Chetitische Invasion. Ende des Reichs von Babel.

Die Dynastie des Meerlandes

[648] 454. »Gegen Samsuditana und das Land Akkad zogen die Chattû«; mit dieser kurzen Chroniknotiz schließt für uns die Geschichte der ersten Dynastie von Babel; und zugleich ist sie auf geraume Zeit die letzte Nachricht, die wir über die Schicksale Sinears besitzen. Es ist das erste Mal, daß der Name der Chetiter in der Geschichte genannt wird. Die Chetiter kommen aus dem östlichen Kleinasien; ob wir aber bei dem Namen der Chronik an dasselbe Volk denken müssen, welches uns hier in den folgenden Jahrhunderten so mächtig entgegentritt (vgl. §§ 474. 501), oder ob sie vielleicht verallgemeinernd den Namen für die verwandten Volksstämme des Nordwestens gebraucht, läßt sich noch nicht entscheiden. Die alte nichtsemitische Bevölkerung Mesopotamiens kann allerdings nicht gemeint sein, da diese als Subarî bezeichnet wird; vielleicht aber darf man an das Mitanivolk denken, das uns in der Folgezeit im nördlichen Mesopotamien entgegentritt (§ 465). So wird wohl eine Invasion aus den nordwestlichen Gebirgen anzunehmen sein. Über Verlauf und Ausgang des Kampfes wissen wir nichts weiter. Doch dürfen wir damit wohl die Angabe des Kossaeerkönigs Agum II. verbinden, daß die Bilder des Marduk und seiner Gemahlin Sarpanit, der Schirmgötter von Babel, nach dem Lande Chani fortgeführt waren und von ihm zurückgeholt sind (§ 459). Das beweist, daß Babel erobert und ausgeplündert worden ist; so wird der Angriff der [648] Chetiter dem Amoriterreich von Babel ein Ende bereitet haben (1926 v. Chr.). Chani ist ohne Zweifel mit Chana im Steppenlande am Euphrat südlich vom Chaboras (§ 433) und mit dem volleren Namen Chanigalbat (§ 465) identisch; offenbar haben die Chetiter hier ihren Herrschersitz aufgeschlagen und von hier aus die Lande weithin ausgeplündert und sich tributär gemacht (vgl. § 464). Beziehungen Sinears zu den kleinasiatischen Stämmen haben wir früher schon kennen gelernt, namentlich in dem Eindringen ihrer Göttin Išchara (§ 433, vgl. §§ 481 u. 486); in der Folgezeit, unter den Kossaeern, begegnen uns kleinasiatische Namen, namentlich solche, die mit dem Gottesnamen Tešub zusammengesetzt sind, nicht selten in den Urkunden, ein Beweis, daß chetitische Elemente unter der einheimischen Bevölkerung Sinears seßhaft geworden sind.


Angabe der Chronik: KING, Chronicles II p. 22. Inschrift des Agum § 458 A. – Das Vorkommen von »Mitani«-Namen (vgl. § 433 A.) in den von CLAY, Bab. Exped. XIV. XV veröffentlichten Dokumenten der Kossaeerzeit hat BORK, Orient. Lit.-Z. IX 588 erkannt, speziell zahlreiche Namen mit Tešub (von CLAY te-ru gelesen), ferner Namen wie Kilia = Gilia in den Mitanibriefen, Bildungen mit dem Mitaniwort ar, ari »geben« (mit dem arischen aria nicht zu verwechseln!) u.a., und den von dem Gott Tarku abgeleiteten Namen Tarkuabu. Vgl. auch UNGNAD, Oriental. Lit.-Z. X 140, und jetzt CLAY, Personal Names from cun. inscr. of the Cassite period, 1912.

454 a. Irgendwelche weitere Kunde über die Chetiter in Sinear und die Geschichte der folgenden anderthalb Jahrhunderte besitzen wir nicht; die Kombinationen, durch die es möglich schien, diese Lücke aus der Welt zu schaffen, haben sich als unhaltbar erwiesen (§ 328). Vielmehr ergibt sich, seit durch KUGLER das Ende der ersten Dynastie von Babel auf 1926 festgelegt ist, zwischen dieser und dem Beginn der dritten, kossaeischen Dynastie um 1760 ein Intervall von rund 165 Jahren. In dieser Zeit müssen mithin die »Könige des Meerlands«, die Nachkommen Ilumailus (§ 452f.), die in den Königslisten als zweite Dynastie bezeichnet werden, die Herrschaft über das ganze Land gewonnen haben; vermutlich hat die chetitische Invasion ihnen die Erreichung ihres Ziels ermöglicht.[649] Ihre Herrschaft bezeichnet noch einmal einen Sieg des sumerischen Elements über die Semiten des Nordens, und so haben denn nach Damiq-ilišu II. (§ 453) alle späteren Könige der Dynastie, im ganzen acht, obwohl sie offenbar semitischen Ursprungs waren, sumerische Namen angenommen. Groß kann ihre Macht nicht gewesen sein, ja vielleicht ist uns selbst ihre Folge nur unvollständig überliefert; denn die erhaltenen Namen reichen in keiner Weise aus, um die Zeit zwischen Ilumailu und den letzten Königen der Dynastie auszufüllen. Wir besitzen aus ihrer Zeit auch nicht ein einziges Dokument, weder eine Königsinschrift oder einen Bauziegel noch eine Geschäftsurkunde. Die einzige Notiz, die sonst noch auf uns gekommen ist, besagt, daß Gulkišar, der sechste König der Dynastie (etwa 1875-1830), der Göttin Ninâ einen Distrikt im Gebiet von Dêr am Tigris geschenkt hat. Babel selbst mag damals zeitweilig in den Händen der Chetiter gewesen sein. Auch sonst wird es an Bewegungen nicht gefehlt haben, wie denn möglicherweise die Ausbreitung der Assyrermacht unter Samsiadad in diese Zeit gehört (§ 464).


Daß die für die 2. Dynastie überlieferten Zahlen ganz unhistorisch sind, ist schon § 327 erwähnt: 11 Könige in 10 Generationen erhalten nicht weniger als 368 Jahre, darunter Ilumailu 60 Jahre, sein Nachfolger 56 Jahre, Gulkišar 55 Jahre, sein Nachfolger 50 Jahre! Da nun aber die Zeit zwischen Ilumailus Erhebung um 2070 und dem Ende der Dynastie um 1720 (§ 458) wirklich rund 350 Jahre beträgt, muß die Dynastie nur lückenhaft überliefert sein; offenbar haben zwischen dem Ausgang des Damiq-ilišu II. um 1980 und dem Antritt des Gulkišar um 1870 mehr als 2 Könige (die noch dazu Brüder gewesen sein sollen) regiert. Schwerlich wird man den ersten von ihnen, Iškibal, auch nur bis zum Ende der 1. Dynastie 1925 hinaufrücken können, so daß hier eine große Lücke vorliegt; vgl. die Königs liste § 458 A. [Die dort gegebenen Zahlen sind die, welche auch HILPRECHT, Bab. Exped. XX 1 p. 42, 2, gelesen hat; sie weichen von den von KNUDTZON und LEHMANN gegebenen, die ich in der vorigen Auflage angenommen hatte, mehrfach ab.]-Die Schenkung Gulkišars kennen wir durch eine Inschrift des Ellilnadinbal, Sohn des Nebukadnezar I., der sie in seinem 4. Jahr, um 1130, bestätigt hat: HILPRECHT, Bab. Exped. I pl. 30f., und dazu seine Assyriaca p. 1ff. sowie JENSEN, Z. Ass. VIII 220ff.; er setzt ihn 696 Jahr vor seine Zeit, [650] d.h. 700 Jahr vor die Erneuerung der Stiftung, und mag dabei das Endjahr der Regierung Gulkišars im Sinne haben. Vgl. § 327 A.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 648-651.
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