Stabilität der Schiffe

[595] Stabilität der Schiffe. Die Frage über ein ausreichendes Maß der Stabilität von Seeschiffen ist in letzter Zeit im besonderen für Handelsdampfer lebhafter erörtert worden, da Untersuchungen über Schiffsverluste die Vermutung aufkommen ließen, daß ein Teil derselben auf mangelnde Stabilität zurückzuführen ist- Andererseits fahren einzelne Schiffe, die im praktischen Gebrauch sich als nicht genügend stabil erwiesen haben, ständig Ballast, wodurch ein Teil ihrer Verdienstkraft verloren geht. Man ist daher bestrebt, den Schiffsführern Handhaben zur Beurteilung der Stabilität ihrer Schiffe im beladenen unverletzten Zustande zu geben, doch fehlt zurzeit ein zuverlässiges Maß für die erforderliche Stabilität.

Für geringe Neigungen des Schiffes gibt die metazentrische Höhe M GEntfernung des Systemschwerpunktes des vollausgerüsteten Schiffes vom Metazentrum – einen guten Anhalt, da der aufrichtende Hebelarm der Stabilität gleich M G sin φ ist (φ der Neigungswinkel des Schiffes). Bei größeren Neigungen übt jedoch auch die Form des Schiffes einen großen Einfluß aus, wie dies aus der Betrachtung der beiden Schiffe I und II in der Figur erstellt. Das breite, nachgehende Schiff I weist zwar bei kleinen Neigungen einen größeren Hebelarm der Stabilität auf als das schmale, tiefgehende Schiff II; dieser Hebelarm nimmt jedoch bei Schiff I mit zunehmender Neigung ab, während derselbe bei Schiff II bei größeren Neigungen wächst, so daß die Stabilität von Schiff I trotz seiner großen Anfangsstabilität und seiner großen metazentrischen Höhe M G bei größeren Neigungen viel früher aufhört als die von Schiff II, d.h. Schiff I kentert schon bei kleinerem Neigungswinkel als Schiff II. Für die Beurteilung der Stabilität eines Schiffes spielt daher neben der metazentrischen Höhe M G auch der Umfang der Stabilität, wie sie aus dem Verlauf der Stabilitätsmomentenkurve zu ersehen ist, eine wichtige Rolle. Zu einer zuverlässigen Beurteilung fehlt aber das Kennzeichen eines Maßes; auch ist der Verlauf der Kurve von der Freibordhöhe sowie der wechselnden Lage des Systemschwerpunktes G bei Frachtdampfern mit ständig variierenden Ladungen abhängig. Da der Einfluß der metazentrischen Höhe und des Freibords demnach in der Stabilitätskurve richtig zum Ausdruck kommt, hat Zivilingenieur Benjamin vorgeschlagen, die Flächeninhalte der statischen Stabilitätskurve oder was auf das gleiche hinauskommt, die dynamischen Wegstrecken, d.h. die Summe der beiden Wegstrecken, um die der Systemschwerpunkt bei der seitlichen Neigung des Schiffes gehoben und der Deplacementsschwerpunkt gesenkt wird, bei bestimmten Neigungswinkeln – 30° und 60° – zum Messen der Stabilität zu benutzen. Wenn man hierbei die Eigenarten der einzelnen Schiffstypen berücksichtigt, da bei einigen Schiffen, wie z.B. bei Passagierdampfern für kleine Fahrten, wegen der leicht möglichen Gewichtsverschiebung querschiffs durch Drängen der Passagiere nach einer Bordseite eine verhältnismäßig große Anfangsstabilität, bei anderen, wie bei Fischdampfern, eine hinreichende Stabilität bei großen Neigungswinkeln erforderlich ist, so könnte man auf diesem Wege wohl zu einem brauchbaren Ergebnis kommen. Es kommen aber auch noch andere Umstände hinzu, welche die Einführung besonderer Vorschriften erschweren, das sind die Gefahren, denen ein Seeschiff mit Rücksicht auf eine Verringerung der Stabilität ausgesetzt ist, und zwar äußere durch Seegang und Winddruck, sowie innere durch Art und Stauung der Ladung, ihre freie Oberfläche sowie durch Eindringen von Wasser bei leckem Schiff. Die Gefahren des Seeganges werden besonders ernst, wenn zwischen der Eigenschwingungsperiode des Schiffes und der Wellenperiode Uebereinstimmung herrscht und diese Resonanz das Schiff auf einen großen Ausschlagwinkel bringt; in diesem Fall ist der Umfang der Stabilität von geringerer Wichtigkeit als das gegenseitige Verhältnis von kenternden und aufrichtenden Momenten. Der Winddruck wirkt besonders bei hochbordigen Passagierdampfern ungünstig und können durch Seitensturm große Neigungswinkel hervorgebracht[595] werden. Treten zu diesen äußeren Gefahren dann noch einzelne innere hinzu, Uebergehen oder Naßwerden von Ladung u.s.w., so kann schließlich das Schiff zum Kentern kommen, obwohl es eine angemessene Anfangsstabilität besitzt. Der Festsetzung eines Minimalmaßes der Stabilität für Handelsschiffe stehen daher noch erhebliche Schwierigkeiten entgegen.

Bei den großen transatlantischen Passagier- und Schnelldampfern, die während der Ueberfahrt über den Ozean viele tausend Tonnen an Kohlen, Proviant, Wasser u.s.w. verbrauchen, wird die Bemessung einer hinreichenden Stabilität dadurch erschwert, als durch den Verbrauch der Materialien und Gewichtsmengen der Systemschwerpunkt ständig nach oben wandert und sowohl die metazentrische Höhe M G als auch den Umfang der Stabilität einschränkt. Besonders erleiden die großen Passagierdampfer der La Plata-Linie durch den Verbrauch des für die Hin- und Rückreise bemessenen Kohlenvorrats eine bedeutende Verringerung der Stabilität zwischen Abfahrt und Ankunst, so daß die Dampfer heimkehrend bis zu 4000 t Wasserballast mitführen müssen, um am Ende der Reise befriedigende Stabilitätsverhältnisse aufweisen zu können. Denn ohne Ballastführung müßte die Schiffsbreite erheblich größer gewählt werden, was eine kürzere Eigenschwingungsperiode mit sich bringt und bei Resonanz heftige Rollschwingungen begünstigt. Auch fester Ballast ist von gleicher Wirkung, und bringen beide Maßnahmen Einbuße an Tragfähigkeit und Erhöhung der Baukosten zuungunsten der Wirtschaftlichkeit des Betriebes mit sich. Durch zweckentsprechende Schiffsformenanschwellungen der Außenhaut unter Wasser, die bei austauchendem Schiff ein Anwachsen der Formstabilität bedingen, können die Stabilitätsverhältnisse bei Verbrauch großer Kohlenmengen (4000–6000 t) ziemlich gleichmäßig erhalten werden. Da diese Anschwellungen an den Schiffsseiten nach Modellschleppversuchen keine Vermehrung des Schiffswiderstandes verursachen, so kann man sie so reichlich[596] bemessen, daß eine Abnahme der Stabilität bei leichtem Schiff ausgeschlossen ist; auch könnte man die Anschwellungen teilweise mit dem Außenwasser durch Schlitze in Verbindung setzen, um beim Rollen des Schiffes ein Auf- und Abpendeln des eingetretenen Wassers zu ermöglichen und damit eine Schlingerdämpfung zu erzielen. Schließlich bietet die teilweise Benutzung der Anschwellung als Wasserballasttank zum Ausgleichen einer Schlagseite des Schiffes große Vorteile. Durch die Anordnung richtig sitzender Anschwellungen der Außenhaut des Schiffes kann daher die Stabilität während der Reise erhalten, eine wirksame Schlingerdämpfung erzielt und eine Korrektur der Schiffskrängung mit denkbar geringsten Aufwendungen erreicht werden.


Literatur: [1] F.L. Middendorf, Bemastung und Takelung der Schiffe, Berlin 1903. – [2] Benjamin, Ueber das Maß der Stabilität der Schiffe, Jahrb. d. Schiffbautechn. Ges., Berlin 1914. – [3] Commentz, Bedeutung und Messung der Stabilität von Seeschiffen, ebend. 1914. – [4] H. Wittmaack, Zur Sicherheit der lecken Handelsschiffe, ebend. 1917. – [5] E. Foerster, Formstabile Schiffskörper, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1919, S. 669. – [6] Rudloff, Die Sicherheit havarierter Schiffe gegen das Kentern, Jahrb. d. Schiffbautechn., Gesellschaft, Berlin 1920. – [7] G. Wrobbel, Stabilitätstheorie und ihre praktische Bedeutung, ebend. 1920. – [8] C. Commentz, Bemerkungen zur Kritik von Stabilitätsrechnungsergebnissen, ebend. 1920.

T. Schwarz.

Stabilität der Schiffe
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 595-597.
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Faksimiles:
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