaltigen Sandwall umgebenes kleines Fort gesichert (§ 306 A.). Eine ähnliche Garnison scheint in Abusir el Meleq vor dem Eingang des Faijûm gelegen zu haben. Daneben aber duldeten sie die schwachen einheimischen Herrscher in Xois im westlichen Delta und in Theben und dem übrigen Oberaegypten. In größerer Zahl haben sich die fremden Krieger nur im östlichen Delta, dem stark befestigten Auaris und Tanis, niedergelassen, hier ihren Nationalgott verehrt, und die Tribute angehäuft, die sie von dem Lande erpreßten.


Schreiberpalette des Berl. Mus. mit dem Namen des 'Aweserre' Apopi I. aus dem Faijûm: Ausführliches Verzeichnis S. 217, no. 7798; unter demselben König ist der mathematische Papyrus RHIND geschrieben. – Dolch mit dem Namen eines Nebchopš(??)rê' Apopi aus einem Grabe in Sakkara: DARESSY, Ann. du serv. VII 115ff. W. M. MÜLLER, Orient. Lit.-Z. V 173ff. Der Eigentümer des Dolchs hieß Neḥman, der des Sarges, in dem er gefunden ist, 'Abd, beides semitische Namen.


308. Weitere durch Skarabaeen bekannte »Herrscher der Fremdländer« sind Semqen und 'Anat-her-der letztere aus dem Namen der kana'anaeischen Göttin 'Anat gebildet (vielleicht mit aegyptischem Zusatz, »'Anat ist zufrieden«). Gleichartig ist der König Ja'qob-her »Ja'qob ist zufrieden«, der den regelmäßigen Pharaonentitel, mit einem Thronnamen, führt; sein Name ist von dem alten Gottesnamen Ja'qob abgeleitet, der auch in dem kana'anaeischen Ort Ja'qob-el (östlich vom Jordan?) vorliegt und dann zum Namen des israelitischen Heros geworden ist. Durch Skarabaeen kennen wir eine ganze [321] Anzahl weiterer Hyksosherrscher, teils mit aegyptischen Thronnamen, teils mit barbarischen Namen in verwildertster Schreibung; und Bruchstücke von ähnlichen Namen finden sich auch in den Fragmenten des Turiner Papyrus, die denselben Kolumnen angehören wie die Thebaner der siebzehnten Dynastie. Vermutlich hat es im Hyksosreich neben den Oberkönigen nicht wenige lokale Dynasten gegeben, welche die aegyptische Königstitulatur annahmen; und Usurpationen und Thronwirren mögen bei ihnen eben so häufig geworden sein wie in Xois und Theben. Bedeutender treten nur noch mehrere, mindestens drei, Könige namens Apôpi hervor. Einer von ihnen hat in Bubastis den Tempel eines Gottes (der Name ist leider verloren) mit zahlreichen Säulen und einer kupfernen Tür geschmückt. Der erste Apôpi, mit dem Vornamen 'A-weser-rê', der offenbar dem Apophis, dem vierten König Manethos entspricht und einmal »das lebende Abbild des Rê'« genannt wird, hat seinen Namen wie Chian, der bei Manetho sein Nachfolger ist, auf einen Stein in Gebelên oberhalb Thebens eingegraben; in seinem 33. Jahre ist ein erhaltenes mathematisches Handbuch geschrieben (§ 307 A.). Der Name des letzten Apôpi (III.), mit dem Vornamen 'Aqen-jen-rê', steht, nebst dem des Sêth, auf den Schultern der Kolosse des Mermeša' (§ 300) in Tanis. Er hat in Memphis »seinem Vater Sêth von Auaris« »gemäß seinem Befehl« eine Opfertafel geweiht, »weil er ihm alle Lande unter seine Sohlen gab«; man sieht, der Anspruch auf Universalität wird von ihm noch aufrecht erhalten. Wahrscheinlich aber ist er kein anderer, als der Verehrer des Sêth, von dem der Papyrus Sallier erzählt (§ 303), wie er mit dem Kleinkönig von Theben Seqenjenrê' Händel suchte; denn dieser Thronname, den nacheinander zwei oder drei thebanische Könige namens Ta'a geführt haben, ist offenbar nach dem Thronnamen des Apôpi III. gebildet. Sie gehören dem Ausgang der siebzehnten Dynastie an; unter ihnen hat der große Krieg begonnen, der zur Befreiung Aegyptens von der Hyksosherrschaft geführt hat.


[322] Übersicht der Denkmäler bei PIEPER (§ 298 A.) und WEILL (§ 303 A.). Die Skarabaeen bei PETRIE, Hist. I. 116ff. (auch die von ihm der 8. und 9. Dynastie zugewiesenen Skarabaeen gehören den Hyksos oder der 17. Dynastie an), GRIFFITH, PSBA. 19, 294ff. und vor allem NEWBERRY, Scarabs. Mehrere auch bei PETRIE, Hyksos and Israelite cities pl. IX. Die Schreibungen sind oft ganz flüchtig und schwankend; so ist kaum zu entscheiden, ob ein durch viele Exemplare vertretener Herrscher Pepi oder Šeši zu lesen ist. Auch neben Ja'qobher (Thronname Mer-weser-rê') finden sich oft die Varianten J'bqhr, J'qphr u.a. [Über den Gott Ja'qob: meine Israeliten S. 280ff.] Drei Königsnamen (Titel »Sohn des Rê'«) enthalten am Schluß das Silbenzeichen mu (Wasserlinien), das wohl m zu lesen ist; J'm, 'm und Jkbm. Ein anderer Eigenname Skt: NEWBERRY 23, 12. 44, 8; als Königssohn 23, 23. Smqn ib. 23, 10; 'Anather 23, 11. Manche Namen (z.B. NEWBERRY pl. 24. PETRIE, Hyksos cities pl. XI 113) sind ganz unlesbar. Die Fremdnamen im Tur. Pap. auf col. X und XI fr. 112 und 123, darunter Bbn, der vielleicht dem Namen Βνών bei Manetho entspricht. Mehrere Thronnamen enthalten das Element cha', das auch bei den aegyptischen Pharaonen in dieser Zeit recht häufig ist. – Perle von blauem Glasfluß (in Theben erworben) mit »Sohn des Rê' ka-sêth-rê'« LE GRAIN, Ann. du serv. VI 134. – Der Obelisk des 'A-seḥ?-re' »für seine Mutter Per..« (doch wohl eine Göttin) in Tanis PETRIE, Tanis I 3 scheint auch einem Hyksos anzugehören. – 'A-weser-rê' Apopi I.: Rec. 14, 26 = PSBA. 15, 494 no. 17; ferner § 307 A. und vielfach auf Skarabaeen (ein Königssohn Apopi NEWBERRY 23, 29). – Neb-chopš(?)-rê' Apopi II. § 307 A. – 'A-qenjen-rê' Apopi III. in Tanis LD. II 259 c. MARIETTE, Rev. arch., nouv. sér. III 102. V 298. 308. DE ROUGÉ, Inscr. 76 = PETRIE, Tanis I 3; Bubastis: NAVILLE, Bubastis pl. 35 b.c. Altar in Memphis: MARIETTE, Mon. div. 38.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 312-323.
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