Monddistanzen

[481] Monddistanzen, früher eine der wichtigsten Methoden zur Bestimmung der geographischen Länge des Beobachtungsorts auf Reifen; sowohl zur See als zu Land anwendbar (im Gegensatz zu einigen andern Mondmethoden, vgl. Längenbestimmung).

Keine andre Aufgabe der praktischen sphärischen Astronomie hat eine so große Literatur hervorgerufen wie die Längenbestimmung aus Monddistanzen; diese Literatur beginnt schon weit früher, als in dem Hadleyschen Spiegelsextanten (1731) das Instrument zur Ausführung der für die Aufgabe notwendigen Messung (vgl. Längenbestimmung) vorhanden war; die Mayerschen Mondtafeln (1755) mußten ferner noch hinzukommen, um auch die Rechnung mit Aussicht auf Erfolg führen zu können, d.h. die Mondörter so genau angeben zu können, daß die geozentrischen Distanzen genügend (voraus-) berechnet werden konnten. Die Geschichte der Aufgabe kann hier nur in einigen Andeutungen verfolgt werden; erwähnt sei als Beweis auch ihrer nautischen Wichtigkeit nur, daß selbst die Harrisonschen Längenuhren, unsre heutigen »Chronometer«, in England, die Leroyschen und Berthoudschen in Frankreich (H.s Preis 1762; B., Traité des horloges marines 1773), die das nautische Längenproblem auf dem einfachsten Weg zu lösen versprachen, der Weiterentwicklung der Aufgabe der Monddistanzen bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts keinen Eintrag taten. Ueber den langen und zum Teil erbitterten Streit der »lunarians« und der »lunatics« in England (Uhrmänner und Mondmänner) vgl. z.B. [1]; Harrison hat sich selbst gegen Maskelyne gewendet, der von den Längenuhren nicht allzuviel erwartete, dagegen für die Methode der Monddistanzen vieles leistete. In der Tat hatte die Methode der Längenbestimmung aus Monddistanzen, die Cook, trotzdem er mit den bellen damaligen Timekeepers (Chronometern) ausgestattet war, als die vorzüglichste Methode hinstellte und sie eine der größten Erfindungen in der Seefahrt nannte, auch trotz unsrer heutigen Chronometer warme Anhänger in den Kriegs- und Handelsmarinen von England, Deutschland u.s.w. (weniger in Frankreich), vgl. auch [2]; und auf dem Festland sind (um nur ein Beispiel umfassender Anwendung der Methode zu nennen) in Rußland, wo in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts besonders Lexell die Methode empfahl und N. Fuß in einem berühmten Memoire ihre Vorteile auseinandersetzte [3], die Monddistanzen stets in ausgedehnter Weise benutzt worden bei den Aufnahmen in den weniger bevölkerten Teilen des Reichs. Nachdem die Verbesserung der Chronometer immer größere Fortschritte gemacht hat und die Reifen der Schiffe durch Einführung der Dampfkraft und durch die großen Verbesserungen im Schiffbau überhaupt nicht mehr von so langer Dauer wie früher sind, hat die Methode der Monddistanzen so stark an Bedeutung verloren, daß in den großen nautischen Jahrbüchern von Greenwich (Nautical Almanac) und Paris (Connaissance des Temps) die geozentrischen Distanzen des Mondes von bestimmten Gestirnen und der Sonne, die sonst darin einen großen Raum einnahmen, von 1908 an gar nicht mehr gegeben werden. Damit wird dem Seemann und Reifenden die Benutzung der Monddistanzen zu Längenbestimmungen so gut wie unmöglich gemacht. Es erscheint daher auch hier nicht nötig, außer auf die historische Seite der Methode noch näher auf deren rechnerische Behandlung einzugehen. Dieselbe besteht in der Hauptsache darin, aus der gemessenen Monddistanz die von Refraktion, Parallaxe, Halbmesser u.s.w. befreite geometrische Distanz der Mittelpunkte abzuleiten. Eine Reihe analytischer und graphischer Methoden zu diesen Reduktionen ist durch den Scharfsinn der Astronomen gefunden worden, die aber heute alle nur noch ideelles Interesse haben. Es kann hier deshalb füglich auf die nachstehend angeführte Literatur verwiesen werden.


Literatur: [1] Monatl. Korresp. (Zach), Bd. 2, 1800, S. 208. – [2] Weyer, Ueber das nautische Längenproblem, Annalen der Hydrographie 1890 (Bd. 18), S. 471–488. – [3] Acta Acad. Scient. Imp. Petropolit. für 1779, I (erschienen Petersburg 1782), S. 310. – [4] Tables for correcting the apparent Distance of the Moon and a Star from the effects of Refraction and Parallax, Cambridge 1772; danach ist der Atlas von Margetts entworfen; Longitude Tables, London 1790, der graphisch ziemlich große Annäherung liefert; Weyer, Kürzeste Berechnungsart der Monddistanzen, Annalen der Hydrographie 1881; Bessels Abhandlungen, herausg. von Engelmann, Bd. 3, Leipzig 1876, S. 434–452; Chauvenet, Manual of spherical and practical Astronomy, 5. Aufl., Philadelphia 1893, Bd. 1, S. 393–434 (strenge Methode S. 395–402, Chauvenets Näherungsmethode S. 402–420, mit den Zahlentafeln XI-XX); Methode der direkten Rechnung einer wahren Monddistanz aus einer beobachteten, Sitzungsberichte der Akad. der Wissensch., Wien, Math.-Physik. Kl, 1885; Wislicenus, Handbuch der geograph. Ortsbestimmungen, Leipzig 1891, S. 218–223 (Rechnungsmethode von Borda); Runge, Zeitschr. für Vermessungswesen 1893, S. 417–423, betrifft die Anwendung der Photographie zur Beobachtung von Monddistanzen; vgl. a. Nature (London) 1893, Okt. 26, S. 623, und 1894, Mai 31, S. 102–103; Koppe, Photogrammetrie und internationale Wolkenmessung, Braunschweig 1897; Bolte, Fr., Die Methode der Chronometerkontrolle an Bord zum Zweck der Längenbestimmung, aus dem Arch. d. Deutsch. Seewarte, 17. Jahrg., 1894, Nr. 1; Borgen, C., Ueber die Berechnung von Monddistanzen mit Hilfe der Merkatorfunktionen, aus dem Arch. d. Deutsch. Seewarte, 26. Jahrg., 1903, Nr. 1.

Ambronn.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 481.
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