Gärung

[234] Gärung nennt man eine Reihe von Prozessen, bei denen, meistens unter Mitwirkung von Mikroorganismen, eine Zersetzung komplizierter zusammengesetzter anorganischer Stoffe in einfachere stattfindet. Von diesen Erscheinungen pflegt man die Zersetzung stickstoffhaltiger Stoffe speziell als Fäulnis und Verwesung abzusondern und mit Fäulnis die unvollkommenen Zersetzungsprozesse, mit Verwesung diejenigen zu bezeichnen, bei denen ein völliger Zerfall in Kohlensäure, Wasser und Ammoniak bezw. Salpetersäure eintritt. Unter Gärung in engerem Sinne versteht man dann die Zersetzung von Kohlehydraten.

Zur Erklärung der Gärungserscheinungen waren zahlreiche Theorien aufgestellt [1], [2]. Im Gegensatz zu der von Pasteur verbreiteten Annahme, daß die Gärung durch die Lebenserscheinungen der sie erregenden Organismen bedingt und ein von den lebenden Zellen nicht zu trennender Vorgang sei, ist durch die Arbeiten von Buchner [3] für die Erreger der geistigen Gärung, die Hefen, nachgewiesen, daß ein von den lebenden Zellen trennbares Ferment, die Zymase, die Gärungserscheinungen verursacht.

Von den verschiedenen Arten der Gärung ist technisch die wichtigste die alkoholische oder geistige Gärung, welche die Grundlage der Bierbrauerei, der Weinbereitung und der Spiritusfabrikation bildet. Diese Gärung wird hervorgerufen durch die in den verschiedenen Hefearten (s.d.) befindliche Zymase. Die Hefen zerlegen hauptsächlich die einfachen Zuckerarten nach der Gleichung C6H12O6 = 2C2H6O + 2O2. Doch sind Alkohol und Kohlensäure nicht die einzigen Produkte der Gärung; es bilden sich nebenher stets geringe Mengen Bernsteinsäure und Glyzerin. Auch höhere Alkohole, namentlich Amylalkohol, zusammengefaßt unter der Bezeichnung Fuselöl, sind unter den Produkten der geistigen Gärung fast immer nachzuweisen, doch verdanken diese ihre Entstehung wahrscheinlich nicht der Zymasegärung; sie werden vielmehr von andern Mikroorganismen gebildet, die über kurz oder lang wohl auch technisch für die Darstellung des immer mehr im Preise Zeigenden Amylalkohols herangezogen werden dürften. Die Gärung findet nur bei Temperaturen zwischen 0 und 50° statt. Die günstigste Temperatur hängt von den Hefearten ab und liegt im allgemeinen zwischen 25 und 35°. In Zuckerlösungen von mehr als 22% tritt keine Gärung ein, ebenso wenn mehr als 14 Gewichtsprozent Alkohol in der Lösung sind. Ueber Stoffe, welche die Gärung fördern oder beeinträchtigen, s. Hefe.

Die Essigsäuregärung verwandelt den Alkohol und auch Kohlehydrate in Essigsäure. Erreger der Gärung ist der Essigpilz Mycoderma aceti. Ueber große mit Buchenholzspänen gefüllte Fässer, die sogenannten Essigbildner, läßt man Alkohol von ca. 10 Gewichtsprozent fließen. Die auf den Spänen angesiedelten Pilze verwandeln unter Mitwirkung des Sauerstoffes der Luft den Alkohol in Essigsäure. Die günstigste Temperatur liegt zwischen 10 und 35°.

Milchsäuregärung wird durch eine Reihe von Mikroorganismen erregt; die Gärung wird jedoch durch die gebildete Milchsäure sehr bald gehemmt. Zur Erzeugung größerer Mengen Milchsäure muß man durch Zusatz von Calciumkarbonat die gebildete Milchsäure als Calciumsalz abscheiden. Die Milchsäuregärung verläuft am besten bei Temperaturen über 50°. Sinkt die Temperatur unter 50°, so tritt leicht eine Zersetzung der schon gebildeten Milchsäure in Buttersäure ein.

Ueber die schleimige Gärung, durch die der Wein in eine schleimige, fadenziehende Masse verwandelt wird, s. Wein.


Literatur: [1] Schützenberger, Die Gärungserscheinungen, Leipzig 1876. – [2] Nägeli, Theorie der Gärung, München 1879. – [3] Buchner, Berichte der Deutschen chemischen Gesellschaft 1897, S. 117–124.

H. Herzfeld.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 234.
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