Ulm, Adolph

[960] Ulm, A. Adolph Ulm wurde im Jahre 1824 zu Weilburg in Nassau geboren. Nach genossener Gymnasialbildung widmete er sich dem Studium der Philologie, mußte dasselbe aber eines körperlichen Leidens wegen aufgeben und trat 1847 in die Buchhandlung von J. D. Sauerländer in Frankfurt a. M. Die zwei Jahre, die er in dieser Stellung zubrachte, gehörten zu den anregendsten seines Lebens. Bei seiner ideal veranlagten Natur mußten die politischen Vorgänge, die sich damals in Frankfurt abspielten, den lebhaftesten Eindruck auf ihn machen – einen Eindruck, dem er selbst dauernden Einfluß auf seine späteren politischen und sozialen Anschauungen zuschrieb. Sein einsichtsvoller Chef erkannte jedoch bald, daß für den wissenschaftlich gebildeten jungen Mann in seinem[960] eigenen, vornehmlich die Romanliteratur pflegenden Verlagsgeschäft nicht der rechte Wirkungskreis zu finden sei, und veranlaßte ihn, im Jahre 1849 nach Leipzig zu gehen, wohin er ihm warme Empfehlungen an seinen Kommissionär K. F. Koehler mitgab.

Dieser hatte damals gerade in Verbindung mit Armbruster den Grund zu einem Antiquariat gelegt, welches bald ganz für eigene Rechnung zu übernehmen er sich genötigt sah; da er sich jedoch persönlich demselben nicht widmen konnte, so glaubte er mit richtigem Blick in Ulm den geeigneten Mann hierfür gefunden zu haben. Nicht ohne schwere Bedenken ging dieser auf den Plan seines Chefs ein, denn er sagte sich, daß ihm so gut wie alle Vorkenntnisse hierzu abgingen. Wohl war er mit den klassischen und humanistischen Studien vertraut und befaß in seiner allgemeinen Bildung die Grundlage für eine richtige Erkenntnis und Beurteilung der Literaturerzeugnisse auch anderer Gebiete; dagegen sah er sich in allen praktischen Fragen ganz und gar auf sich selbst angewiesen, ohne die Möglichkeit zu haben, sich irgendwo Rats zu holen, wie die Sache anzulassen sei. Jedoch er wagte es, und der Erfolg, den er errang, bewahrheitete aufs neue die alte Erfahrung, daß ernster Wille und unermüdliche Arbeitsamkeit auch der schwierigsten Verhältnisse Meister zu werden im Stande sind.

Seine scharfe Beobachtungsgabe fand bald, in welcher Richtung eine gedeihliche Entwickelung des jungen Geschäfts zu finden sein würde; er bemerkte, daß der wissenschaftlichen Literatur in den bestehenden Antiquariatsgeschäften nicht die Beachtung zuteil wurde, wie sie im Interesse der Gelehrtenwelt lag. Hierher verlegte er also den Schwerpunkt seiner geschäftlichen Tätigkeit, und daß er das Richtige getroffen, zeigte der Erfolg schon nach wenigen Jahren. Viele Nachfolger hatte er in dieser von ihm zuerst eingeschlagenen Richtung gefunden, und das deutsche »wissenschaftliche Antiquariat« steht jetzt auf einer Höhe der Leistungsfähigkeit, wie sie der Buchhandel keiner anderen Nation aufzuweisen vermag. Ulm gebührt das Verdienst, dies zuerst erkannt und praktisch verwertet zu haben.

Die fernere Lebensgeschichte Ulm's fällt zusammen mit der Geschichte der Firma K. F. Koehler's Antiquarium in Leipzig; sie ist niederlegt in den ersten 400 Katalogen dieser Firma, von denen kein Bogen, ohne Ulm's Korrektur passiert zu haben, zum Druck kam; sie ist ferner niedergelegt in einer Reihe schriftlicher Aufzeichnungen, die im Laufe der Jahre entstanden, und die für spätere Zeiten von hohem Interesse sein dürften, denn es war dem Verstorbenen ein Bedürfnis, alles schriftlich zu fixieren, was ihn – freudig oder schmerzlich – im Geiste bewegte. Diese[961] Aufzeichnungen und Erinnerungen zu einer kritischen Geschichte der Entwickelung des deutschen Antiquariatsgeschäftes zu verwerten und zu veröffentlichen – dazu war er leider nicht zu bewegen. Bis zum Tode seines Chefs im Jahre 1872 leitete er – seit 1859 als Prokurist – das Geschäft, und ein auf gegenseitiger Hochachtung beruhendes Freundschaftsverhältnis, wie es selten in solcher Ungetrübtheit vorkommt, verband beide Männer. Diesem schönen Verhältnis gegenüber ließ Ulm sein persönliches Interesse in den Hintergrund treten; die ihm von einem reichen Bücherliebhaber entgegengetragene Gelegenheit, sich in dem selbst errungenen Berufskreise selbständig zu machen, lehnte er – pietätvoll gegen seinen verehrten Chef – ab. Seit 1873 war er Teilhaber der Firma. Ulm starb am 22. April 1884.

Quellen: Centralblatt für Bibliothekswesen 1884.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 960-962.
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