Ode an Schinz

[21] O vera Vita, che non sà che sia

Morir inanzi Morte

Potess' io pur cangiar teco mia sorte!


Wenn du Daphnen umarmst, und ihr geliebtes Aug

Alles, was Sie empfindet, sagt,

Und vor himmlischer Lust, Freund, dein gefühlvoll Herz

An dem Herzen der Freundin bebt,

Wenn dein Blick itzt an ihr voller Entzückung hängt,

Sieht, wie Unschuld und Zärtlichkeit

Jede Miene belebt, wenn Du, in ihrem Kuß

Ganz gesättigt, zu groß dich fühlst,

Goldne Wünsche zu tun; sprich mein Geliebtester,

Wenn, von Daphnen geliebt zu sein,[21]

Wenn der große Gedank ganz deine Seele füllt,

Und kein Trieb ist, den Daphne nicht

Ganz beruhiget hat, fühlst du, o Schinz, dann nicht

Diesen einzigen Wunsch in dir:


»Möchtest Du auch hier sein, der du mich ferne liebst,

Der du fern von Sophiens Arm

Dein Verhängnis beweinst, und noch die Tränen mehr,

Die die himmlische Freundin weint,

Möchtest du auch hier sein! Wärst Du der Seligkeit

Zeuge, die itzt mein Leben krönt,

Jener, deren Gestalt sich vor dein wünschend Herz

Stellte, da du Balsoren sangst!

Wäre die auch bei uns, die du so zärtlich liebst,

Die so himmlisch dich wiederliebt!

O, was fühlten wir dann, Wieland, was fühlten wir!

O, wie zärtlich umarmten sich

Unsre Freundinnen dann! o, wie umarmten wir

Uns bei ihren Umarmungen!

Auch der segnete dann unsrer Empfindung zu,

Dessen Nam uns zur Tugend weckt,

Mit Sokratischem Blick lächelte Bodmer oft

Unsrer edleren Liebe zu.

O dann fänd uns die Ruh mit der ätherschen Lust

In gesangvollen Hainen gehn,

Unter Lauben, wo gern, weil sie die Einfalt liebt,

Sich die Weisheit zur Freundschaft findt.

O dann wären wir, Freund, seliger, als voreinst

Die Bewohner Arkadiens,

Wo die Unschuld und Lust lächelnder Nymphen Reihn

Zu harmonischen Tänzen rief.«


Wünscht dein Herz nicht so, wenn Du in Daphnens Arm

Mehr die Triebe nach Freunden fühlst?

Ja, so wünschet mein Schinz! ach! warum hörest Du

Unsre weiseste Wünsche nicht,

Der du niemals gehört, daß ein gemeiner Wunsch

Mein erhabneres Herz entweiht![22]

O! wie wären wir dann glücklich! dann wünschten wir

Nimmer! heitre Zufriedenheit,

Wie die Liebe sie schenkt, breitete dann um uns

Ihre Schwanengefieder aus,

Jede Stunde, die wir lebten, der gäbest Du,

Weisheit, neuen verschiedenen Reiz;

O! wir lebten dann so, wie man der Ewigkeit

Und der nähern Gottheit lebt!


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 4, München 1964 ff., S. 21-23.
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