Elegīe

[602] Elegīe (griech.) heißt bei den Griechen jedes im elegeion, der distichischen Verbindung von daktylischem Hexameter und Pentameter, abgefaßte Gedicht ohne Rücksicht auf seinen besondern Inhalt. Allerdings bezeichnet elegos ein von der Flöte begleitetes Klagelied, dessen Metrum vermutlich der Pentameter war; aber die davon hergeleitete Benennung elegeion kann dieser ursprünglich gleichfalls zur Flöte gesungenen Dichtgattung nur beigelegt sein in Rücksicht auf die Verwendung jenes Metrums und den musikalischen Vortrag. Wie das Epos bei den asiatischen Ioniern entstanden ist, bildet die E. den ersten Übergang von der epischen Poesie (mit der sie auch den Dialekt gemeinsam hat und auch im Metrum insofern übereinstimmt, als der Pentameter nur eine musikalische Variation des Hexameters ist) zur eigentlichen Lyrik. Ihren Platz hatte die E. anfänglich ebenso wie die Flöte bei den Klagen der Totenfeier (Threnodien) und bei den Gesängen der Symposien. Die sympotische E. nahm früh einen teils paränetischen oder politischen, teils erotischen Ton an: die ältesten Vertreter der erstern Richtung sind Kallinos, Tyrtäos, Solon, Phokylides, Theognis, der letztern Mimnermos. Aus der threnodischen E., deren Meister Simonides war, hat sich dann das Grabepigramm entwickelt. Durch Antimachos erhielt die E. den bei den Alexandrinern weiter entwickelten Charakter romantischer Erotik und sentimentaler Empfindung; jedoch wurde daneben in dieser Zeit die elegische Form vielfach auch zur gelehrten Darstellung von Sage und Geschichte ohne Beimischung individueller Empfindung verwendet. Die alexandrinische E., deren Meister Kallimachos war, fand in Rom seit Ende der Republik Nachahmung, und hier übertrafen bald die Schüler, wie Catull, Properz, Tibull und Ovid, ihre Vorbilder. Namentlich der Einfluß der Trauerelegien des Ovid hat darauf hingewirkt, daß sich mit dem Begriff E. immer mehr die Bedeutung »Klagelied« verband. Im modernen Sprachgebrauch bezeichnet E. eine überwiegend sentimentale Dich lung, die im Ton süßer Wehmut oder sanfter Trauer, aber auch bitterer Resignation den Gegensatz zwischen Einst und Jetzt, Ideal und Wirklichkeit behandelt; namentlich die sehnsüchtige Erinnerung an glückliche Zeiten (Jugend) und geliebte Personen, Betrachtungen über vergangene Größe und Herrlichkeit etc. sind ihr Gegenstand. Natürlich ist der Begriff der E. nicht mehr wie im Altertum an eine bestimmte äußere Form gebunden; die modernen Elegiker haben die verschiedensten Maße angewendet. Klassische Muster in der antiken Form sind Goethes »Römische Elegien« und »Euphrosyne« und Schillers »Spaziergang«; ohne diese Form haben unter den Deutschen elegisch gedichtet namentlich E. v. Kleist, Hölty, Matthisson, Hölderlin, Kosegarten, Salis, A. Grün, Lenau, A. Meißner u.a. Eine Abart der E. ist die Heroide (s. d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 602.
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