Alter des Lebens u. alte Leute

[21] Alter des Lebens u. alte Leute. Die Gliederung des Lebens ist nach der Anschauung des Mittelalters, welches hierin wesentlich mit antiken Anschauungen übereinkommt, entweder eine dreifache: kintheit, jugent, alter, oder eine vierfache: kintheit, jugent, manheit, alter, in einzelnen Fällen eine noch mehrfache. Besonders beliebt ist eine solche, welche einen Fortschritt von zehn zu zehn Jahren annimmt; der bekannte Spruch von den zehn Lebensaltern lässt sich seit dem 15. Jahrh. nachweisen.

Fester begrenzt sind diejenigen Lebensabschnitte, welche durch Sitte und Recht gezogen werden, wobei übrigens die Altersunterschiede bloss für den freien Mann gelten, nicht für den Unfreien und das Weib. Das Alter, mit dem nach germanischer Sitte die Kindheit schliesst und die bescheidenen, die kenntlichen, die versunnenlichen Jahre beginnen, ist das zwölfte Jahr; wo das siebente genannt wird, ist römisches Recht im Spiel. Nach germanischen Quellen währt Unzurechnungsfähigkeit bis[21] zum zwölften Jahr. Vollständig freilich wurde die Zurechnung für den Knaben erst mit dem 15. Jahre, während für Mädchen die Frist um drei Jahre früher angesetzt war. In diesem Alter endigte der Unterricht des Knaben und er wurde mündig; einen Vormund setzt er nur noch, wenn er es selbst wünscht und wen er wünscht; als Sohn und Erbe eines Königs kann er jetzt ohne Reichsverweser herrschen. Nur in einzelnen besondern Rechten, wie dem langobardischen und sächsischen, war die Mündigkeit auf das 12. oder 13. Jahr gestellt. Wer das Alter der Mündigkeit erreicht hatte, hiess zu seinen Jahren gekommen, gejährt oder jährig; die Zahl von 12 oder 15 Jahren heisst Jahrzahl, anni legitimi, aetas. Doch blieb der Sohn auch jetzt noch, solange der Vater lebte und er unabgesondert in dessen Hause wohnte, in väterlicher Dienstbarkeit, zusammen mit dem Gesinde. Zum vollen Mannesrecht gelangte der Sohn erst mit dem 20., die Tochter zu ihrem vollen Rechte mit dem 15. Jahr. Beide Messen jetzt zu ihren Tagen gekommen. In diesem Alter erhielt der freie Sohn die feierliche Erteilung und Anerkennung des Waffenrechtes, die Wehrhaftigkeit. Doch wurde im Verlaufe des Mittelalters diese Frist der 20 Jahre mehr und mehr verwischt und ihre Wirkungen auf das 15. oder 13. Jahr zurückverlegt, sodass z.B. der Sachse schon im 10. Jahrh. vom 12. Jahr an dem Heerbann folgen musste.

Das Alter des Mannes im vollen Sinne des Wortes reichte bis zum 60. Jahre, von da an hiess er nach seinen Tagen, über seinen Tagen, das Alter beginnt. Der 60jährige Edle ist weder zum Kampfe vor Gericht, noch zum ritterlichen Lehndienst mehr verbunden. Das Wergeld nimmt von da an wieder ab, eine neue Unmündigkeit tritt ein, der 60jährige hat das Recht sich einen Vormund zu setzen und muss für irgend welche Rechtshandlung, wenn es begehrt wird, sich ausweisen, dass er an Leib und Geist noch ein gewisses Mass von Manneskraft besitze. Ja die eigentlichen Greise verfielen wiederum in Dienstbarkeit. Man hat Nachricht, dass auch bei den Germanen, z.B. den Herulern, Greise aus Erbarmen getötet wurden, namentlich wo Hungersnot mitwirkte. Nach Wackernagel, die Lebensalter. Vgl. Grimm, Rechtsaltertüm., S. 486 ff.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 21-22.
Lizenz:
Faksimiles:
21 | 22
Kategorien: