Bindung

[178] Bindung. (Musik)

Die Fortdauer eines auf der schlechten Zeit des Takts angeschlagenen Tones, bis in die gute Zeit. Der Name kommt ohne Zweifel daher, daß man [178] wegen der gewöhnlichen Eintheilungen der Takte den, auf dem Aufschlag des vorhergehenden Takts angeschlagenen, und bis in Niederschlag des folgenden Takts fortdauernden Ton, mit zwey Noten geschrieben, die man durch einen darüber gesetzten Bogen wieder in eine verbunden:

Bindung

obgleich diese Verbindung wegfällt, wenn die Bindung mitten in einem Takt vorkommt, wie hier:

Bindung

Die Bindung verursachet nothwendig eine kleine Zerrüttung in dem Gange des Taktes, weil der Niederschlag, oder die gute Zeitbey der Bindung, ihren gehörigen Accent oder Nachdruk nicht bekommen kann. Also werden in der Stimme, wo Bindungen sind, die Zeiten des Takts einigermaassen verkehrt, da sie in den andern ordentlich bleiben.

Bindung

Hier wird im Basse, bey jedem Niederschlag, der Ton mit Nachdruk angegeben; in der obern Stimme aber bekommt der Aufschlag einigen Nachdruk durch das Anschlagen eines neuen Tones, da der Niederschlag, wegen blosser Fortsetzung des Tones, ohne Nachdruk bleibt.

Daraus läßt sich begreifen, daß die Bindungen dem Gesang etwas charakteristisches geben können. Insbesondre scheinet es, daß an den Stellen, wo in der Empfindung mehr Verlegenheit, als Freymüthigkeit ist, eine Folge solcher Bindungen sehr zu statten kommen könne. In Duetten, wo die Empfindungen beyder Personen, etwas gegen einander laufendes haben, könnten sie mit ungemeinem Vortheil gebraucht werden.

Am meisten aber werden die Bindungen der Harmonie wegen gebraucht, da sie das beste Mittel sind, die Dissonanzen1 einzuführen. Die gebundene Note macht die Dissonanz aus, die dadurch vorbereitet ist, daß sie aus der vorhergehenden Zeit liegt, und dadurch, daß sie in den nächsten Grad unter sich tritt, aufgelößt wird.

Geschieht die Bindung in der obern Stimme, wie in dem vorher angeführten Beyspiele, so wird durch die Auflösung das Intervall kleiner, die Quarte wird zur Terz u.s.w. Wird aber die Bindung in der tiefern Stimme gemacht, wie in folgendem Beyspiel, so werden die Intervalle durch die Auflösung grösser, die Secunden zu Terzen, die Quarten zu Quinten.

Bindung

Es ist bey der Bindung der Dissonanzen eine wesentliche Regel, wiewol die Tonlehrer ihrer selten erwähnen, daß die Dauer der Dissonanz nicht grösser sey, als der Consonanz, in welche sie sich auflöset. Die Ruhe, die durch die Auflösung entsteht, muß nothwendig, wenigstens so lange dauren, als die Unruhe, auf welche sie folget, gedauert hat; widrigenfalls ist die Auflösung unvollkommen.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 178-179.
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