Betriebsmittelgemeinschaft

[325] Betriebsmittelgemeinschaft. In der Regel besitzt jede Verwaltung die für ihren Bedarf nötigen Betriebsmittel. Um sie besser auszunutzen, werden über die gegenseitige Benützung und den Übergang der Fahrzeuge in andere Verwaltungsgebiete Vereinbarungen getroffen über gemeinsame Benutzung der Fahrzeuge zweier oder mehrerer Verwaltungen ihre Fahrzeuge gemeinsam ohne Unterschied der Zugehörigkeit. So pflegen die kleinen Privatbahnen, die an das Netz der preußisch-hessischen Staatsbahnen angeschlossen sind, ihre Güterwagen in den Wagenpark dieser Verwaltung einzustellen. Die Versorgung der Privatbahn mit Güterwagen wird dann von der Staatsbahn, die die Privatbahnwagen wie ihre eigenen benutzt, übernommen. Auch kommt es vielfach vor, daß eine Eisenbahngesellschaft lediglich als betriebführende Verwaltung einer anderen Gesellschaft auftritt und dann deren Fahrzeuge wie die eigenen benutzt.

Die großen Vorteile, die Verwaltung und Betrieb eines großen Eisenbahnnetzes gegenüber einem aus mehreren kleineren Verwaltungen zusammengesetzten Bahnnetz bieten, und die Erfolge, die aus dem Eingehen einer Betriebsgemeinschaft (s.d.) zwischen dem preußischen und hessischen Staate, besonders für den letzteren als den Besitzer eines kleinen Eisenbahnnetzes, sich ergeben hatten, gaben im Jahre 1904 zu der von Württemberg ausgehenden Anregung Anlaß, sämtliche im Besitz der deutschen Bundesstaaten befindlichen Eisenbahnen zu einer B. zu vereinigen, solange nicht ein noch engerer Zusammenschluß erreichbar sein sollte. Zweck dieser B. sollte sein, die Herbeiführung möglichster Freizügigkeit im Lauf und Verwendung der Güterwagen für das gesamte Gemeinschaftsgebiet zur Einschränkung der Leerläufe und zur Ersparung der kostspieligen und zeitraubenden technischen Untersuchungen der Wagen auf den Übergangsstationen an den Verwaltungsgrenzen. Um auch die Leerläufe einzuschränken, die durch das Nachsehen der Wagen in den Werkstätten und durch die Ausbesserungsarbeiten entstehen, sollte das Nachsehen und Ausbessern der Wagen ebenfalls eine gemeinschaftliche Angelegenheit sein. Da aber die Kosten für die Unterhaltung der Güterwagen von den Kosten für die Unterhaltung der Personen- und Gepäckwagen sowie der Lokomotiven in den Werkstätten ohne unverhältnismäßige Mehraufwendungen nicht getrennt festgestellt werden können, so sollten die gesamten Betriebsmittel, also nicht nur die Güterwagen, sondern auch die Personen- und Gepäckwagen sowie die Lokomotiven und endlich auch der gesamte Werkstättenbetrieb in die Gemeinschaft einbezogen werden. Dieser sollte sodann auch die Beschaffung der Betriebsmittel und der Werkstätteneinrichtungen sowie der Betriebsmaterialien obliegen. Dagegen sollte das Eigentum an den Betriebsmitteln und auch an den Werkstättenanlagen den Einzelverwaltungen verbleiben. – Die Leitung der aus der B. entspringenden Arbeiten sollte einem Gemeinschaftsamte übertragen werden, in dem die Verwaltungen nach Maßgabe ihrer Beteiligung vertreten sein sollten.[325] Dem Gemeinschaftsamte sollte das Verfügungsrecht über den gesamten Bestand an Fahrzeugen zustehen. Ihm sollte auch die Beschaffung der Betriebsmittel übertragen werden. Für die Feststellung der Forderungen der einzelnen Verwaltungen an die B. und die Beteiligung an den gemeinschaftlichen Ausgaben, die auf jährlich 350 Mill. M. geschätzt wurden, sollten die Lokomotiv- und Wagenleistungen unter verschiedener Bewertung der Lokomotiv/km sowie der Personenwagenachs/km und der Güterwagenachs/km die Grundlage bilden. – In der Ermittlung der Leistungen der Einzelverwaltungen und der einwandfreien Verrechnung, endlich auch in der den Verhältnissen der einzelnen Verwaltungsbezirke gebührend Rechnung tragenden Handhabung der Geschäftsführung der B. lagen die Hauptschwierigkeiten ihrer Verwirklichung. Als eine befriedigende Lösung dieser Fragen nicht gefunden wurde, ging man auf die schon im Jahre 1901 angeregte Bildung einer Güterwagengemeinschaft zurück und erreichte durch Erweiterung des preußischen Staatsbahnwagenverbandes zu einem deutschen Staatsbahnwagenverband (s.d.) auf einfachere Weise den Hauptvorteil der B., die freizügige Benützung der deutschen Güterwagen. – Für die Lokomotiven und für die Personenwagen liegt ein Bedürfnis zur Herbeiführung einer solchen Freizügigkeit in weit geringerem Grade vor. Die Benutzung der Lokomotiven findet ihre natürliche Grenze auf den Stationen, auf denen sie mit Wasser und Kohlen versorgt werden. Ist gleichwohl ein Durchgang auf fremde Strecken vorteilhaft, so kann er im Einzelfalle ohneweiters vereinbart und demnächst auf dem Wege des Naturalausgleiches abgerechnet werden. Die Personenwagen sind ebenso wie die Lokomotiven an bestimmte Umlaufpläne gebunden, die Leerläufe von vornherein vermeiden und für deren zweckmäßige Ausbildung die Verwaltungsgrenzen kein Hindernis bilden, da die Leistungen auch hier in einfacher Weise abgerechnet oder durch Gegenleistungen ausgeglichen werden können. Unter diesen Umständen ist der Gedanke der Verwirklichung einer B. der deutschen Staatsbahnen unbeschadet sonstiger Fortschritte auf dem Gebiete der weiteren Vereinheitlichung des Betriebes nicht weiter verfolgt worden.

Auch in Österreich und Ungarn hat man sich in neuester Zeit mit dem Gedanken der Errichtung einer B. für Güterwagen befaßt, ohne daß indessen dieser Gedanke bisher festere Form angenommen hätte.

In England besteht eine B. für den Personenverkehr auf der sogenannten Westküstenlinie von London nach Schottland (West-Coast-Point-Stock), zwischen der London and Northwestern-Gesellschaft und der Carledonian-Gesellschaft. Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika sind zwischen einzelnen Bahnen, die in engeren finanziellen Beziehungen stehen, B. in verschiedenen Formen eingerichtet worden.

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 325-326.
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