Die Provinzen und die Stellung der Untertanen. Satrapen, Städte, Dynasten

[45] Im Gegensatz zu den zahlreichen kleinen Provinzen des Assyrerreichs hat Kyros aus den unterworfenen Ländern große Bezirke (griech. νομοί oder ἀρχαί) gebildet, die von einem »Landpfleger« (khšatrapâvan, griech. ἐξαϑράπης, σατράπης. übersetzt meist durch ὕπαρχος, bab. und aram. pachat, pechâ) verwaltet werden61. [45] Das Assyrerreich war aus jahrhundertelangen Kämpfen mit kleinen Fürstentümern und Stadtgebieten, das Perserreich aus der Eroberung vier großer Reiche hervorgegangen. Das Lyderreich hat [46] Kyros in zwei Provinzen zerlegt, den Sprengel von Sardes, der das Hauptland und die ihm eng verbundenen und größtenteils seit alters einverleibten Nachbarländer (Mysien, Karien, das griechische Küstenland) umfaßte, und den Sprengel von Daskylion, zu dem die untertänigen Landschaften des Nordens und Ostens gehörten. Ebenso wurde von Babylonien das Untertanenland als Satrapie »jenseits des Stroms« (u. S. 127) abgetrennt. Den Hauptteil des Mederlands hat vermutlich schon Kyros in zwei Satrapien geteilt, die von Egbatana und das obere Medien mit Assyrien; daran schließt sich im Westen die armenische Satrapie. Etwas zahlreicher sind die iranischen Provinzen; Darius erwähnt in der Bisutuninschrift die Satrapen von Baktrien und Hyrkanien, sein Vater Hystaspes war, wie es scheint, Satrap von Parthien. Ägypten mit seinen Nachbarländern Libyen und Kyrene bildete wieder nur eine einzige Provinz. Als dann Darius das Abgabensystem neu ordnete und die Tribute definitiv festlegte, hat er, im wesentlichen im Anschluß an die älteren Ordnungen, das Reich, mit Ausschluß der Heimat der Perser, in zwanzig Satrapien geteilt (s.u. S. 78). Die Satrapien sind durchweg große, mehrere Völker umfassende Gebiete; sie zerfallen in Unterstatthalterschaften und diese wieder in kleinere Bezirke. Nicht selten werden mehrere Satrapien in der Hand eines einzigen Statthalters vereinigt, so gleich in den ersten Jahren des Darius Babel und das Land jenseits des Stroms in denen des Uštani (ינתת Σισίνης, Ezra 5, 6), häufig umgekehrt Unterstatthalterschaften zu anderen Satrapien geschlagen oder selbständig gemacht. Ebenso sind noch gegenwärtig im iranischen Reich bald zahlreiche Landschaften in einer Hand vereinigt, bald erhält jede ihren eigenen Statthalter. Bei der Dürftigkeit unserer Quellen läßt sich daher die Zahl der selbständigen Satrapien in den einzelnen Epochen nicht mit Sicherheit feststellen, um so weniger, da weder die Perser noch die Griechen die Ober-und Unterstatthalterschaften in der Titulatur unterscheiden. [47] Für die Stellung der einzelnen Statthalter und für die politischen Verwicklungen ist es von großer Bedeutung, ob z.B. die Landschaften Lydien, Großphrygien und Kappadokien vereinigt waren oder selbständige Satrapien bildeten; für die Administration dagegen kommt bei der Größe dieser Provinzen meist nicht allzu viel darauf an, ob der Statthalter der einzelnen Landschaft noch einen Vorgesetzten über sich hat, zumal da ihm der direkte Verkehr mit dem Hofe immer freisteht (o. S. 42)62.

Mit der Aufrichtung des Perserreichs tritt das Regiment der Satrapen und ihrer Unterstatthalter an die Stelle der einheimischen Herrscher und ihrer Beamten. Sie haben die Verwaltung zu führen und zugleich die Interessen des Königs und des Reichs zu vertreten. Der oberste Satrap hat für Ordnung und Sicherheit zu sorgen, jede Rebellion niederzuhalten, Räuber und Diebe zu strafen; sein Ruhm ist, wenn »in seiner Provinz jeder rechtliche Mann in seinen Geschäften ohne Gefahr reisen kann, wohin er will« (Xen. Anab. I 9, 13). Er ist der oberste Richter in Kriminal- und Zivilsachen; wie dem König stehen ihm und ebenso den Unterstatthaltern für die Rechtsprechung »Rechtsträger« (o. S. 30) zur Seite63. Daher heißt die Provinz aramäisch medîna »Gerichtsbezirk«, und von den Ortschaften Gibeon und Mispa nördlich von Jerusalem wird angegeben, daß sie »zum Stuhl des Statthalters von Syrien« gehörten (Nehem. 3, 7), d.h. daß sie von ihm Recht nahmen, nicht vom Statthalter der Provinz Juda. Ferner erhebt der Satrap die Abgaben und führt sie an den König ab; er liefert den Truppen ihre Verpflegung. Er hat dafür zu sorgen, daß das Land gut bebaut ist und der Bauernstand gedeihen kann. Er kontrolliert die Unterstatthalter und setzt sie ein und ab; wer es versteht, seinen Bezirk zu heben und neue Steuerquellen zu erschließen, wird belohnt und erhält ein größeres Gebiet. Zur Durchführung seiner Maßregeln und zur Sicherung [48] seiner Stellung hält der Satrap eigene Truppen und eine ständige Leibwache; außerdem steht ihm der Oberbefehl über die Truppen seiner Provinz zu (u. S. 67). Über die Städte und Dynasten seines Gebiets führt er die Aufsicht; auch mit den nicht untertänigen Nachbarn kann er verhandeln (z.B. Herod. V 96) und, wenn er es für nötig hält, eine Expedition gegen sie ausrüsten, zu der er allerdings wohl meist vorher die Einwilligung des Königs einholt (Herod. V 32, vgl. IV 167)64.

So hat der Satrap fast eine königliche Stellung; vielfach vererbt sich sein Amt Generationen hindurch in derselben Familie, so z.B. in der Satrapie von Daskylion. Ähnlich sind in ihrem engeren Bezirk die Unterstatthalter gestellt, nur daß ihnen in der Regel wenigstens das Truppenkommando abgeht und daß sie der Oberaufsicht der Satrapen unterliegen. Der Hof der Satrapen ist ein Abbild des Königshofs. Die Perser der Provinz, Beamte wie Grundbesitzer, sind verpflichtet, hier zu erscheinen und Geschenke zu bringen; dafür speisen sie an der Tafel des Statthalters, und er sendet ihnen Wein und Leckerbissen und Heu für ihre Pferde. Alle wichtigen Angelegenheiten werden mit ihnen beraten; die Eingaben an den König werden im Namen des Satrapen und des ihm vom König beigesetzten Sekretärs und »seiner übrigen Genossen«, der Perser der Provinz, ausgefertigt, die letzteren gelegentlich nach den einzelnen Kategorien aufgezählt65. Aber die Pflicht des Statthalters ist es, wie für die Interessen des Reichs so auch für das Wohl der Untertanen zu sorgen; und so finden wir nicht selten auch diese zu seinen Beratungen herangezogen. So vertritt der Hyparch von Samaria die Interessen seines Bezirks gegen die Aspirationen der Juden und nennt in seinen Eingaben an den König die Untertanen neben den persischen Beamten. Auch sonst sind die Perser auch in der Verwaltung keineswegs exklusiv gewesen. So zahlreich Perser in den unteren [49] Verwaltungsstellen erscheinen66, so häufig sind Angehörige der unterworfenen Völker wie in der Armee so in der Verwaltung zu den höchsten Posten gelangt. Wie wir unter Kyros und Darius medische und armenische Satrapen finden, so hat z.B. Judäa wiederholt jüdische Statthalter erhalten, und im 4. Jahrhundert ist die Satrapie Karien einem einheimischen Dynastengeschlecht übergeben worden. Unter Pharnabazos ist ein Dardaner Zenis Unterstatthalter von Troas (Äolis), dem nach seinem Tode seine Gemahlin Mania folgt67; unter dem jüngeren Kyros finden wir in Ionien einen Ägypter Tamos als Statthalter und Flottenkommandanten68. Für die lokale Verwaltung vollends waren die Einheimischen gar nicht zu entbehren, zumal wo sie so durchgebildet war wie in Ägypten oder in Babylonien; für diese Zwecke besaßen die Perser weder die nötige Sachkunde noch hätten sie an Zahl ausgereicht. So behielt man in solchen Fällen in der Regel die alten Beamten und die einheimische Verwaltung bei69.

So gleichartig äußerlich die Statthalterschaften erscheinen, so verschieden ist in den einzelnen Gebieten tatsächlich die Gestaltung des Regiments. Der König ist der Herr über alle seine Untertanen und der Satrap sein Vertreter; sie können überall nach Gutdünken eingreifen, nicht nur wo die Interessen des Reichs es erfordern, sondern wo immer es ihnen beliebt. Aber wie jedes erobernde Reich hat sich auch das persische in seinen Einrichtungen den bestehenden Verhältnissen möglichst angepaßt. Wo eine politische Organisation vorhanden war, die den Interessen des Reichs nicht entgegenstand, hat man sie bestehen lassen70,[50] und ebenso umgekehrt da, wo die Kraft des Reichs nicht ausreichte, um eine Umwandlung zu erzwingen, wie bei den nomadischen Stämmen der Steppen und Wüsten des Ostens, Arabiens, Libyens, bei den kriegerischen Völkerschaften der wilden iranischen, armenischen und kleinasiatischen Gebirge. Hier war man zufrieden, wenn die Stämme und ihre Häuptlinge Heeresfolge leisteten und Tribut oder auch nur Geschenke gaben. Im Falle eines Konflikts hat man wohl einmal versucht, sie zu Paaren zu treiben, doch selten mit dauerndem Erfolg; mehrfach hat man sich nur arge Schlappen geholt. Aber auch in den pazifizierten Gebieten gab es zahlreiche Fürsten, welche schon vorher den größeren Reichen untertan gewesen waren oder die persische Oberhoheit freiwillig anerkannt hatten. Diese alle haben auch die Perser bestehen lassen; sie nehmen jetzt die Stellung erblicher Satrapen oder Unterstatthalter ein, nur daß sie zugleich im Innern, ihren Untertanen gegenüber, die Träger der alten Traditionen und des alten Rechts bleiben und für diese der heimische Staat fortlebt, wenn auch mit geschmälerten Rechten und mit der Pflicht, dem fremden Herrn Heeresfolge zu leisten und Abgaben zu zahlen71. Hierher gehört vor allem das Königreich Kilikien, dessen Herrscher, die durchweg Syennesis heißen, bis zum Ende des 5. Jahrhunderts ihr Land als Satrapie regiert haben. Wie sie haben die Häuptlinge der Paphlagonen sich dem Kyros freiwillig unterworfen und daher ihre Rechte behalten. Aber nicht viel anders stehen z.B. die bithynischen Stammfürsten oder die Dynasten und Burgherren in Karien und Lykien. Ähnliche Machthaber gibt es überall im Reiche; in Sogdiana z.B. finden wir zur Zeit Alexanders zahlreiche mächtige Fürsten, von denen mehrere auf ihren Felsburgen dem Eroberer energischen Widerstand leisteten, ebenso in den indischen Grenzlanden. Auch von den zahlreichen Priesterfürsten Kleinasiens und Syriens, die uns in der hellenistischen [51] Zeit als Herren eines ausgedehnten, von Hörigen bebauten Tempellands begegnen, bestanden gewiß manche schon in der Perserzeit oder sind damals zu Macht gelangt, wie der Hohepriester von Jerusalem. Zu ihnen gehört wahrscheinlich 'Abdhadad, der im 4. Jahrhundert Münzen mit aramäischer Legende geprägt hat; wie es scheint, war er der Hohepriester der Atargatis von Bambyke72. Alle diese Machthaber herrschen in alter Weise über ihre Territorien und Untertanen, erheben die Steuern, prägen, wo es der Verkehr erfordert, Münzen auf ihren Namen, sprechen Recht, führen die Truppenkontingente, wenn sie auch unter Aufsicht des Satrapen und seiner Unterstatthalter stehen und diese gelegentlich einmal rücksichtslos eingreifen, den Rechtsspruch eines der kleinen Herren umstoßen, ihn absetzen oder töten mochten.

Nicht anders betrachten die Perser die organisierten Stadtgemeinden, die sie an den Grenzen ihres Reichs, in Phönikien, Cypern, Lykien, den griechischen Gebieten antreffen. Ihrem Wesen nach sind sie ihnen gänzlich fremd, ja fast unverständlich, zumal wo nicht, wie in Phönikien, ein wenn auch in seiner Macht beschränkter König, sondern Rat und Volk das Regiment führen. Daher haben sie in den griechischen Republiken die Regierung überall in die Hände eines Vertrauensmannes, eines Tyrannen, gelegt, der durch sein eigenes Interesse an Persien gebunden schien und für den Gehorsam des Gemeinwesens haftete. Diese Machthaber zahlen dem Reich die Steuern ihrer Städte und führen ihre Truppen und Schiffe. Im übrigen aber mochten die Gemeinwesen ihre inneren Angelegenheiten ordnen, wie sie wollten. In den griechischen Städten haben die Tyrannen offenbar die Formen des republikanischen Selbstregiments unter ihrer Oberaufsicht ebenso bestehen lassen, wie ihre Vorgänger in der Zeit der Unabhängigkeit. Während in den phönikischen Städten der Stadtkönig das Geld prägt, erscheint auf den Münzen der Griechenstädte niemals der Name des Tyrannen, sondern Wappen und Name der Stadt. Alle diese Gemeinden behalten ihr eigenes Recht, Maß und Gewicht, ihre Magistrate und ihren Rat, ihr Gemeindevermögen; sie [52] können nach Gutdünken Steuern und Zölle erheben – ob daneben auch das Reich Hafen- und Marktsteuern erhoben hat, wissen wir nicht –, sie haben eigene Truppen und regeln ihr Verhältnis zu den Nachbargemeinden nach eigenem Ermessen. Nur die Stadtmauern scheinen die Perser meist niedergelegt zu haben. Aber überall können die Reichsorgane eingreifen, wie es ihnen gut dünkt, eine Besatzung in die Stadt legen, ihr Gebiet vergrößern oder verringern, ihre Einkünfte, ja die Stadt selbst einem »Wohltäter«, wie z.B. dem Themistokles, zum Eigenbesitz verleihen (u. S. 57f.). Bei Parteiumtrieben und Unruhen greift der Satrap ein, ebenso bei Fehden mit den Nachbarn, ferner bei wichtigen politischen Angelegenheiten, und ohne Zweifel, wenn es ihm angemessen erscheint, auch bei Prozessen. Auch neues Recht kann er schaffen. So hat nach Niederwerfung des ionischen Aufstandes der Satrap Artaphernes einen Kongreß sämtlicher griechischen Städte nach Sardes berufen, um ein allgemeines Verkehrsrecht zu vereinbaren, das die einzelnen Gemeinden zwang, bei Streitigkeiten zwischen Angehörigen verschiedener Städte ein geregeltes Gerichtsverfahren, wahrscheinlich vor dem Forum des Beklagten, anzunehmen; bis dahin war man über den alten Zustand der Selbsthilfe und der Gewinnung eines Faustpfandes (ἄγειν καὶ φέρειν, vgl. Bd. III2 S. 329) noch nicht hinausgekommen (Herod. VI 42). – So ist es materiell den Städten unter persischer Herrschaft nicht gerade schlecht gegangen, ja sie besitzen eine gewisse Autonomie, d.h. eigenes Recht und eigene Verwaltung. Aber dieselbe ist beschränkt und prekär, nur geduldet, nicht staatsrechtlich festgelegt73. Nicht [53] nur nach außen ist ihnen die freie Bewegung genommen und sind Abgaben und Heeresfolge der Ausdruck der »Knechtschaft« (δουλεία): auch im Innern sind sie ständig den Eingriffen der Reichsorgane ausgesetzt, und wenn diese auch nicht selten ihre wahren Interessen besser fördern mögen als die Organe und Parteien der Gemeinde selbst, so bleibt doch die Sehnsucht nach den alten Zeiten der ungebundenen Selbständigkeit immer lebendig. Nie kann man vergessen, daß man einen Herrn über sich hat. Immer aufs neue hat das nicht nur in den griechischen, sondern auch in den lykischen und phönikischen Städten zu dem Versuch geführt, die volle Freiheit wiederzugewinnen, freilich auf die Dauer immer ohne Erfolg74.

Im Gegensatz zu den »Städten« und »Dynasten«, d.h. den eximierten Gebieten, die unter der Oberaufsicht des Reichs von einheimischen Organen regiert werden, stehen nach dem Sprachgebrauch der hellenistischen Zeit die »Völkerschaften« (ἔϑνη), d.h. [54] das nicht städtisch organisierte flache Land, das dem unmittelbaren Regiment der Reichsbeamten unterstellt ist75. Dieselben Kategorien bestanden auch im Perserreich, nur daß hier der Bereich der »Völkerschaften« viel ausgedehnter ist als später, während »Städte« im staatsrechtlichen Sinne fast nur im Küstengebiet vorkommen. Aber auch hier scheiden sich zwei Gruppen: neben den von den Statthaltern verwalteten Landschaften stehen ausgedehnte Gebiete, welche Privateigentum Einzelner geworden sind und von ihnen verwaltet werden. Dazu gehört vor allem das Königsgut, die durch das ganze Reich zerstreuten Domänen, zum Teil vielleicht ehemals der Besitz der einheimischen Herrscher, zum Teil neue Anlagen, wie z.B. das Schloß von Kelänä in Phrygien, das Xerxes nach 480 erbaut haben soll. Die königlichen Domänen sind große Landgüter mit ausgedehnten Parks (םדרפ παράδεισος), teils Waldungen und Jagdgründe mit starkem Wildbestand, teils wohlgepflegte Gärten und Baumpflanzungen – die Gartenkultur haben die Perser wie alle Orientalen mit besonderer Liebe betrieben76. Die Verwaltung leitet ein Vogt, der »Aufseher des königlichen Paradieses«, so in Syrien unter Artaxerxes I. Asaph, der den Auftrag erhält, Nehemia das Holz für den Mauerbau von Jerusalem zu liefern, so bei Magnesia am Mäander unter Darius I. Gadatas, den der König belobt, weil er Pflanzen aus Syrien (»dem Land jenseits des Euphrat«) in Kleinasien (»den unteren Gebieten Asiens«) akklimatisiert hat, aber schwer tadelt, weil er die Gärtner des Apollon zu Frondiensten auf profanem Gebiet gezwungen und von ihnen Abgaben erhoben hat77. – Andere Besitzungen gehören der Königin, so die Dörfer, aus deren Erträgnissen ihr Haushalt und ihr Schmuck beschafft wird (u. S. 81). Auch die Satrapen haben Paradiese und Schlösser in ihrer Provinz78.

[55] In derselben Weise wird Grund und Boden zu erblichem Eigentum an verdiente Untertanen, »Wohltäter« (o. S. 32f. 41) verliehen, Perser wie Ausländer79. Die geschenkten Besitzungen sind an sich nichts anderes als große Güter, deren Eigentümer, wie es scheint, mit besonderen Privilegien, Steuerfreiheit und Gerichtsbarkeit über die Gutsangehörigen, ausgestattet wurden; dafür haben sie Reiter für das Heer zu stellen80. Sie sind den Statthaltern unterstellt und verpflichtet, an ihrem Hof und in ihrem Rat zu erscheinen. Viele von diesen Schenkungen haben jedoch einen solchen Umfang, daß sie über das Maß der Privatwirtschaft hinausgehen und ihre Besitzer im Verhältnis zum Reich wie zu den Untertanen eine fürstliche Stellung erhalten. Derartige Gebiete sind zweifellos aus dem sonst üblichen Schema der Provinzialverwaltung eximiert und den Unterstatthalterschaften gleichgestellt worden81. Hierher gehört die Hausmacht der Hydarniden in Armenien, der Otaniden in Kappadokien82, des Hauses des Pharnabazos im hellespontischen Phrygien, des Tissaphernes in Karien83. Von den Statthaltern unterscheiden sich diese Grundherren dadurch, daß das Gebiet, das sie verwalten, ihr volles erbliches Eigentum ist; sie stehen den einheimischen Dynasten gleich, nur daß sie nicht gleichen Stammes mit den Untertanen, sondern ihnen zu Herren gesetzt sind und daß sie viel größere Privilegien, vielleicht sogar [56] volle Abgabenfreiheit besitzen. Vielfach müssen ihre Vorrechte sehr groß gewesen sein. Wenn Herodot vom Haus des Otanes berichtet, es sei allein von allen Persern auch jetzt noch frei und werde nur so weit beherrscht, wie es selbst wolle, vorausgesetzt, daß es die persischen Gesetze nicht übertritt, so kann sich das nur auf seine Stellung in Kappadokien beziehen. Darauf deutet auch Platos Angabe hin, daß Darius und seine sechs Genossen das Reich unter sich verteilt hätten (o. S. 30, 1). In der Tat berichtet die allerdings wenig zuverlässige Tradition der späteren Könige Kappadokiens aus diesem Hause, ihre Vorfahren hätten das Land von Darius als erbliche, tributfreie Dynastie erhalten.

In ähnlicher Weise sind nicht selten ganze Ortschaften verschenkt worden, so daß der Beschenkte ihre Einkünfte bezieht und somit als Grundeigentümer des Stadtgebiets gilt. So erhielt Amyntas, der Sohn eines vornehmen Persers und einer makedonischen Prinzessin, die Einkünfte der Stadt Alabanda84, Zopyros, der Eroberer Babylons, die Einkünfte Babylons auf Lebenszeit abgabenfrei85. Griechische Städte sind, soweit wir wissen, nur an Griechen zum Eigenbesitz verliehen worden; sie allein mochten als befähigt gelten, das Regiment über ihre Landsleute zu führen. So soll Kyros dem Kyzikener Agathokles sieben Städte, wie es scheint meist in Troas, verliehen haben86. Der flüchtige Spartanerkönig Demarat erhielt die halbgriechischen Städte Teuthrania und Halisarne in Mysien, Gongylos von Eretria die Äolerstädte Gambrion und Palägambrion, Myrina und Gryneion; ihre Nachkommen regieren in diesen Städten noch zu Anfang des 4. Jahrhunderts87. Themistokles erhält von Artaxerxes I. »Magnesia am Mäander für [57] das Brot, Lampsakos für den Wein, Myus für die Zukost«. Die also Beschenkten werden dadurch zugleich Regenten dieser Städte; aber ihre Stellung ist, wie diese Formulierung zeigt, eine wesentlich höhere als die eines von den Persern eingesetzten Tyrannen. Der Beschenkte wird Herr und Eigentümer der Städte und ihres Gebiets und bezieht aus ihnen seine Einkünfte nicht anders als der König oder die Königin aus den für ihren Unterhalt bestimmten Ortschaften. Daher hat, anders als die Tyrannen, Themistokles in Magnesia Münzen auf seinen Namen geprägt, ebenso Gongylos und seine Nachkommen88. Wenn berichtet wird, daß Themistokles aus Magnesia alljährlich 50 Talente zog, so ist diese Summe trotz der Größe und Fruchtbarkeit des Gebiets nur zu erklären, wenn ihm nicht nur die städtischen Zölle und Abgaben, sondern auch der bisher an das Reich entrichtete Tribut zugewiesen war89. So darf man vielleicht annehmen, daß die persischen Landschenkungen überhaupt mit Abgabenfreiheit verbunden waren: das würde dem Grundsatz entsprechen, daß die Perser – und ebenso die ihnen vom König wegen ihrer Verdienste gleichgestellten Männer – keine Abgaben zahlen. Auch manchen Heiligtümern ist Freiheit von Abgaben und Fronden verliehen worden, so dem Apollo von Magnesia schon von Kyros, dem Himmelsgott von Jerusalem von Artaxerxes I. Zur Heeresfolge dagegen sind natürlich alle diese Gebiete verpflichtet.

Für die Untertanen macht es wenig Unterschied, wem sie zu fronden und zu zinsen haben, ob sie direkt vom Satrapen und seinen Unterstatthaltern oder von einem großen Magnaten regiert werden; die Kosten des Unterhalts ihrer Vorgesetzten haben sie neben den Abgaben an das Reich in beiden Fällen zu tragen. Die Bedürfnisse der Hofhaltung eines Statthalters waren sehr beträchtlich. [58] Als Nehemia im Jahr 445 Statthalter der kleinen und armen Provinz Juda war, speisten an seinem Tisch täglich 150 angesehene Juden, dazu die, welche aus den Nachbargebieten zu Besuch kamen; der tägliche Aufwand betrug ein Rind und sechs Schafe, dazu Geflügel und Wein. »Trotzdem«, erzählt Nehemia (5, 14ff.), »habe ich das ‹Brot des Statthalters› nicht gegessen (d.h. nicht bezogen), während die früheren Statthalter vom Volk für Brot und Wein täglich 40 Silberseqel (47 M.) nahmen (jährlich also 2,4 Silbertalente = 16,872 M.) und überdies ihre Knechte das Volk herrisch bedrückten.« Ähnlich mögen die Ausgaben eines kleinen Dynastenhofs gewesen sein. Danach kann man ermessen, was der Hofhalt eines großen Satrapen täglich kostete. Nach einer allerdings phantastisch übertriebenen Angabe bezog der Satrap von Babylonien täglich 1 Artabe (ca. 56 Liter) Silber; dazu hatte er ein großes Gestüt mit 16000 Stuten und 800 Hengsten, und vier Dörfer für den Unterhalt seiner Hunde (Herod. I 192). Wir sehen, daß wie bei den Landschenkungen so bei den Statthaltern die Ausstattung in »Brot, Wein und Zukost« auf die Untertanen angewiesen war. Offenbar blieb es ihrem Ermessen überlassen, den Bedürfnissen entsprechend die Höhe des zu erhebenden Betrags festzusetzen.

Eigene Rechte stehen den Untertanen nicht zu; eine wirkliche, rechtlich geschützte Selbstverwaltung kennt das Reich, abgesehen von ihrer Duldung in den Küstenstädten, so wenig90 wie den Begriff der politischen Freiheit, außer wo er bei Berg- und Wüstenstämmen zusammenfällt mit Unkultur. Trotzdem liegt es im Wesen eines despotisch regierten Reichs, daß den Untertanen in ihren eigenen Angelegenheiten große Bewegungsfreiheit gelassen wird. Wenn sie nur gehorsam sind, die Abgaben zahlen und die vorgeschriebenen Truppen stellen, mögen sie im übrigen tun und lassen was sie wollen. Die Beamten sind lange nicht zahlreich genug, [59] um überall eingreifen zu können. Auch ist es nur natürlich, daß sie sich durchweg an die bestehenden Verhältnisse anlehnen und sich von den Untertanen unterrichten und beraten lassen. Daher wird den Untertanen eine lokale Organisation gestattet, ja vielleicht geradezu gegeben. So zerfällt z.B. die kleine Provinz Juda in eine Anzahl von Landbezirken, an deren Spitze einheimische Grundbesitzer stehen, die in den Hauptorten ihren Sitz haben. Sie werden die lokalen Angelegenheiten und vermutlich zugleich die Erhebung der Steuern und ihre Ablieferung an den Statthalter besorgt haben. Die Angelegenheiten der Gesamtgemeinde dagegen werden von den Geschlechtsältesten geleitet, die in Jerusalem zum Rat zusammentreten; dieser Rat hat auch die Gerichtsbarkeit über die Volksgenossen. Der König erklärt das Gesetzbuch »in Ezras Hand« für bindend für die Juden und gibt Ezra Vollmacht, Richter einzusetzen, die auf Grund desselben Recht sprechen sollen. In wichtigen Fällen wird auch wohl eine Volksversammlung des ganzen Stammes ausgeschrieben. So eigenartig die Stellung der Juden war, ähnliche Organisationen wird es doch vielfach im Reich gegeben haben, abgesehen von den Ländern, wo wie in Ägypten von alters her ein bis ins kleinste ausgebildeter Beamtenapparat alle Angelegenheiten erledigte. Als Alexander vor Sardes erscheint, kommen »die angesehensten Sardianer« mit dem Festungskommandanten zu ihm, um ihm die Stadt zu übergeben (Arrian I 17, 3)91. Die Rechtsgeschäfte werden in Babylonien und Ägypten und gewiß auch sonst in den altgewohnten Formen und in der einheimischen Sprache abgeschlossen, auch wenn ein Perser, ja selbst wenn der Satrap oder der Kronprinz daran beteiligt ist. So werden die Statthalter, auch wenn sie eine Sache nicht den Organen der Untertanen überließen, sondern vor ihren Stuhl zogen, [60] in der Regel nach dem einheimischen Recht entschieden haben. Religiöse Satzungen, wie sie Ezras Gesetzbuch enthält, mögen auch sonst mehrfach vom König sanktioniert und als bindend für alle Reichsorgane anerkannt worden sein. Im übrigen aber hat das einheimische Recht schwerlich irgendwo gesetzliche Gültigkeit gehabt. Von Alexander wird berichtet, daß er »der Stadt Sardes und den Lydern insgesamt das alte lydische Recht zurückgab und sie für frei erklärte«. Das kann, da von politischer Freiheit hier nicht die Rede sein kann, nur besagen, daß er sie der Willkür der Beamten entzog und ihnen Selbstverwaltung und eigene Rechtsprechung wiedergab. Mithin war das lydische Recht von den Persern nicht anerkannt, so oft man es auch bei Prozessen berücksichtigt haben mag. Hier wie überall ist es nicht so wohl Ungerechtigkeit und Gewalttätigkeit der Regierung, was das despotische Regiment als einen schweren Druck empfinden läßt, als vielmehr die Willkür, mit der sie bald eingreift, bald nicht, und die dadurch geschaffene Unsicherheit des Rechtszustandes.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 45-61.
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