Elegie

[310] Elegie. (Dichtkunst)

Bedeutet eigentlich ein Klagelied, welchen Namen man dieser Art des Gedichtes geben könnte, wenn nicht auch bisweilen vergnügte Empfindungen der Inhalt der Elegie wären. Der wahre Charakter derselben scheint darin zu bestehen, daß der Dichter von einem sanften Affekt der Traurigkeit oder einer sanften mit viel Zärtlichkeit vermischten Freude ganz eingenommen ist, und sie auf eine einnehmende etwas schwazhafte Art äussert. Alle sanften Leidenschaften, [310] die so tief ins Herz dringen, daß man sich gern und lange damit beschäftiget, die dem Geist so viel Faßung lassen, daß er den Gegenstand von allen Seiten betrachten, und der Empfindung in jeder Wendung, die sie annihmt, folgen kann, schiken sich für die Elegie. Sie bindet sich nicht so genau an die Einheit der Empfindung, als die Ode, nihmt auch den lebhaften Schwung derselben nicht, ihr Ausdruk ist nicht so rasch, sondern hat den kläglichen Ton, der mehr der Ton eines blos leidenden und vom Affekt überwältigten, als des würksamen Menschen ist. Er ist im eigentlichen Verstand einnehmend, da der Ton der Ode gar oft gebieterisch, stürmisch, oder hinreissend ist. Sehr richtig nennt der Verfasser über Popens Genie und Schriften die Elegie ein Affektvolles Selbstgespräch.

Alle sanften Affekte also, wobey die Seele sich ganz leidend fühlet; Klagen über Verlust einer geliebten Person; über Untreu eines Freundes; über Ungerechtigkeit und Unterdrükung; über hartes Schiksal; Vergnügen über zärtliche Aussöhnung, über ein wieder erlangtes Gut; Aeusserungen der Dankbarkeit, der Andacht, und jedes andern zärtlich vergnügten Affekts, sind die eigentlichen Materien der Elegie. Da die Gemüthsfassung bey der Elegie ganz Empfindung der einnehmenden Art ist, so dringt sie auch tief ins Herz, und ist daher eine der schäzbarsten Gattungen der Gedichte, wo es darum zu thun ist, die Gemüther zu besänftigen, oder sie völlig für einen Gegenstand einzunehmen. Hingegen schiken sich männliche, feurige und heroische Empfindungen nicht für sie; sie überläßt sie der Ode.

Die Griechen hatten für die Elegie eine besondere Versart gewählt, die auch die Römer beybehalten haben; sie bestuhnd abwechselnd aus einem Hexameter und einem Pentameter, versibus impariter junctis, wie Horaz sich ausdrükt, und insgemein machten zwey Verse zusammen ein Distichon aus, darin ein völliger Sinn war. Es scheinet auch, daß diese Versart sich am besten zum Affekt der Elegie schike, dem ein sanft enthusiastisches Herumschwermen von einem Bilde zum andern, und von einer Vorstellung zur andern, fast eigen scheinet. Indessen ist die elegische Versart auch verschiedentlich zu kleinen Gedichten gebraucht worden, die man nicht zu den Elegien rechnen kann. Die neuern Völker haben bey der Armuth ihrer Prosodie der Elegie keine besondre Versart geben können. Die Alexandrinische scheint aber sich vorzüglich dazu zuschiken. Seitdem man aber im Deutschen die griechischen Sylbenmaaße eingeführt hat, sind auch Elegien in der alten elegischen Versart gemacht worden.

Man weiß nicht, welcher griechische Dichter die Elegie aufgebracht habe, und man wußte es schon vor Alters nicht.


Quis tamen exiguos elegos emiserit Auctor

Grammatici certant.1


Anfänglich waren sie blos für Klagen bestimmt; aber man fühlte, daß ihr Ton sich auch für zärtliche Freude schikte.


–– –– querimonia primum

Post etiam inclusa est voti sententia compos.


Es ist ohne Zweifel ein großer Verlust, daß die griechischen Elegiendichter verlohren gegangen, obgleich Quintilian glaubt, daß die Lateinischen ihnen nichts nachgeben.2 In der That haben wir drey fürtrefliche römische Dichter in dieser Art, den Ovidius, den Catullus und den Propertius.

Eine besondre Art der Elegie machen die sogenannten Heroiden aus,3 von denen in einem besondern Artikel gesprochen wird.

Für die geistliche Dichtkunst scheinet die Elegie den vorzüglichsten Nutzen zu haben, da sie den sanften Empfindungen der Religion überaus gut angemessen ist; nur müßte man sich darin für dem Schwermerischen hüten, welches der vorzügliche Hang der Elegie zu seyn scheinet. Ueberhaupt kann sie sehr nützlich zu Besänftigung der Gemüther angewendet werden. Denn es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß ein etwas wilder Mensch, der den sanften Affekten den Eingang in sein Herz verschlossen hält, durch Elegien könnte gezähmet werden, zumal wenn sie mit Musik verbunden wären. Zuwünschen wär' es, daß ein recht geschikter Tonsetzer einige Versuche, Elegien in Musik zu setzen, machte: das Recitativ mit einem bloß begleitenden Baß, das mit begleitenden Instrumenten, das Arioso und bisweilen das Arienmäßige selbst könnten dabey sehr angenehm abwechseln. Es läßt sich vermuthen, daß ein wolgerathener Versuch in dieser Art, diese neue Gattung elegischer Cantaten in Gang bringen würde.

1Horaz. A. P. 75
2Jnst. Or. L. 10. 1. 39.
3S. Heroiden.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 310-311.
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