Dritte Familie: Eidechsen (Lacertidae)

[158] Die Eidechsen (Lacertidae), welche wir als Urbilder der Ordnung ansehen, wohlgestaltete Thiere mit vollständig ausgebildeten Gliedern, kennzeichnen sich durch den walzig gestreckten Leib, den vom Halse deutlich abgesetzten Kopf, den sehr langen, dünn auslaufenden Schwanz, die vier fünfzehigen Füße, das äußerlich sichtbare Trommelfell, die freien Augenlider und die knochigharten Augendecken, die vieleckigen Schilder, welche den Kopf, die körnigen Schuppen, welche Rücken und Seiten, die viereckig quergereiheten Schilder, welche den Bauch bekleiden, ferner durch ihre in einer Rinne der Ober- und Unterkinnlade und zwar an deren inneren Seite angewachsenen kegelförmigen, geraden, am freien Ende etwas gebogenen wurzellosen, zweispitzigen Zähne, die platte, vorn verschmälerte, schuppige, tief gespaltene, zweispitzige Zunge sowie endlich durch die deutlich sichtbaren Schenkelporen.

Alle Eidechsen sind in der Alten Welt zu Hause und werden schon in Europa durch viele Arten vertreten. Mit Ausnahme unserer Blindschleiche gehören sämmtliche deutsche Schuppenechsen dieser Familie an; ihnen gesellen sich jedoch in Südeuropa noch viele andere zu, und ebenso ist Afrika [158] und Asien sehr reich an ihnen. Von den achtzig Arten, welche man unterschieden hat, bewohnen mehr als vierzig den gemäßigten Gürtel der Alten Welt, die übrigen Südasien, Mittel- und Südafrika und Australien. Unserem Zwecke darf es genügen, wenn wir vor allen die deutschen Arten ins Auge fassen.

Die heimischen Eidechsen wählen die Abhänge sonniger Hügel, Mauern, Steinhaufen, Gewurzel von Baumstämmen, Hecken, Zäune und Gesträucher, sonnige Raine usw. zum Aufenthalte, graben sich hier eine Höhlung oder benutzen eine vorgefundene und entfernen sich selten weit von diesem Mittelpunkte ihres Gebietes. »Eine Sitte, welche die Eidechsen mit sehr vielen niederen und höheren Thieren gemein haben«, sagt Leydig, welcher neuerdings ein ebenso umfassendes als treffliches Werk über unsere deutschen Echsen geschrieben hat, »ist ihr zähes Festhalten an dem Flecke Erde, wo sie zur Welt kamen. Man wird in Gegenden, welche uns durch viele Streifereien genau bekannt sind, bemerken, daß sich die Eidechsen jahraus, jahrein an gewisse Bezirke halten, ohne sich über andere Oertlichkeiten, die, soviel sich beurtheilen läßt, gleich passend wären, auszubreiten. Das Wandern scheint also auch hier erst dann und als Nothwendigkeit einzutreten, wenn der Platz überfüllt ist.«

Bei warmem Wetter liegen die Eidechsen im Freien, am liebsten im Sonnenscheine auf der Lauer und spähen mit funkelnden Augen auf allerlei Beute, insbesondere auf fliegende Kerbthiere; an kühlen oder regnerischen Tagen halten sie sich in ihren Höhlen verborgen. Sie sind im eigentlichen Sinne des Wortes abhängig von der Sonne, lassen sich nur dann sehen, wenn diese vom Himmel lacht, und verschwinden, sobald sie sich verbirgt. Um sich zu sonnen, suchen sie stets diejenigen Stellen aus, welche ihnen die meiste Wärme versprechen, steigen deshalb selbst an Baumstämmen, Pfählen und dergleichen in die Höhe, verbreitern durch Hebung der Rippen und Spannung der Haut ihren Leib und platten ihn so viel wie möglich ab, als ob sie fürchteten, daß ihnen ein einziger Strahl des belebenden Gestirnes verloren gehen könne. Je stärker die Sonne scheint, umsomehr steigert sich ihre Lebhaftigkeit, umsomehr wächst ihr Muth. In den Morgen- und Abendstunden zeigen sie sich zuweilen träge und auffallend sanft, in den Mittagsstunden nicht nur äußerst behend, sondern oft auch sehr muthig, ja förmlich rauflustig. Gegen den Herbst hin bringen sie viele Zeit im Inneren ihrer Höhle zu, und mit Beginn des Oktober suchen sie bei uns zu Lande ihr Winterlager, in welchem sie bis zum Eintritte des Frühlings, mindestens bis zu den letzten Tagen des März verweilen.

»Welch seltsamen Anblick«, bemerkt Leydig, vorstehendes bestätigend und ergänzend, »gewähren Thiere, die man Frühjahrs, eben erst hervorgekrochen aus ihren Erdlöchern, im Zustande großer Ungelenkigkeit überrascht! Auch büßen sie, im Zimmer gehalten, bei herabgehender Wärme ihre Behendigkeit sofort ein und setzen, bei den jetzt schleppenden Bewegungen, ganz bedächtig einen Fuß vor den anderen, während im Sonnenscheine die Bewegungen eine federnde Leichtigkeit annehmen, wie ohne alle Körperschwere. Bei über sechzehn Grad Réaumur im Zimmer und ohne Sonne fühlen sich die südlichen Arten nicht bloß ganz kalt an, sondern bekommen auch ein eingefallenes mageres Ansehen; in den Strahlen der Sonne heben sich der Herzschlag und die Athmung, und gerade durch den letzteren Umstand, durch Ausdehnung der Lungen und Füllung mit Luft, wandelt sich ihr Aussehen wieder ins vollere um.« Die Stunden, in welchen unsere Eidechsen mit Vorliebe sich sonnen, sind nach Leydig die des Vormittags von neun bis zwölf Uhr; um elf Uhr kommen sie im Käfige selbst an trüben Tagen zum Vorscheine. »Kündigt sich Südwind an, so sind sie schon in frühester Morgenstunde munter; wenn Regen droht, halten sie sich versteckt, während bekanntlich gerade diese Luftbeschaffenheit unsere Schlangen hervorlockt. Wirklich kalte Witterung scheint ihnen sehr nachtheilig werden zu können: so beobachtete schon Pallas, daß im Chersones nach drei hintereinander folgenden kalten Sommern die früher äußerst zahlreiche taurische Eidechse fast verschwunden war.« Die Zeit ihres winterlichen Rückzuges ist nicht allein je nach der Gegend, sondern auch bezüglich der betreffenden Arten, nach Leydigs Vermuthung sogar nach Geschlecht [159] und Alter verschieden: alte Männchen verschwinden im Herbste früher als alte Weibchen und beide eher als die Jungen. Umgekehrt erscheinen im Frühjahre letztere zuerst; ihnen aber folgen dann die Männchen und erst diesen die Weibchen. Im Winterlager, welches sie meist gemeinschaftlich beziehen, liegen sie regungslos, mit geschlossenen Augen, aber geöffnetem Munde, abgestorbenen vergleichbar, lassen sich jedoch, sobald man sie erwärmt, bald ins Leben zurückrufen, beginnen, sich zu regen, zu athmen, öffnen die Augen und werden allmählich munter.

Welch unendlichen Einfluß die Wärme auf sie ausübt, bekunden alle Arten, deren Verbreitungsgebiet in nördlich-südlicher Richtung verhältnismäßig weit sich ausdehnt, ersichtlicher als alle übrigen Kriechthiere, die ihnen so verwandten Schlangen kaum ausgeschlossen. Eine und dieselbe Art zeigt sich im Süden ihres Wohnkreises oft wesentlich anders als im Norden. Die gesteigerte Wärme erhöht ihre Lebensthätigkeit und damit zugleich ihre Farbenschönheit; der länger währende Sommer, beziehentlich die einige Monate mehr andauernde Hitze, beschränkt ihren Winterschlaf, falls solcher überhaupt eintritt, auf wenige Wochen; Ernährung und Stoffwechsel können demgemäß regelmäßiger und ausgiebiger stattfinden, brauchen vielleicht gar nicht unterbrochen zu werden, und die leicht verständliche Folge davon ist die stets merklich, oft erheblich gesteigerte Größe, welche wir an den im Süden wohnenden Eidechsen im Vergleiche zu den im Norden hausenden Artgenossen wahrnehmen.

Hinsichtlich der Färbung ist übrigens noch zu bemerken, daß alle Eidechsen im Stande sind, bis zu einem gewissen Grade ihre Färbung zu verändern, beziehentlich, daß diese bei lebhafter Erregung sich erhöht, bei Erschlaffung mehr oder weniger verblaßt oder sonstwie sich abschwächt. Ueber den Hergang solcher Wandlung haben wir noch keinen Aufschluß gewinnen können.

Fast alle Eidechsen tragen wesentlich zum Schmucke des von ihnen belebten Geländes bei. In unserem Vaterlande wird dies allerdings wenig, schon im Süden Europas aber sehr ersichtlich. Hier huscht und raschelt es überall; jedes Gemäuer, jede Straße, beinahe jeder Weg belebt sich durch sie, und wahrhaft schimmernde Pracht entzückt das Auge, wenn die schöngefärbten, glänzenden Arten in voller Lebensthätigkeit anscheinend spielend sich tummeln. Wie eine Edelsteinschnur windet sich, laut Ehrhard, der schlangenartige, in Kupfer-, Bronze- und Goldfarbe schillernde Leib der Goldeidechse durch das Gezweige und Gelaube der Feigen- und Johannisbrodbäume der sonst so öden, einförmigen Kykladen; Edelsteinschimmer blitzt auch von dem zierlichen Schuppenleibe anderer Arten dem entgegen, welcher sonstwo im Süden verweilt, und in Wohlwollen und Behagen wandelt sich bald das anfänglich durch das Rascheln in ängstlichen Gemüthern wachgerufene Bangen um. Jedermann muß sie lieb gewinnen, und ob er auch tiefere Kunde von ihrem anmuthenden Thun und Treiben noch nicht erlangt habe.

Alle echten Eidechsen sind bewegliche, muntere, lebendige, feinsinnige und verhältnismäßig kluge Thiere. Wenn sie sich nicht sonnen, streifen sie gern innerhalb ihres Wohnkreises umher, machen sich überhaupt immer etwas zu schaffen. Hierbei bethätigen und entfalten sie ihre Bewegungsfähigkeit nach allen Richtungen hin. Sämmtliche Arten ähneln sich darin, daß sie äußerst rasch laufen, geschickt klettern und im Nothfalle auch ohne ersichtliche Beschwerde schwimmen; der Grad der Beweglichkeit ist jedoch je nach der Art ungemein verschieden. Jede Bewegung wird durch Schlängeln des Leibes ausgeführt und ebenso wesentlich durch den Schwanz wie durch die Beine gefördert. Ihres Schwanzes beraubte Eidechsen verlieren das Gleichgewicht und damit die Lebhaftigkeit und Regelmäßigkeit jeder Bewegung; ja, fast will es scheinen, als ob der Verlust des Schwanzes sie mehr behinderte, als das Fehlen eines Beines. So gelenkig wie ihre Glieder, so vortrefflich entwickelt sind ihre Sinne, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Geruchssinnes. Ihr Gesicht ist scharf, den lebhaften Augen entsprechend, das Gehör so gut, daß schon das geringste Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregt; feine Empfindung beweisen sie durch ihre Vorliebe für die Wärme, Schärfe ihres Tastsinnes durch das beständige Züngeln. Aber ihre Zunge scheint auch wirklich Geschmackswerkzeug zu sein, da man beobachten kann, daß sie süße Fruchtsäfte oder [160] Honig gar wohl von anderer Nahrung unterscheiden. Im Einklange mit der Ausbildung ihrer Sinne steht ihr höheres Nervenleben. Sie sind ebenso lebhafte als unruhige, ebenso erregbare als bewegliche Geschöpfe, bekunden Neugier und Spannung, unterhalten und langweilen sich, gähnen wenigstens recht deutlich, zeigen sich ängstlich und furchtsam, dreist und muthig, je nach den Umständen, gerathen leicht in Zorn, lassen sich aber auch bald wieder besänftigen; sie achten auf alles, daher auch auf Musik, welcher sie mit Behagen zu lauschen scheinen. An Verstand stehen sie gewiß nicht hinter irgend einem anderen Mitgliede ihrer Klasse zurück, übertreffen im Gegentheile auch in dieser Hinsicht die meisten ihrer Verwandten. Sie benehmen sich so klug, als sich ein Kriechthier überhaupt benehmen kann, unterscheiden richtig, sammeln Erfahrungen und verändern infolge davon ihr Betragen, gewöhnen sich an veränderte Verhältnisse und gewinnen Zuneigung zu Geschöpfen, welche sie früher ängstlich flohen, beispielsweise zum Menschen. Leydig meint, daß man die geistigen Fähigkeiten der Eidechsen im wesentlichen auf vererbte Erfahrungen, übermitteltes Wissen oder Können der Vorfahren zurückführen müsse. Zustände, welche die eine Eidechse erlebt, oftmals wiederkehrende Vorkommnisse, Erfahrungen, welche das Geschlecht nach und nach gesammelt, »bewirkten leibliche Veränderungen und erscheinen in der Nachkommenschaft als vererbte Vorsicht, Neigung, Fertigkeiten, kurz als Naturanlage«. Ich will dem trefflichen Forscher nicht widersprechen, kann ihm aber auch nicht ganz beistimmen. Allerdings benehmen sich Eidechsen einer und derselben Art im wesentlichen gleichartig; alle Jungen aber betragen sich anders als die Alten und beweisen hierdurch, daß jede für sich Erfahrungen sammelt. Lehre und Beispiel alter, gewitzigter Artgenossen dürften bei Verwerthung des gewonnenen Wissens oder Verständnisses mindestens ebensoviel, wenn nicht weit mehr, zur Geltung gelangen als die sicherlich nicht gänzlich in Abrede zu stellende Vererbung oder Naturanlage.

Die Eidechsen sind tüchtige Räuber. Sie stellen Kerbthieren, Regenwürmern, Landschnecken eifrig nach, fallen ebenso kleine Wirbelthiere an, plündern Nester aus, verschlingen namentlich auch Eier von Kriechthieren. Fliegen verschmähen, wie Glückselig beobachtete, einzelne gänzlich, scheinen sich sogar vor den großen Summfliegen zu fürchten, wogegen andere solche Bedenken nicht zu erkennen geben, vielmehr große und kleine Fliegen ebenso gierig wie andere Kerfe hinunterschlucken; Spinnen verfolgen sie eifrig, um sie zu verzehren; nackte Gartenschnecken nehmen sie begehrlich, Regenwürmer minder gern an; Grillen, Heuschrecken, Nachtschmetterlinge, Käfer und deren Larven scheinen ihre Lieblingsnahrung zu bilden. Aber sie unterscheiden genau zwischen verschiedenen Arten, und ob dieselben auch so sich ähneln mögen, daß ein unkundiger Mensch sie verwechseln kann, und treffen, wenn sie es können, unter der ihnen sich bietenden Beute stets eine Auswahl, welche ihren Geschmack ebenso ehrt wie ihren Verstand, geben z.B. weichschaligen Kerfen unter allen Umständen den Vorzug vor denen mit harter Schale und verschmähen einzelne Käfer wenigstens im Käfige gänzlich. Durch Leckerbissen, beispielsweise Mehlwürmer, kann man sie so verwöhnen, daß sie andere Nahrung längere Zeit nicht mehr anrühren. Gewisse Kerfe nehmen sie einige Male nach einander, scheinbar ohne Widerstreben, lassen sie später jedoch hartnäckig liegen. Alles, was sie erbeuten, muß lebend sein; denn todte Kerfe berühren sie nicht, falls man sie nicht täuscht, d.h. vor gezähmten derartige Speise bewegt. Sie ergreifen ihren Raub plötzlich, oft mit weitem Sprunge, quetschen ihn mit den Zähnen und schlucken ihn dann langsam hinab. Größere Kerfe schütteln sie so lange im Munde, bis dieselben betäubt sind, lassen auch wohl wieder los, betrachten und fassen die Beute von neuem. Das Verschlingen eines größeren Kerbthieres scheint den kleineren Arten viele Mühe zu verursachen; sie wenden den Bissen so lange im Munde hin und her, bis der Kopf voran liegt und würgen ihn hierauf langsam hinunter. Ist dies geglückt, so bezüngeln sie mit sichtbarem Wohlbehagen das Maul. Als echte Kriechthiere zeigen sie sich insofern, als sie ihre eigenen Jungen rücksichtslos verfolgen und wenn es ihnen gelingt, dieselben zu erhaschen, ohne weiteres umbringen und auffressen. An warmen Sonnentagen trinken sie viel, und zwar durch langsames, aber oft wiederholtes Eintauchen ihrer Zunge in die Flüssigkeit. Honig lecken sie begierig [161] und mit sichtbarem Vergnügen auf, süße Fruchtsäfte sagen ihnen ebenfalls sehr zu; wahrscheinlich also verschmähen sie auch während ihres Freilebens Früchte nicht gänzlich.

Bald nach ihrem Wiedererwachen im Frühjahre regt sich Paarungslust, und nunmehr vereinigen sich beide Geschlechter. Der Geschlechtstrieb scheint bei ihnen sehr heftig zu sein; denn die paarungslustigen Männchen zeigen sich ungemein streitsüchtig: das stärkere verfolgt schwächere wüthend, richtet sich hoch auf den steifgehaltenen Beinen auf, und rückt mit gesenktem Kopfe auf den Gegner los, welcher seinen Angreifer eine Zeitlang betrachtet und dann, nachdem er sich von dessen Stärke überzeugt, sein Heil in der Flucht sucht. Der Angreifer verfolgt ihn in größter Eile und wird zuweilen so zornig, daß er sogar nach dem ihm in den Weg kommenden Weibchen beißt; erreicht er den Flüchtling, so versucht er, ihn am Schwanze zu packen: daher mögen die Verstümmelungen rühren, welche man so oft bei den Eidechsen beobachten kann. Hat ein Männchen die Nebenbuhler aus dem Felde geschlagen, so nähert es sich, nach Glückseligs Beobachtungen, dem Weibchen in hoch aufgerichteter Stellung mit an der Wurzel bogenförmig gekrümmtem Schwanze, umgeht dasselbe und wird zu weiterem Vorgehen ermuthigt, wenn das Weibchen sich schlängelnd und zappelnd bewegt und damit seine Willfährigkeit bekundet. Es ergreift hierauf mit dem Kiefer das Weibchen oberhalb der Hinterfüße und preßt so den Leib desselben ziemlich stark zusammen, hebt und dreht ihn halb gegen sich um, stülpt durch Druck und Verdrehung des Körpers die Kloake heraus, setzt einen Fuß über den Rücken weg und drückt seine Geschlechtstheile fest gegen die des Weibchens. Beide bleiben etwa drei Minuten unbeweglich verbunden, das Männchen öffnet dann die Kiefer und läßt das Weibchen frei, welches letztere sich schnell entfernt. Die Begattung wird mehrmals im Laufe des Tages vollzogen; an ein Eheleben aber ist nicht zu denken, da sich ein Männchen mit mehreren Weibchen und ein Weibchen mit mehreren Männchen verbindet. Etwa vier Wochen nach der ersten Begattung legt das Weibchen, nach Tschudi's Behauptung gewöhnlich des Nachts, seine sechs bis acht Eier, bohnengroße, länglichrunde Gebilde von schmutzigweißer Färbung, welche je nach des Ortes Gelegenheit untergebracht werden, da man sie nicht bloß an sonnenreichen Orten im Sande oder zwischen Steinen, sondern auch im Moose, mitten in den Haufen der großen schwarzen Ameisen, welche sie nicht berühren, und an ähnlichen Orten findet. Bedingung zu ihrem Gedeihen ist feuchte Umgebung; an der Luft trocknen sie sehr bald ein. Man beobachtete, daß sie die Fähigkeit haben, des Nachts, wenigstens zeitweilig, schwach zu leuchten. Die Jungen schlüpfen im August oder September aus, sind von Geburt an ebenso bewegungsfähig wie die Alten, häuten sich noch im ersten Herbste und suchen sich hierauf einen Schlupfwinkel, um Winterschlaf zu halten.

Die älteren Thiere häuten sich im Laufe des Sommers mehrmals zu unbestimmter Zeit, um so öfter, je stärker und größer sie sind. Vorher löst sich die alte Haut theilweise ab und wird durch Reiben an Steinen, Wurzeln, Grashalmen und dergleichen vollends entfernt. Bei schwächeren Thieren nimmt die Häutung oft acht Tage in Anspruch; bei gesunden und starken ist sie gewöhnlich schon in zwei Tagen beendet.

Unsere harmlosen Eidechsen haben nicht allein von der Kälte, sondern auch von einer namhaften Anzahl gewandter Feinde zu leiden. Alle die oben genannten Raubthiere bedrohen sie fortwährend: daher denn auch ihre Vorsicht und Scheu. Sinnbethörende Furcht scheinen ihnen die sie gefährdenden Schlangen einzuflößen: beim Anblicke derselben fliehen sie so eilig als möglich, und wenn sie es nicht können, bleiben sie unbeweglich mit geschlossenen Augen auf einer und derselben Stelle sitzen, scheinbar starr vor Entsetzen. Uebrigens haben sie auch alle Ursache, vor ihren Klassenverwandten sich zu fürchten, da einzelne Schlangenarten fast ausschließlich Eidechsen erjagen und diese dem Giftzahne der Viper und Verwandten fast ebenso schnell als ein warmblütiges Thier erliegen. Sie unterscheiden die verschiedenen Schlangen sehr genau. Leydigs gefangene Eidechsen geberdeten sich angesichts einer Jachschlange wie angegeben, ließen sich jedoch durch eine Würfelnatter nicht im geringsten behelligen.

[162] Die Lebenszähigkeit der Echsen ist bei weitem nicht so groß als die anderer Kriechthiere. Der abgehauene Kopf stirbt in wenigen Augenblicken ab, und die lebhafte Bewegung des Leibes nach der Enthauptung sowie die einzelner abgeschnittener Glieder scheint sich nicht auf die Selbständigkeit des Nervensystemes und dessen Unabhängigkeit vom Gehirne, vielmehr auf eine eigenthümliche Beschaffenheit der Nerven selbst zu gründen. Die schwächsten thierischen Gifte tödten bald und sicher die stärksten Eidechsen; schon die milchige Flüssigkeit der Schleimdrüsen einer Kröte genügt, sie umzubringen. Mineralischen und pflanzlichen Giften trotzen sie länger: eine Katze stirbt an einer zwanzigfach geringeren Gabe von Blausäure und in viel kürzerer Zeit als sie. Unter den pflanzlichen Giften scheint Nikotin am schnellsten verderblich zu werden: eine ihnen in das Maul gestopfte Prise Schnupftabak oder einige Tropfen Tabakssaft tödten sie sehr schnell.

Gefangene Eidechsen gewähren Vergnügen und haben deshalb viele Liebhaber und Liebhaberinnen. Wenn man es recht anfängt, kann man sich leicht jede erwünschte Anzahl verschaffen, im entgegengesetzten Falle tagelang abmühen, ehe man eine einzige erlangt; denn der Fang dieser behenden Thiere ist keineswegs leicht. Am besten gelingt es, unsere hinfälligen Arten unversehrt zu erbeuten, wenn man sich mit einem feinen, langstieligen Hamen ausrüstet. Vor diesem Fangwerkzeuge fliehen sie nicht so leicht, als wenn man die Hand ihnen nähert, werden auch seltener verletzt, falls man sie von dem Hamen aus in einen leichten Sack aus dünnem Leder laufen läßt und in diesem nach Hause trägt. Der Käfig, welchen man ihnen anweist, muß theilweise mit Moos ausgelegt sein und Versteckplätze enthalten, vor allen Dingen aber der Sonne ausgesetzt werden können, weil deren Wärme ihnen ebenso nöthig zu sein scheint als reichliche Nahrung. So lange sie lebhaft und munter bleiben, befinden sie sich wohl; wenn sie aber anfangen, halbe Tage lang unbeweglich mit geschlossenen Augenlidern auf einer und derselben Stelle zu liegen, fehlt ihnen gewiß etwas, entweder genügende Nahrung oder Wärme, und wenn man ihnen dann nicht bald entsprechende Behandlung angedeihen läßt, gehen sie meist schnell zu Grunde. Wer sich viel mit ihnen abgibt, gewinnt schon nach wenigen Tagen, wenn auch nicht ihre Zuneigung, so doch ihr Vertrauen. Anfangs flüchten sie beim Erscheinen des Pflegers ängstlich nach dem verborgensten Winkel; später schauen sie von hier aus neugierig mit dem Köpfchen hervor; endlich lassen sie sich nicht mehr vertreiben, dulden, daß man sie anrührt und streichelt, und nehmen die ihnen vorgehaltene Nahrung geschickt und zierlich aus den Fingern weg. Wahrhaft ergötzlich ist es, wenn man mehreren von ihnen nur einen einzigen, längeren Wurm reicht: sie suchen sich dann gegenseitig um die Beute zu bestehlen, packen diese von mehreren Seiten zugleich und zerren sie hin und her, bis sie reißt, oder die eine der anderen sie aus dem Munde zieht. Glückselig behauptet, daß sie sich sogar auf Neckereien einlassen. »Mein großes Männchen«, sagt er, »ist ungeachtet seiner Zahmheit sehr leicht zu erzürnen, wenn man mit den Fingerspitzen auf seinen Scheitel klopft; es flüchtet nicht, sondern stellt sich muthig zur Wehre, haut auf eine possirliche Art mit dem Hinterfuße auf die Hand und sucht zu beißen, geht auch wohl nach solcher Aufregung längere Zeit in seinem Käfige umher und greift seine Mitgefangenen an.« Letzteren gegenüber zeigen sich die harmlos genannten Eidechsen keineswegs immer freundlich, sondern oft sehr bissig, zänkisch, kampflustig und räuberisch.

Gegenwärtig begnügen wir uns mit Anerkennung des Nutzens, welchen uns die Eidechsen durch Wegfangen von allerlei schädlichem Kleingethiere gewähren; in früheren Zeiten wußte man noch anderweitige Vortheile aus ihnen zu ziehen. »Der grünen Egochs gall«, sagt der alte Geßner, »so der stam des boums damit beschmiert wirdt, söllend die öpffel an dem boum nit faulen noch wurmässig werden. Bey den Africaneren kompt sölch fleisch der thieren auch in die speyß: sol insonderheit gut sein denen so das hufft wee habend. Dieser thieren fleisch zerschnitten, rouw, oder gesotten, in der speiß dem Habich oder Falcken gegäben, oder damit gewäschen, verenderet jm in kurtzem seine fäderen. Dise thier one den kopff vnd süß in wehn gesotten, dauon getruncken alle morgen ein bächer voll, sol den absterbenden leyb wider bringen, oder die lungensüchtigen, [163] den Etticken heilen. Diser thieren fleisch, blut, äschen oder sy in ein glesins geschirr, sampt etlichen eysinen oder silbernen oder guldinen ringen beschlossen auff 9. tag, demnach sy lassen louffen, dise ring getragen, söllend ein sonderbare artzney sein trieffenden, roten und prästhaften ougen. Diser grünen Heidachsen, oder unserer gemeinen, auch der grünen 7. sol man in einem pfundt gemeins öls werffen, also zubedeckt lassen erstercken, drey gantzer Tag wol sonnen, damit daß rot vnd fliessend angesicht beschmiert, macht es lauter vnd rein. Etlich siedend dise thier in dem öl, verhinderet auch das außgeraufft haar, daß es nicht weyter wachßt: söllichs thut auch die gall von den thieren, mit wehssem weyn an der Sonnen zu einem dicken brey gebracht.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 158-164.
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