Weinsäuren

[906] Weinsäuren (Dioxybernsteinsäuren), organische Säuren von der Zusammensetzung C4H6O6.

Es sind vier Modifikationen bekannt, denen allen die gleiche Strukturformel


Weinsäuren

zukommt: gewöhnliche oder Rechtsweinsäure, Linksweinsäure, Traubensäure oder Paraweinsäure und inaktive Weinsäure. Die beiden ersten Säuren sind sich in ihren Eigenschaften sehr ähnlich und unterscheiden sich nur dadurch, daß sie die Ebene des polarisierten Lichtes nach entgegengesetzten Richtungen, aber um gleichviel, ablenken. Traubensäure und Mesoweinsäure sind beide optisch inaktiv. Die Traubensäure kann aber in Rechts- und Linksweinsäure gespalten werden; sie ist daher die racemische Mischung jener beiden optisch aktiven Komponenten. Die Mesoweinsäure ist nicht spaltbar, sondern wird durch Erhitzen mit Wasser in Traubensäure umgewandelt. Die verschiedenen Modifikationen haben alle die gleiche, durch obige Formel ausgedrückte Struktur.

1. Rechtsweinsäure, gewöhnliche Weinsäure, Weinsteinsäure, Acidum tartaricum, im Pflanzenreich weit verbreitet, findet sich namentlich im Traubensaft und kristallisiert in Form ihres sauern Kaliumsalzes, des Weinsteins, bei der Gärung desselben aus. Sie kristallisiert in weißen, großen, monoklinen Prismen, welche in Wasser und Alkohol leicht, in Aether nur schwer löslich sind, schmilzt bei 170° und verkohlt bei der trockenen Destillation unter Verbreitung eines Geruches nach Karamel und unter Bildung von Brenztraubensäure und Brenzweinsäure. Beim Erhitzen mit Wasser auf 165° entsteht hauptsächlich Mesoweinsäure, auf 175° überwiegend Traubensäure. Mit Linksweinsäure verbindet sie sich in konzentrierter Lösung zu Traubensäure. Durch energische Oxydation zerfällt sie in Kohlendioxyd und Ameisensäure; durch Reduktion geht sie zunächst in Rechtsapfelsäure, schließlich in Bernsteinsäure über. – Die Weinsäure wird technisch in großem Maßstabe aus Weinstein oder aus Weinhefe gewonnen. Der Weinstein wird in großen Bottichen in siedendem Wasser gelöst und vermitteln Kreide oder Gips in weinsauern Kalk übergeführt, welcher durch Abkühlen und Absetzenlassen der Lauge gewonnen wird. Aus Weinhefe wird der weinsaure Kalk dargestellt, indem man zunächst den Alkohol abdestilliert, den Rückstand mit Salzsäure zum Sieden erhitzt und die abgeheberte klare Lösung der freien Säure mit Kreide neutralisiert. Der ausfallende weinsaure Kalk wird gut ausgewaschen und mit einem Ueberschuß von Schwefelsäure versetzt. Die Weinsäurelösung, welche zur Erzielung schöner Kristalle freie Schwefelsäure enthalten muß, wird vom Gips abgezogen, in Bleipfannen bei 70–75° eingedampft und in Blei- oder Tonschalen der Kristallisation überlassen. Die Kristalle werden ausgeschleudert und durch Umkristallisieren unter Mithilfe von Tierkohle gereinigt. Die Rechtsweinsäure ist von den Weinsäuren die einzige technisch wichtige. Sie wird in großen Mengen als Beize in Färbereien und Druckereien, ferner zur Herstellung von Kunstwein, Backpulver, Brausepulver u.s.w. verwendet.

Salze der Weinsäure, Tartrate: Das neutrale Kaliumsalz C4H4K2O6 + 1/2H2O ist in Wasser leicht löslich. Durch Säuren wird aus reinen Lösungen das saure, in Wasser schwer lösliche Salz C4H5KO6 gefällt, welches mit dem natürlichen Weinstein oder Cremor tartari identisch ist. Das Kaliumnatriumtartrat, Seignettesalz, C4H4KNaO6 + 4H2O, kristallisiert in großen rhombischen Säulen mit hemiedrischen Flächen und dient zur Herstellung der Fehlingschen Lösung (s.d.). Ueber Brechweinstein s. den Einzelartikel.

2. Linksweinsäure ist der gewöhnlichen Weinsäure sehr ähnlich, sie schmilzt bei 167–170° unter denselben Erscheinungen, die Salze sind ähnlich und meistens isomorph, zeigen aber entgegengesetzte hemiedrische Flächen. Der Unterschied zwischen beiden Säuren ist somit auf die verschiedene optische Drehung beschränkt. In konzentrierter Lösung verbindet sich die Linksweinsäure mit Rechtsweinsäure zu Traubensäure. – Ueber die Darstellung der Säure vgl. weiter unten.

3. Traubensäure, Paraweinsäure, C4H6O4 + H2O findet sich bisweilen neben der gewöhnlichen Weinsäure im Traubensaft und entsteht bei der Darstellung dieser Säure, wenn die Weinsteinlösungen zu heftig und besonders bei Gegenwart von Tonerde eingedampft werden. Die Traubensäure bildet rhombische Prismen, welche schon bei gewöhnlicher Temperatur langsam verwittern, beim Erhitzen auf 110° das Kristallwasser völlig verlieren und dann wasserfrei bei 205–206° unter Aufschäumen schmelzen. Sie ist in Wasser schwerer löslich als Rechts- und Linksweinsäure. Bei der Oxydation mit Kaliumpermanganat liefert die Traubensäure Oxalsäure, bei der Reduktion zunächst inaktive Apfelsäure, dann gewöhnliche Bernsteinsäure. – Die Traubensäure entsteht durch Oxydation von Mannit, Dulcit und Weinsäure mittels Salpetersäure, von Fumarsäure mit Kaliumpermanganat, aus Dibrombernsteinsäure u.s.w. Dargestellt wird sie durch Erhitzen von gewöhnlicher Weinsäure mit Wasser auf 175°. – Ihre Salze werden Racemate genannt, sind im allgemeinen den Tartraten ähnlich, zeigen aber keine[906] hemiedrischen Flächen. Das Monokaliumracemat ist in Wasser bedeutend leichter löslich als Weinstein, dagegen das Calciumracemat C4H4CaO6 + 4H2O schwerer löslich als die Calciumsalze der drei andern Weinsäuren. – Die Spaltung der Traubensäure in ihre beiden optisch aktiven Komponenten läßt sich auf verschiedenen Wegen bewirken. Penicillium glaucum zerstört beim Wachsen in einer Traubensäurelösung die Rechtsweinsäure; Linksweinsäure bleibt übrig.

4. Inaktive Weinsäure, Mesoweinsäure C4H6O4 + H3O, bildet rechtwinklige, bei gewöhnlicher Temperatur schon verwitternde Tafeln vom Schmelzpunkt 143°. Sie entsteht unter anderm aus Sorbin und Erythrit durch Oxydation mit Salpetersäure und am leichtesten durch zweitägiges Erhitzen von gewöhnlicher Weinsäure mit 0,1 ihres Gewichtes Wasser auf 165°. Das saure Kaliumsalz der Säure ist in Wasser leicht löslich.


Literatur: Beilstein, Handbuch der organ. Chemie, Hamburg u. Leipzig 1893, 3. Aufl., Bd. 1, S. 788–802; Fischer, F., Handbuch d. ehem. Technologie, Leipzig 1893, S. 632; Schmidt, Pharm. Chemie, Bd. 3, Braunschweig 1901.

Bujard.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 906-907.
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