Stückvermessung

[386] Stückvermessung (Parzellarvermessung), bei der Katastervermessung die Aufnahme der Eigentumsstücke und Parzellen sowie der Wege, Eisenbahnen, Wasserläufe, Gräben, Hecken, Zäune, Mauern, Gebäude und aller andern Einzelheiten. Jeder Stückvermessung muß die Feststellung und Vermarkung der Eigentumsgrenzen vorausgehen (s. Katastervermessungen, Bd. 5, S. 406). Die Grundlage der Einzelvermessung ist ein in sich geschlossenes System von Messungslinien, das Liniennetz. Bei umfangreichen Messungen gründet dieses sich wieder auf dem Polygonnetz (s. Polygonisierung, Bd. 7, S. 183). Die Stückvermessung zerfällt demnach in 1. Legung und Aufmessung des Liniennetzes und 2. Aufmessung der Einzelheiten.

1. Fig. 1 ist ein Teil eines Liniennetzrisses. Das Liniennetz ist an eine Polygonisierung angeschlossen. Die Polygonstrecken sind stark gezeichnet. Einige Messungszahlen sind eingeschrieben. Der Zusammenhang und die Aufeinanderfolge von Haupt- und Nebenlinien gehen aus dem Riß hervor. Die Messungspunkte, in denen eine untergeordnete Linie in die übergeordneten eingebunden ist, nennt man Bindepunkte oder Kleinpunkte. Bei der preußischen Katastervermessung werden diese Punkte durch versenkte Drainrohre von 4,5 cm Weite dauernd vermarkt. Weiteres über die Anordnung des Liniennetzes bei der Katastervermessung s. Bd. 5, S. 406. – Für die Kleinpunkte werden im Anschluß an die Polygonisierung rechtwinklige Koordinaten berechnet. Ist z.B. eine Linie zwischen den Punkten A(ya xa) und E(ye xe) gemessen mit den Zwischenpunkten 1, 2, 3 in den Abständen s1 s2, s3, se (Fig. 1), so ist:


Stückvermessung

wobei, wenn [s] = s1 + s2 + s3 + se die Summe der gemessenen Streckenunterschiede von A bis E bedeutet, gleichzeitig die Verteilung des Abschlußfehlers


Stückvermessung

proportional den gemessenen Längen erfolgt, so daß bis zur letzten Linie herab eine rationelle Fehlerverteilung gesichert ist. Die Rechnung wird mit Logarithmen oder mit einer Multiplikationstafel oder Rechenmaschine in geeigneten Rechenformularen (vgl. hierüber [3] und [5]) ausgeführt. Für den Abschlußfehler sind in den amtlichen Anweisungen [2] Fehlergrenzen vorgeschrieben, wobei in der Regel den Messungsfehlern (Bd. 6, S. 37) noch ein bestimmter Zusatz für den Punktortsfehler (z.B. 5 cm) zugegeben wird. – Jede Messungslinie muß ihrer Lage nach durch geeignete Proben, wie Verlängerungen, Schnitt- und Stützlinien, versichert werden, sofern sie nicht durch einmündende untergeordnete Linien oder durch spitze Schnitte mit den Einbindelinien schon gesichert ist. Fig. 1 zeigt in den punktierten Linien einige Versicherungen. Alle diese Proben werden rechnerisch ausgewertet, wobei die erwähnten Fehlergrenzen zu beachten sind. Weiteres über die Ausführung der Rechnung in [3] und [5]. – Bei älteren, nicht auf Polygonisierung gegründeten Vermessungen besteht das Liniennetz aus einem System von Dreiecken, deren Seiten unmittelbar gemessen sind (Lineartriangulierung), Die württembergische Landesvermessung verwendet im Anschluß an die Meßtischaufnahme ein eigenartiges Netz aus parallel zueinander abgesteckten Linien; vgl. [2] und [6]. – Bei der Vermessung[386] kleiner Komplexe, welche ohne Zugrundelegung eines Polygonnetzes erfolgt, tritt an dessen Stelle am besten ein Viereck, dessen Seiten und Diagonalen gemessen sind. Das Diagonalenviereck ist in sich gesichert. Für die Koordinatenberechnung wird eine geeignete Messungslinie als Abszissenachse gewählt. Weiteres s. [5]. Fortschreibungsvermessungen (vgl. Bd. 5, S. 408) sind, wenn möglich, an die Messungslinien der Urvermessung anzuschließen. Wenn diese Linien bei älteren Messungen nicht wiederhergestellt werden können, muß ein in sich zusammenhängendes Liniennetz für die Fortschreibung an solche Punkte angebunden werden, die in der Karte unzweifelhaft gegeben sind. – Weiteres s. [2] und [3]. – Wegen der Liniennetze in Städten s. [7].

2. Für die Aufmessung der Einzelheiten gibt es verschiedene Methoden. Man führt Messungslinien unmittelbar über die aufzunehmenden Punkte, oder man steckt Richtungslinien über die Punkte aus, bindet sie in das Liniennetz ein und mißt in ihnen die Abstände der Punkte von den Messungslinien (Schnitt oder Verlängerung), oder man mißt endlich die rechtwinkligen Abstände der Punkte als Ordinaten von den Messungslinien als Abszissen (Koordinaten- oder Perpendikulärmethode). Die Fußpunkte der Ordinaten in den Messungslinien werden dabei mit Winkelinstrumenten (s.d.) aufgesucht. Die Ordinaten sollen möglichst klein sein, in der Regel nicht über 10 m, äußerstenfalls 30–40 m. Die Anordnung der Aufmessung und der Proben, die für die Messungspunkte erforderlich sind, sowie andre Einzelheiten, wie Rücksichtnahme auf die nachfolgende Flächenberechnung und die späteren Fortführungsmessungen, sind durch die amtlichen Anweisungen [2] und [3] besonders geregelt. Ein Beispiel ohne Messungszahlen zeigt Fig. 2. Erwähnt seien noch die Kopfbreiten, d.h. die Abstände der Steine an den Köpfen der Grundstücke, die Ueberschlagslinien, welche geradlinige Grenzen schneiden und ihre richtige Lage versichern sollen, die Wegesteinbreiten zwischen gegenüberliegenden Wegesteinen, und endlich die Steinlinien, gerade Linien, aufweichen bei der Vermarkung in regelmäßigen Feldlagen die Grenzsteine gesetzt werden. Durch Einbinden der Steinlinien in das Liniennetz können die Grenzpunkte sicher bestimmt, auch kann ihr richtiger Stand schnell und bequem geprüft werden. – Bei der Aufmessung ist neben guter Längenmessung (s.d.) mit Meßlatten oder Meßband scharfes Ausrichten der Linien mit Fluchtstäben erforderlich. Für städtische Messungen, bei denen das Aufstellen von Fluchtstäben am den Straßen schwierig oder unmöglich ist, ist zu verweisen auf das in Berlin angewendete Abschnüren der Linier mit einer Kreideschnur (Schnurschlag) und die Fußpunktbestimmung der Ordinaten mit einem großen Anlegedreieck. Weiteres s. [7]. Die Messungsergebnisse werden aufgeschrieber in einer annähernd maßstäblich geführten Handzeichnung, dem Stückvermessungsriß oder Handriß. Dieser bildet das wichtigste Vermessungsdokument und wird in manchen Staaten durch Druck vervielfältigt; vgl. Katastervermessungen, Bd. 5, S. 407.

Zur bequemen Zeichnung bei der Messung dient ein leichter Feldtisch, ein Rahmen mit Einlage für das Zeichenblatt und einem Stab oder Dreifuß als Stütze oder auch eine Feldmappe. An Stelle des in Tinte zu führenden Handriffes sind im Felde zuweilen auch Bleistiftskizzen auf Aktenpapier zugelassen, aus denen nachträglich die Handriffe zusammengestellt werden. Hierüber sowie über die anzuwendenden Kartenzeichen und die Schreibweise der Zahlen sind in den amtlichen Anweisungen [2]–[4] besondere Vorschriften und Muster gegeben; vgl. a. [5], [8], [9]. Wegen des Zusammenhanges der Stückvermessung mit der darauf gegründeten Kartierung und Flächenberechnung s.d. sowie Bd. 5, S. 407. Wegen der Verwendung des Meßtisches s.d. und des Tachymeters s. Tachymetrie.


Literatur: [1] Die Grundsätze der Stückvermessung sind behandelt in den bei Geodäsie, Bd. 4, S. 379, unter [4]–[10] genannten Lehrbüchern. – [2] Die wichtigsten amtlichen Voischriften sind zitiert bei Kataster, Bd. 5, S. 409. – Für Preußen gilt [3], VIII. Anweisung für das Verfahren bei Erneuerung der Karten und Bücher des Grundsteuerkatasters, 3. Aufl., Berlin 1906; ferner II. Anweisung für das Verfahren bei den Vermessungen zur Fortschreibung der Grundsteuerbücher und Karten, 2. Aufl., Berlin 1897. – [4] Bestimmungen über die Anwendung gleichmäßiger Signaturen für topographische und geometrische Karten, Pläne und Risse, 4. Aufl., Berlin 1895. – [5] Gauß, F.G., Die trigonometrischen und polygonometrischen Rechnungen, 3. Aufl., Halle 1906. – [6] Weitbrecht, Zeitschr. f. Vermessungswesen 1890, S. 69 und 129. – [7] Ottsen, ebend., 1888, S. 193 (vgl. a. S. 241). – Endlich ist zu verweisen auf [8], Rodenbusch, Die Durchführung der Katastervermessungen in Elsaß-Lothringen, Straßburg 1891. – [9] Harksen, Das preuß. Kataster und seine Verbindung mit dem Grundbuch, Dessau 1896.

(† Reinhertz) Hillmer.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 386-387.
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