Die Sonnenstadt Amarna

[393] In dieser neuen Stadt kann sich, ungehindert durch alte Traditionen und durch Monumente der verworfenen Religion, die moderne Kultur mit der ihr vom König gegebenen Kunstrichtung frei und einheitlich entfalten, wenn auch die Eile, mit der man gearbeitet hat, oft genug bemerkbar ist. Zugleich gewährt sie, da sie kaum über ein Jahrzehnt bestanden hat und dann unbewohnt in Trümmern liegen geblieben ist, ein Bild der Profanbauten, wie es sonst keine Ruinenstätte Ägyptens bietet. Die deutschen und die englischen Ausgrabungen haben große Teile der Stadt aufgedeckt mit den breiten Hauptstraßen und den Villen der Magnaten, in denen ein mit Bäumen bestandener Garten und ein Teich mit einer Laube davor niemals fehlt. In der Anlage herrscht durchweg die geradlinige Richtung, auch in den Alleen; der Teich ist immer rechteckig; der Gedanke an einen Naturpark, wie wir uns vielleicht die kretischen Gärten denken dürfen, liegt den Ägyptern ganz fern. Gleichartig, nur in viel größeren Dimensionen, [393] ist der Königspalast, der den Namen Maru-aten führt, mit zahlreichen Einzelbauten, Hallen und Kiosken; ein großer rechteckiger See, zu dem eine Rampe hinabführt, liegt auch hier in der Mitte, Die Fußböden sind mit Stuck belegt und mit flott gezeichneten Bildern aus der Pflanzen- und Tierwelt bemalt, in denen die Einwirkung der kretischen Kunst ganz anschaulich zutage tritt. Der volle Reichtum der neuen realistischen Kunstrichtung entfaltet sich in den buntbemalten Reliefs, die König und Königin in trautem Verein darstellen, in einer ungezwungenen Haltung, wie sie in jeder anderen Epoche der ägyptischen Kunst ganz undenkbar wäre, etwa nachlässig nebeneinander sitzend und mit den Töchtern scherzend oder auch die Mahlzeit einnehmend, oder in graziöser, fast koketter Haltung sich gegenüberstehend, mit flatternden Gewändern, der König auf seinen Stock gestützt, während die Königin ihm wohlriechende Blumen hinhält oder die Töchter nackt auf dem Diwan miteinander spielen. Die Schöpfungen der Rundplastik vollends gehören zu den bedeutendsten und wirkungsvollsten Kunstwerken aller Zeiten. Daß wir hier durch die Aufdeckung der Werkstatt des Bildhauers Thutmosis mit ihren zahlreichen Modellen und angefangenen Statuen und daneben den Gipsmasken zugleich einen lebendigen Einblick in ihren Betrieb erhalten, ist schon erwähnt757. Neben dem Kopf der Königin, deren formvollendeter aber etwas kühler Schönheit der eigenartige Reiz abgeht, den der Kopf der Teje (o. S. 323) ausübt, und dem realistischen Porträt des alten Amenophis III. (o. S. 324) stehn die immer erneuten Versuche, das geistige Leben des Königs zu erschließen, seinen schwärmerisch-sentimentalen, oft geradezu weichlichen Ausdruck richtig zu treffen. In manchen dieser, immer zugleich von der Individualität des Künstlers getragenen Gestalten ist das vorzüglich gelungen; in anderen [394] streift es durch starke Betonung seiner eigenartigen Körperbildung, namentlich des übermäßig langen Hinterkopfs, des dünnen Halses, des hängenden Kinns geradezu an Karikatur; und das tritt noch stärker hervor, wenn, wie es vielfach geschehn ist, diese Züge auch auf Frau und Töchter des Königs übertragen werden.

Die Neugestaltung der Religion war bei der Übersiedlung nach Amarna im wesentlichen vollendet; in Einzelheiten ist in der Folgezeit noch manches gebessert worden, um den exklusiven Monotheismus noch schärfer hervortreten zu lassen. So wird im Gottesnamen die ursprünglich mit dem Falken geschriebene Bezeichnung als Horus zunächst durch eine rein phonetische Schreibung ersetzt, und dann völlig gestrichen und durch »Rê', der Herrscher der Horizonte« ersetzt, ebenso das Wort šu, das an den gleichnamigen Gott erinnert758. Aus seiner eigenen Titulatur hat der König die Beziehung auf Theben durch den neuen Herrschersitz Acht-aten, die Formel »der die Kronen in Hermonthis erhoben hat« durch »der den Namen des Aten erhoben hat« ersetzt. In dem schönen Sonnenhymnus, der in voller Fassung oder gekürzt in allen Gräbern steht, wird die Allmacht und die in Menschen und in allem Getier Leben und Bewegung erweckende Macht der Sonne enthusiastisch und mit tiefem religiösem Gefühl gepriesen; von Kämpfen des Sonnengottes dagegen, von denen die alte Religion so viel erzählte, ist mit keinem Worte die Rede und ebensowenig von seiner sengenden, vernichtenden Gewalt, obwohl deren Symbol, die furchtbare Uraeusschlange, beibehalten ist. Auch im Totenkult ist aller Spuk und alles Zauberwesen abgestreift, auch die Unterweltsbilder, die in den Königsgräbern eine so große Rolle spielen, fehlen völlig. An Stelle des Osiris ist auch hier Aten getreten; das Gebet an ihn schafft dem gläubigen Verehrer ein seliges Dasein im Jenseits.

[395] Daß es, trotz redlichsten Strebens, nicht möglich war, alle altüberkommenen Vorstellungen zu beseitigen, die mit der neuen Religion in innerem Widerspruch standen, war unvermeidlich. Dahin gehört z.B. die Beibehaltung des Mnevisstiers (o. S. 391) – der allerdings später in Amarna nie mehr vorkommt, so daß vielleicht bei der vollen Ausbildung der Religion auch er gestrichen worden ist – oder im Totenkult die der, jetzt aber auf Aten gestellten, Zauberformel für die Zuwendung der Speisegaben, der ins Grab gelegten Puppen und des Skarabaeus an Stelle des Herzens. Im allgemeinen aber ist es erstaunlich, wie stark überall aufgeräumt ist, und vielleicht noch überraschender, daß zur Bildung einer neuen Mythologie, wie sie sonst auch eine neue Religion sofort erzeugt, sich, soweit wir sehn können, keinerlei Ansatz findet. Der solare Monotheismus ist einer der konsequentesten Gestaltungen des Monotheismus, die die Religionsgeschichte überhaupt kennt.

Am verhängnisvollsten ist vielleicht gewesen, daß die alte Anschauung von der unmittelbaren Verbindung des Königs mit der Gottheit unverändert geblieben ist. Allerdings war das ganz unvermeidlich, da nur dadurch die Einführung der neuen Religion überhaupt möglich gewesen ist. Von einem eigentlichen Königskult, wie er zu Anfang noch bestand. (o. S. 387), finden wir freilich in Amarna nichts mehr, abgesehn davon, daß Amenophis III. seine Göttlichkeit behält. Aber auch Echnaten ist der Sohn des Aten, seines Vaters, er erhält von ihm die Inspiration, und seine Persönlichkeit ist mit dem Kultus ganz unmittelbar verbunden. Das überträgt sich weiter auf seine Gemahlin und zum Teil auch auf seine Töchter, gleich von der Geburt an – Söhne hat er nicht gehabt. Sie stehn im Mittelpunkt der Grabdarstellungen, unmittelbar bestrahlt von der Sonne Atens, ihre Namen fehlen in keinem Gebet, auch der Sonnenhymnus läuft, aus in die Verherrlichung des Königs, des einzigen, der den wahren Gott erkannt und dem dieser die Welt übergeben hat; und neben dem Gottessohn steht auch hier die Königin [396] Nofret-îte. Und doch ist die Stellung des Königs eine sehr andere geworden: tatsächlich ist es der Prophet, dem die Ehrung gilt. Damit tritt Echnaten als erster in die Reihe der wenigen wirklichen Religionsstifter, welche in der Weltgeschichte aufgetreten sind.

Aus dieser Verknüpfung mit der Person des Königs und Propheten erwächst das Verhängnis, das über seinem Werk schwebt: wenn er keinen Nachfolger findet, der dieser Stellung gewachsen ist, muß es zusammenbrechen. Damit verbindet sich noch ein zweites Moment. Alle Religion, mag die Theologie sie noch so abstrakt gestalten, bedarf, um die Seelen zu packen, eines Gottes, der dem Menschen gleicht, wie der Mensch denkt und empfindet und daher, wie auch immer gesteigert, von der religiösen Phantasie in Menschengestalt gedacht wird; nur zu einem solchen Gotte ist ein unmittelbares, persönliches Verhältnis denkbar. Diese Gestalt aber hat die neue Religion verworfen und durch das Bild der Sonnenscheibe mit ihren in Hände endenden Strahlen ersetzt. Diesem Bilde mag wohl ein Schwärmer wie Echnaten eine Persönlichkeit andichten; aber in Wirklichkeit kann sie eine Persönlichkeit niemals werden und bleibt für die Massen kalt und seelenlos, ein Geschöpf, nicht ein Schöpfer. Zu dem Gott, der sich unter anderem auch in der Sonne manifestiert, wie Atum oder Amon, oder zu dem Schöpfergott Ptaḥ, der auch diese geschaffen hat, kann das Volk beten und von ihm Hilfe in allen Nöten erhoffen; die Sonne Aten vermag die Gefühle wirklicher Frömmigkeit und inbrünstiger Hingebung nicht zu erwecken.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 393-397.
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