Copey

[230] Copey. (Zeichnende Künste)

Ein Werk das in allen seinen Theilen nach einem andern Werk der zeichnenden Künste verfertiget worden. Das ursprüngliche Werk, nach welchem die Copey gemacht wird, heißt das Original. Der Künstler, welcher ein Original verfertiget, arbeitet nach einem Bild, das seine Phantasie entworfen hat, oder das er in der Natur vor sich siehet. Bey der Darstellung und Bearbeitung desselben muß er beständig nachdenken, wie er seinem Werk das Leben und den Geist geben könne, den das Urbild in seiner Phantasie oder in der Natur hat. Seine Arbeit ist eine beständige Erfindung, insonderheit, wenn das Werk ein Gemähld, oder ein nach dem Gemählde verfertigter Kupferstich ist. Denn da in diesen Werken nicht die Sache selbst, die man vor sich hat, wie in der Bildhauerkunst, sondern etwas ganz anders, nämlich ein blosser Schein desselben darzustellen ist, so gehört zu jedem Strich des Pinsels oder des Grabstichels Erfindung. Der Mahler sieht Farben vor sich, und muß andre Farben erfinden, die ihnen ähnlich sind; er bemerkt ein allgemeines Licht, welches auf einmal den Gegenstand in der Natur so erleuchtet, daß einige Theile hell, andre dunkel sind, in seinem Werk muß er auf eine jede Stelle das Helle und Dunkle besonders den Farben einverleiben; er sieht alles erhoben und körperlich, und er muß im Flachen das Körperliche [230] darstellen. Der Copist hingegen hat überall schon ein Werk von eben der Beschaffenheit, wie das seinige ist, vor sich, und hat keine von den Verwandlungen nöthig, wodurch der Originalmeister sein Werk der Natur ähnlich macht. Sein einziges Nachdenken ist auf das gerichtet, was ein andrer ihm vorgedacht hat.

Hieraus folget erstlich, daß es unendlich leichter ist, eine gute Copey, als ein gutes Original zu machen. In der That findet man, daß ofte ganz mittelmäßige Künstler sehr gut copiren. Zweytens folget daraus, daß die Copey immer von geringerer Schönheit, als das Original sey, weil der Copist, der in einem ganz andern Geist, als sein Vorgänger arbeitet, unmöglich so denken kann, wie jener gedacht hat. Der größte Unterschied muß sich darin zeigen, daß in dem Original mehr Freyheit ist, weil alles mit Gewißheit bearbeitet worden, und aus der Quelle geflossen ist; da der Copist seine Gedanken nach den Gedanken des andern hat zwingen müssen. Der Originalmeister ist bisweilen zufälliger Weise auf ein Mittel gefallen, das der Copist unmöglich errathen kann; er wählt ein anderes und die Wirkung muß auch etwas verschiedenes seyn. Jener stellt seine eigene Erfindung dar, sein Geist ist währender Arbeit thätiger, seine Einbildungskraft erhitzter; daraus aber entstehet eine freyere Ausübung: dieser bleibt kalt, und muß kalt bleiben, um nichts zu übersehen, und dadurch wird alles langsamer und gekünstelter. Er muß seine eigene Bearbeitung, seine Art den Pinsel zu führen, verleugnen, und eine fremde Art annehmen. Ueber dem allem ist in jedem schönen Werk der Kunst vieles, das man zwar undeutlich fühlen, aber niemal deutlich beschreiben oder denken kann, das mehr vom Geschmak des Künstlers, oder von einer glüklichen Hand, als von deutlicher Erkenntniß herkommt. Dieses kann kein Copist erreichen, weil er es nicht deutlich erkennen kann. Diesem zufolge muß von dem Geist und dem Feuer des Originals nothwendig in der Copey sehr viel zurüke bleiben. Es giebt in Gemählden noch Fälle, da die Würkung der Farbe von etwas verborgenem herkommt, da eine unten liegende Farbe durch die obere durchschimmert. Sehr ofte kann niemand errathen, was unter der obersten Deke der Farbe liegt, und folglich kann dieselbe Würkung in der Copey nicht erreicht werden.

Daher geschieht es, daß feine Kenner sich selten über Copeyen betrügen, und bald entdeken, daß ein Stük nicht Original sey, wiewol man auch so gute Copeyen hat, daß nur die erfahrnesten Kenner sie von den Originalen zu unterscheiden wissen. Die Gewinnsucht derer, welche aus der Kunst ein Gewerbe machen, hat eine unzähliche Menge Copeyen hervorgebracht, die statt der Originale verkauft werden. Liebhaber der Kunstsachen, die selbst nicht feine Kenner sind, werden täglich damit betrogen. Bey kostbaren Gemählden braucht man die Vorsichtigkeit, sie nicht eher für Originale anzunehmen, bis man von einigen der erfahrnesten Kenner gültige Zeugnisse darüber hat.

Daß die Copeyen der Werke grosser Meister insgemein sehr weit hinter den Originalen zurück bleiben, berechtiget die abergläubische Verachtung, die einige Liebhaber für alle Copeyen haben, gar nicht. Es giebt Leute, die ein ganz schlechtes, oder durch die Zeit verdorbenes Original, der besten Copey vorziehen, und bey jedem Gemählde, ehe es ihnen einfällt seine Schönheit zu beurtheilen, erst untersuchen wollen, ob es ein Original sey oder nicht. Fällt der Verdacht einer Copey darauf, so verschwindet bey ihnen jeder Begriff von Schönheit und Werth. Wahre Kenner der Kunst beurtheilen ein Gemähld aus dem, was sie darin sehen, aus dem, was es an sich hat, und nicht nach dem Namen dessen, der es gemacht hat. Was von der Kenntniß und dem Geschmak eines Menschen zu halten sey, der sich nicht eher getraut, etwas für schön oder schlecht auszugeben, bis er weiß, ob es Original oder Copey ist, darf nicht erst durch eine Untersuchung gelehrt werden: er gehört unter die Verehrer der Reliquien.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 230-231.
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